Tichys Einblick
Aus der Geschichte lernen?

Deutschlands Traum vom Impf-Kollektiv

Die politische Klasse schiebt das eigene Versagen den „Anderen“, den Abweichlern in die Schuhe. Das Argument lautet: Es könnte alles so schön sein, wenn die gemeinschafts-schädlichen „Impfverweigerer“ nicht wären. Von Michael W. Alberts

IMAGO / Jens Schicke

Der Kaiser kannte in der Stunde der Not keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Unterschiede in Weltanschauung oder individueller Meinung konnten keine Rolle mehr spielen, als es um das nationale Ganze ging, gegen die französischen Erzfeinde. Der Kaiser hat es nicht so gesagt, aber ihm schwebte offensichtlich eine unverbrüchliche „nationale Solidarität“ vor: mit vereinten Kräften voran ins Feld.

Da sind wir wieder! Es können jetzt keine Unterschiede mehr bestehen bleiben, wenn es um den bösen Feind, das heimtückische Virus geht, und auch jetzt scheint es um das nationale Ganze zu gehen, denn wie sonst könnte ein führender deutscher Politiker von „nationaler Solidarität“ faseln, die es erfordere, dass man sich ganz selbstverständlich, ohne jede welsche Aufmüpfigkeit den experimentellen gentechnischen „Impfstoff“ in den Körper spritzen lässt.

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Pardon, DIE führende deutsche Politikerin. Die größte Kanzlerin aller Zeiten; sie hat diese schönen Vokabeln in die Diskussion geworfen. Wobei man staunte, denn ausgerechnet sie war es ja, die ihrem Generalsekretär beim Abschlussjubel des Parteitags die deutsche Fahne angewidert aus den Händen gerissen hat – vom Konzept der „Nation“ hatte sie sich doch eigentlich, als Kanzlerin aller, „die nun mal hier leben“, und als Anwältin des EU-Zentralismus sichtlich verabschiedet.

Gleichwohl, was für eine genialisch-kühne – auch unverfrorene – Propagandaformel, dem Diktum des Kaisers ebenbürtig: Der Begriff der „Nation“ für die Konservativen, das Konzept der „Solidarität“ für die Linken, beides kühl kalkuliert in Eins gegossen und damit an das ganz große Gemeinschaftsgefühl appelliert, noch dazu den schönen Gedanken der sozialen Gerechtigkeit aufrufend, der sich mit dem Begriff der „Solidarität“ nach jahrzehntelanger rhetorischer Folklore verbindet.

Aber mit „Gerechtigkeit“ hat der Impfmoralismus nichts zu tun, nur mit Gleichheit, um nicht zu sagen Gleichschaltung. Und „Solidarität“ ist nichts anderes als der Verweis auf die Gemeinschaft, ohne die alles nichts ist. Dabei war (politische wie alltägliche) Gemeinschaft für die Arbeiter zu Zeiten Lassalles oder Bebels tatsächlich der Weg „zur Sonne, zur Freiheit“. Aber es war eine Gemeinschaft der marginalisierten, der „Entrechteten“, die innerhalb von Nation und Gesellschaft für ihre Interessen zu streiten hatten. Eine Gemeinschaft im Kampf gegen übermächtige Kräfte: Das war damals, das war legitim und notwendig.

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Die Gemeinschaft der Kanzlerin und ihrer gewaltigen Gefolgschaft in fast allen Parteien hingegen ist selbst die Übermacht, gegen die Einzelnen. Sie produziert erst die Entrechtung, der gegenüber Solidarisierung notwendig wird, wie sie die „Spaziergänger“ üben. Anstelle des Virus als gefährlicher Feind sind längst die „Impfverweigerer“ getreten: gegen jede medizinische Sachlogik, nachdem die „Impfung“ das Virus nicht nur nicht an der Ausbreitung hindert, sondern vermutlich sogar zur Entstehung immer neuer Varianten – durch den Selektionsdruck der „Impfung“ – maßgeblich beiträgt.

Wo ist da bitte, um zu Kaisers Zeiten zurückzukehren, der Unterschied zur Dolchstoßlegende nach dem Versagen des deutschen Militärs (abgesehen von „nur zwei“ Jahren Pandemie statt vier Jahren Weltkrieg)? Wie ist das etwas anderes als der kaltschnäuzige Versuch, vom maßlos peinlichen Generalversagen der deutschen Politik in der Pandemie propagandistisch abzulenken? Die Merkel-Scholz-Regierung, eigentlich dank ihrer tapferen Lockdown-, Testwahn- und Maskenstrategie „im Felde unbesiegt“ – aber von den vaterlandslosen „Impfverweigerern“ in die Niederlage getrieben?

