Tichys Einblick
Kosten der Wehrpflicht

Deutschland wird zahlen – für die Bundeswehr oder halt anders

Das Ifo-Institut hat ausgerechnet, was die Wehrpflicht Deutschland kosten würde. Summen, die eine Ampel-Regierung kaum aufbringen könnte. Doch die Folgen sind nicht gerade angenehmer.

picture alliance/dpa | Uli Deck

Boris Pistorius ist vermutlich der letzte Sozialdemokrat, den sich eine Wählerschaft außerhalb der woke-linken Blase als Bundeskanzler vorstellen kann. Es gibt Gründe, warum der Verteidigungsminister der mit Abstand beliebteste Politiker in den Umfragen ist: Er verkörpert die Seriosität eines Helmut Schmidts oder Hans-Jochen Vogels. Er müht sich nicht an exotischen Themen ab, sondern konzentriert sich auf die wesentlichen Aufgaben des Staates. Und er bemüht sich um Lösungen, die einer Prüfung standhalten.

Wer schon einmal ein Arbeits-Zeugnis geschrieben oder ausgewertet hat, wird bei der letzten Formulierung aufgemerkt haben: „Er bemüht sich“ sieht nämlich für ungeübte Augen gut aus – ist aber letztlich ein vernichtendes Urteil. „Er war stets bemüht“ ist die Ungenügend unter den Arbeits-Zeugnissen. Pistorius hat zum Beispiel erkannt, dass die Bundeswehr aufgerüstet werden muss, um wieder eine wehrfähige Armee zu sein. Aber trotz 100 Milliarden Euro Schulden, „Sondervermögen“ genannt, krankt die Aufrüstung in Deutschland weiter an den Problemen, die es schon unter seinen Vorgängern gab: Strukturen in der eigenen Verwaltung, die im besten Fall dysfunktional bürokratisch sind. Im schlimmsten Fall schlicht korrupt. Eine deutsche Rüstungsindustrie, auf die das gleiche zutrifft.

Auch in der Wehrpflicht kommt Pistorius nicht voran. Vor den Sommerferien hat er das Modell des „Neuen Wehrdienstes“ vorgestellt. Eine freiwillige Wehrpflicht. Das klingt nach Duschen, ohne nass zu werden. Einem Oxymoron. Blablabla. Paradox. Kurzum: Sprachlicher Ausdruck eines Mannes, der mit seinem eigentlichen Vorhaben gescheitert ist.

Pistorius ist gescheitert an Sozialdemokraten, die von ihrem jugendlichen Pazifismus träumen und sich am Lagerfeuer Geschichten erzählen, wie sie vor der Prüfungskommission ihren Zivildienst durchgefochten haben. Und der Verteidigungsminister ist gescheitert an Grünen, deren Führung gerne die Lieblingsschüler von Nato und WEF wären. Deren Basis aber seit 40 Jahren am Wochenende nach Büchel pilgert, um die eigene Spießigkeit durch den Kampf gegen Atomwaffen zu ummanteln, die vermeintlich in der Eifel lagern. Pistorius ist der rationale Pragmatiker in einer Koalition, die von Emotionalität und Ideologie geprägt ist. Damit ist der Verteidigungsminister selbst ein Oxymoron. Paradox. Kurzum: Der richtige Minister in der falschen Regierung.

Ja. Der Neue Wehrdienst ist Murks. Der Name soll nur darüber hinwegtäuschen, dass Pistorius an der Wehrpflicht gescheitert ist. Er war stets bemüht. Der Fairness halber gehört dazu: Mehr war für den Verteidigungsminister nicht drin. Das Ifo-Institut hat jetzt ausgerechnet, was Deutschland eine Wehrpflicht kosten würde. Schon jetzt basiert der Haushalt der Ampel auf hanebüchenen Tricks. Obendrein lässt der sich nur halten, wenn es ein Wachstum gibt, dass es vermutlich nicht geben wird. Die zusätzliche Kosten für die Wehrpflicht kann sich die Ampel also schlicht nicht leisten.

In dem Rechenbeispiel des Ifo-Instituts dienen die Wehrpflichtigen zwölf Monate und erhalten 1.000 Euro im Monat netto. In München, Frankfurt oder Hamburg ließe sich davon kaum eine eigene Wohnung bezahlen. Ja nicht einmal mehr ein Zimmer. Zudem unterscheidet das Institut drei Modelle. Eine Wehrpflicht, bei der wirklich alle dienen würden. Militärisch oder zivil. Ein 25-Prozent-Modell, wie es mit dem vergleichbar ist, was Deutschland in den 80er Jahren als Wehrpflicht erlebt hat. Und ein 5-Prozent-Modell, das dem entspricht, was Deutschland kurz vor der Aussetzung der Wehrpflicht kennengelernt hat.

Eine Dienstpflicht für alle würde laut Ifo-Institut den Staat vergleichsweise schlanke 12,8 Milliarden Euro im Vergleich zu jetzt kosten. Doch der private Konsum ginge in dem Szenario um 78,7 Milliarden Euro zurück. Selbst wenn man den volkswirtschaftlichen Schaden ignoriert – wie es die Ampel ja gerne tut – , entgingen dem Staat somit rund 15 Milliarden Euro jährlich an Umsatzsteuer. Zusammen betrüge der Schaden zwischen 27 und 28 Milliarden Euro. Für den Staat. Für die Privaten wäre der Schaden ungleich höher.