Die „solidarische“ Gemeinschaft der faktisch immer noch herrschenden Merkel-Volksfront … unter Einschluss von „national“ müsste man eigentlich von der „Volksgemeinschaft“ sprechen, denn nach Grundgesetz konstituiert nun einmal das Volk die Nation, nicht umgekehrt … diese Gemeinschaft ist eine, die keine andere mehr neben sich duldet. Sie ist wesenhaft totalitär kollektivistisch, monolithisch intolerant. [Um Willy Brandt, den ebenfalls als vaterlandslos denunzierten Emigranten zu zitieren: „Wir waren schon mal weiter.“]

Natürlich, der Mensch ist ein soziales Wesen, er bedarf der Gemeinschaft. Zweifellos gibt es eine Balance zwischen „Ich“ und „Wir“, allerdings auf einer breiten Skala vom introvertierten Einzelgänger bis zum geselligen Vereinsmeier. Aber die Gemeinschaft fängt bei Ehe und Familie an, nicht erst beim nationalen Ganzen. Gleichzeitig bringt es die Unterschiedlichkeit der menschlichen Charaktere mit sich, dass sich gerade im politischen Raum diverse (!) Parteien und Strömungen bilden, die in demokratischer Konkurrenz um Einfluss ringen.

Ist Demokratie egoistisch?

Das nennt man „Pluralismus“. Früher mal eine Selbstverständlichkeit als Schulstoff, in „Gemeinschaftskunde“ (vor der Umwidmung in „Sowi“). Der „Plural“ bedeutet dabei gerade nicht, dass das „Ich“ in der Mehrzahl des „Wir alle“ aufgeht, sondern er steht für die Konkurrenz substanziell unterschiedlicher Positionen und Überzeugungen, von denen es nicht nur eine einzige gibt und geben darf, sondern von denen es eine Vielzahl geben muss, wenn die Gesellschaft eine faire Chance haben soll, sich gedeihlich zu entwickeln.

Gleichzeitig steht die rechtsstaatliche, freiheitliche Demokratie gerade nicht für ein ungeniertes „Durchregieren“ einer Mehrheit, sondern sie garantiert die individuellen Rechte gegen staatliche Übergriffe und verpflichtet sich dem Minderheitenschutz. Die herrschende Klasse, die „Eliten“ in Medien und Staatsorganen, scheinen bei diesen Themen komplett geschwänzt zu haben wie heute die Freitags-Aktivisten.

Wir sollen also unsere lächerlichen individuellen Egoismen gefälligst zum Segen des großen Ganzen aufgeben, nicht aus der Reihe tanzen, keine Extrawurst braten – uns vielmehr einreihen und mitmarschieren; gegessen wird klaglos, was auf den Tisch kommt. Das wirkt alles erschreckend deutsch, aber das Phänomen grassiert weltweit. Niemand steht dafür so prominent wie der amerikanische oberste Seuchenbekämpfer Anthony Fauci. Er und seine Jüngerschar in den großen (weit überwiegend klar linkslastigen) Medienhäusern propagieren das „communal good“ (den Gemeinnutz), für das in der Pandemie alle ihr Opfer zu bringen hätten. Sich als erstes um die eigene, „nur individuelle“ Gesundheit sorgen, das gilt nicht mehr.

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Das Argumentationsmuster ist keineswegs erst mit der fanatisierten Impfkampagne in die Welt gekommen, sondern es ist von Anfang an gepflegt worden: „Zuhause bleiben“ per Lockdown, damit die „Ansteckungskurve flach bleibt“ und die Krankenhäuser nicht überwältigt werden – also viele Millionen Gesunde schränken sich ein, damit wenige Infizierte nicht leiden müssen. Auch das Maskentragen wurde nicht so sehr als Maßnahme zum eigenen Schutz „verkauft“, sondern um Andere vor den möglicherweise (!) vorhandenen eigenen Erregern zu schützen. Und nun eben die Impfung – die man zugunsten des großen Ganzen auf sich zu nehmen habe. Wer da nicht mitmacht, ist ein Großmutter-Mörder.

Potenziell gefährliche Medikamente zu sich nehmen, damit andere (!) angeblich nicht krank werden – wie absurd ist das? Es ist eine Perversion ohne geschichtliches Vorbild. Aber es gibt ein aktuelles Vorbild: China. Die westlichen Demokratien haben sich von dort nicht nur das gefährliche genmanipulierte Virus unterjubeln lassen – sie haben sich von den dortigen Kommunisten auch das ganze Maßnahmenpaket abgeschaut, angefangen mit den brutal-übergriffigen Lockdowns.

Die korrupt-kommunistischen chinesischen Führer haben für das Individuum und seine Freiheiten Null Respekt – kaum überraschend bei Erben des großen Vorsitzenden Mao; der Umgang mit Hongkong zeigt es überdeutlich. Es ist aber mehr als überraschend, eigentlich völlig aberwitzig, dass die führenden Politiker in westlichen Demokratien sich an solch einem Land als Vorbild orientieren, und zwar quasi im „Lockstep“ – im Gleichschritt.

Lagerdenken gegen die „Anderen“

Jedoch … ist es wirklich noch so überraschend? Oder war der Boden schon vorbereitet, durch die politischen Entwicklungen der letzten Jahre? Der Pluralismus, der echte Wettstreit wirklich unterscheidbarer Weltanschauungen: ohnehin im Niedergang. Der Meinungskorridor, wie er von den weit überwiegend links-grünen Medienleuten und den „urbanen Eliten“ mit ihrer fiktionalen, arroganten „Zivilgesellschaft“ definiert wird, ist eng und abzweigungslos geworden.

Wer da noch auszuscheren wagt, wer heute noch politische Meinungen vertritt, die zu Zeiten von Franz-Josef Strauß oder Alfred Dregger gerade so gemäßigt konservativ waren, wird heute schnell als Nazi denunziert, oder als Rechtspopulist, was angeblich das Gleiche ist. Wer klare Worte gegen die Herrschenden oder ihre weltfremde Ideologie findet, dem wird „Hassrede“ vorgeworfen, als Kriminaldelikt. „Faktenchecker“ mit klar linker ideologischer Ausrichtung denunzieren Andersdenkende schlicht als Lügner – denen man die Plattform entziehen müsse.

Die Reaktion der politischen Klasse auf das chinesische Virus konnte nahtlos an solche längst eingeschliffenen Muster anschließen. Zu einer offenen Diskussion komplexer Sachverhalte ist die Politik – in Deutschland wie in anderen westlichen Ländern – nicht mehr in der Lage, sondern es wird sofort eine Wagenburg gebildet, nur noch eine Denkrichtung als zulässig erklärt und jede Opposition ausgegrenzt, denunziert und zumindest verbal niedergeknüppelt.

Eine traurig-witzige Fußnote zu Beginn der Pandemie: Anfangs wurde der AfD vorgeworfen, sie nutze das Virus zur irgendwie rassistischen Angstmache – damit wollte man nichts zu tun haben. Wer auf sich hielt als weltoffener Metropolenbürger, konnte keinesfalls die Grenzen schließen und Deutschland schützen wollen. (So tönte es auch dem US-Präsidenten entgegen, als er Flüge aus China nach Amerika unterband: „fremdenfeindlich“ sei das, und rassistisch. Die mächtigste Demokratin Nancy Pelosi tummelte sich eifrig vor Kameras in Menschentrauben im Chinesen-Viertel. Extra.)

Keine Bundespräsidentenwahl
Steinmeier oder die peinliche Veranstaltung einer verängstigten Demokratie
Es dauerte aber nur ein paar Wochen, bis sich die Seiten völlig verkehrten. Die Funktionärs-Eliten weltweit erkannten ihre große Chance, die Pandemie als Bühne einer so noch nicht dagewesenen Machtkonzentration zu nutzen. Zum Teil mögen unsere Regierenden sicher auch in echter Sorge gehandelt haben, von Angst und Panik getrieben worden sein, allerdings vor allem auch von Angst vor dem eigenen Versagen – und diese Angst war nur allzu berechtigt, wie uns inzwischen seit zwei Jahren vorgeführt worden ist.

Es fängt an mit der handwerklichen Inkompetenz, ob in der Führung des nationalen Seuchenschutzes beim RKI oder in der Beschaffung von Impfstoffen durch eine korrupte Bürokratie in Brüssel, in der Umsetzung der „Inzidenz“-fixierten nationalen „Teststrategie“ oder in der Definition von Maßnahmen. Dahinter steht als größeres Übel (und Ursache) die prompte primitive Lagerbildung, die Unwilligkeit zu offener Diskussion, die Verweigerung echter kritischer Wissenschaft.

Politiker wollen Macht, keine Verantwortung

Das Schlimmste allerdings ist die Unfähigkeit der politischen Klasse, Verantwortung zu übernehmen. Unsere politische Klasse besteht nur noch aus Beamtenseelen, soziologisch wie psychologisch. Keiner will am Ende schuld sein, wenn es irgendwie schief gehen sollte. Deshalb darf es auf keinen Fall schief gehen, und man glaubt deshalb, das erkannte Problem mit aller Macht angehen zu müssen. „Man muss nur richtig wollen“, glauben diese Damen und Herren. Wenn man nur lange genug mit aller Gewalt auf den Nagel einschlägt, wird er schon noch in den Stahlbeton eindringen.