Selbst das 5-Prozent-Modell verursacht noch hohe Kosten: 3,9 Milliarden Euro Konsumverlust plus 0,6 Milliarden Euro zusätzliche Staatsausgaben. Selbst eine kleine Wehrpflicht würde den Staat also über eine Milliarde im Jahr kosten. Früher eine kleine Summe. Angesichts einer Bundesregierung, die keinen verfassungsgerechten Entwurf für den Haushalt hinbekommt, eine zusätzliche Last.

Eine solche 5-Prozent-Lösung würde aber zusätzliche Probleme aufwerfen: Allen voran das der Gerechtigkeit. Die Studie des Ifo-Instituts ergibt, dass die Wehrdienstleistenden klar benachteiligt sind: Sie investieren später in ihre Bildung, sie verdienen lange schlechter als die, die keinen Dienst geleistet haben. Wer seinem Land dient, würde also bestraft. Andererseits wäre das wieder eine „Schule für das Volk“, lernen doch die jungen Männer für später, was es heißt, hart für wenig Geld zu arbeiten, damit für die Empfänger von Bürgergeld mitzuschuften, um am Ende kaum mehr oder weniger als sie zu haben.

Eine Wehrpflicht light hätte aber auch nur einen zweifelhaften militärischen Nutzen: Zwar würde sie den erwünschten Anstieg von derzeit rund 190.000 auf dann etwa 230.000 Soldaten ermöglichen. Doch eine moderne Armee braucht Experten: IT-Spezialisten, die Cyber-Angriffe abwehren können. Techniker, die eine Drohne betrieben und reparieren können. Vor einer Wehrpflicht light könnten die für solche Aufgaben Benötigten aber leicht ausweichen. Sie sollten es auch tun, weil sie sonst wie beschrieben materielle Nachteile erleiden. Die Bundeswehr würde mit einer Wehrpflicht light also nur zusätzliche Fußsoldaten rekrutieren. Das wäre aber auch nur eine Geste. Stets bemüht und so weiter.

Deutschland wird sich entscheiden müssen. Entweder scheut Deutschland weiterhin eine konsequente Verteidigungspolitik. Dann kann es seine Ressourcen einsetzen für vier Millionen erwerbsfähige Empfänger von Bürgergeld, Langzeitstudenten, einen ausufernden öffentlichen Dienst, Radwege in Peru, staatlich finanzierte NGOs, „Klimaschutz“ in China oder ein neun Milliarden Euro teures Staatsfernsehen. All das ist genau die politische Agenda der Ampel. So lange Pistorius Minister einer Koalition von SPD, Grünen und FDP ist, kann er nur auf eine freiwillige Wehrpflicht setzen und darf zum Trost trocken duschen.

Oder aber Deutschland hält es für notwendig, „kriegstüchtig“ zu werden. Das Wort hat Pistorius bewusst gesetzt. Um die Deutschen aus der Komfortzone zu holen. Das Geschnatter war groß. Links wie rechts. Es war vielleicht nicht nötig zu beweisen, dass die Deutschen sich nicht mehr vorstellen können, ihre diversen Komfortzonen zu verlassen. Aber es war wirksam. Die Komfortzonen bleiben. Angefangen mit den grünen Familienpicknickdemos in Büchel, vollendet im Haushalt.

Ein gesamtgesellschaftlicher Schaden von 25 Milliarden Euro beim alten Wehrdienst-Modell der 80er Jahre. Zudem steigende Anschaffungskosten für die Aufrüstung. Will Deutschland kriegstüchtig oder verteidigungsfähig sein, wird das kosten. Die Deutschen sind nicht bereit, dieses Geld zu zahlen. Das weiß die Ampel. Zwar hat sie für die Aufrüstung 100 Milliarden Euro Schulden aufgenommen. Doch um den Deutschen darüber hinwegzutäuschen, wofür das Geld eingesetzt wird, hat sie diese Schulden „Sondervermögen“ genannt. Um dann nochmal umzukippen. Teile des „Sondervermögens“ setzt Pistorius mittlerweile dafür ein, den normalen Betrieb der Bundeswehr zu bezahlen. Gezwungenermaßen. Denn die nötige Anpassung seines Haushalts an die steigenden Kosten im Land verweigern ihm Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Die Deutschen bleiben in ihrer Komfortzone. Menschlich ist das nachvollziehbar. Doch schon Goethe wusste, dass der Mensch seinen Pakt mit dem Teufel verloren hat, wenn er sich in der Gemütlichkeit einrichtet. „Augenblick, verweile doch, du bist so schön.“ Wer selbst nicht „kriegstüchtig“ oder verteidigungsfähig ist, der braucht andere, die es für ihn sind. Das gibt es nicht zum Nulltarif. Die Geschichte ist voll von Schutzmächten, die ihre Kunden finanziell bluten ließen. Der mögliche amerikanische Vizepräsident J.D. Vance hat nüchtern analysiert, dass Deutschland auf dem Weg ist, kein Verbündeter mehr zu sein, sondern nur noch ein Klientelstaat.

Was bedeutet das? Ein Klientelstaat zu sein? Dann könnte die USA Deutschland zum Beispiel zwingen, verurteilte Mörder freizulassen, um amerikanische Agenten auszutauschen. Oder die USA könnten ankündigen, deutsche Infrastruktur zu zerstören. Etwa eine Gas-Pipeline in der Ostsee. Die geht dann tatsächlich in die Luft. Und dann bliebe der deutschen Regierung nichts anderes übrig, als zu versprechen, die Saboteure jagen zu wollen – um danach in peinlich berührtes Schweigen zu verfallen. So was ist alles möglich in einem Land, das die Kosten scheut, die Kriegfähigkeit mit sich bringt. Mit so was muss eine Gesellschaft leben, die schon bei der Erwähnung des Wortes freidreht.

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