Aber vor allem sichert man sich ab, indem man einfach macht, was alle machen. Man versteckt sich im Kollektiv. Man sagt nur, wovon man sicher ist, dass fast alle es hören wollen. Politische „Führung“ äußert sich dann bestenfalls darin, dass man ein besonders feines Gespür dafür hat, wo die Debatte als nächstes hingeht, wo die Stimmung in gewissen Kreisen hinführt.

Die „Führungsqualität“ der Politiker wird insoweit gespeist von erbärmlicher Feigheit. Die Ministerpräsidenten der Länder, bei denen die Hauptverantwortung für viele Maßnahmen liegt, haben schon im Frühsommer 2020 ängstlich den Schulterschluss gesucht und sich dann im Kanzleramt in Sicherheit gebracht. Als es um die Entmachtung der Länder beim Infektionsschutz ging, sind sie alle ohne Zögern umgefallen, so schnell konnte man gar nicht gucken, als sei Föderalismus ohnehin lästig und unnötig anstrengend.

Der politische Mut dieser Leute ist ein Gratismut, vergleichbar mit dem „Mut“ einer Schlägertruppe, die sich an wehrlosen Einzelnen vergreift, wie es übrigens auch die „Antifa“-Brutalos tun, die im Schutz von Maskierung und Anonymität ihre Gewaltneigung ausleben. Da sind Geistesverwandte zu erkennen, nicht umsonst genießen sie Duldung durch Behörden und Amtsträger. Unsere „führenden“ Politiker sitzen bei wohlgesinnten Moderatoren unangefochten im Staatsfernsehen und geifern die Opposition nieder. Die Panik, die der Bevölkerung eingeimpft wird, läuft per Demoskopie als „Meinung fast aller“ im Kreis und stärkt das beruhigende Gefühl der Gemeinschaft.

Damit wird die Verantwortung, mit der rückgratlose Einzelpolitiker überfordert sind, auf das Kollektiv abgewälzt. Man hat dann nur getan, wenn auch angeblich formvollendeter als die politische „Konkurrenz“, was „alle“ gesagt und für notwendig erklärt haben. Man hat, mit einer weiteren Prägung durch Frau Dr. Merkel gesagt, das Alternativlose getan. Aber das Alternativlose kann nur solange als solches gelten, wie die in Wahrheit vorhandenen Alternativen, die es immer gibt, mit Gewalt aus der Welt geschafft werden, mindestens als illegitim, lieber als kriminell deklariert.

Besonders „elegant“ ist natürlich, wenn man das eigene, auf Inkompetenz beruhende Versagen den „Anderen“, den Abweichlern in die Schuhe schieben kann – genau das geschieht beim kollektiven Impf-Fanatismus. Nicht etwa hat sich gezeigt, dass der Impfstoff nicht funktioniert. Nein, es könnte alles so schön sein, wenn nur die gemeinschafts-schädlichen „Impfverweigerer“ nicht wären. So argumentieren nicht nur deutsche Politiker, deren Bevölkerungsschäfchen längst in großer Mehrheit geimpft sind, sondern auch Politiker in Ländern, wo nicht einmal mehr 10 Prozent ohne die Gentechnik im Körper sind.

(Bemerkenswert: Der Gruppenzwang, der alternativlose Schulterschluss, die Flucht aus der Verantwortung für einen eigenen Weg gilt auch global. Die bösen Schweden sind für den Rest der westlichen Länder, was die Impfverweigerer innerhalb der nationalen Debatte sind. Man kann den Schweden nicht genug danken.)

Kein Witz: „Konservative“ Kollektivisten

Schuld ist gemäß der Impf-Dolchstoßlegende also der „Egoismus“ von Menschen, die keine Lust haben, einen Herzinfarkt zu riskieren, einen Schlaganfall oder eine degenerative Nervenkrankheit. Sie schädigen angeblich die Gemeinschaft, das große kollektive Ganze. Die Parole, unter der sich führende Politiker und Meinungsmacher versammeln, lässt sich knapp zusammenfassen: »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«. Blöd nur, dass es sich dabei um eine Naziparole handelt, eine der zentralen Losungen eines gewissen Adolf H. aus Braunau am Inn. Der Mann hat den Spruch nach seiner „Machtergreifung“ auf eine Reichsmark-Münze prägen lassen.

Aber hier soll gar nicht die Nazi-Keule geschwungen werden, mit der die Linken immer so wohlfeil hantieren. Das wäre auch einseitig und deshalb falsch. Der Impf-Fanatismus ohne Alternativen, die brutale Ausgrenzung der Minderheit: Das ist nicht speziell Nazi, sondern das ist totalitär, im Sinne der großen Hannah Arendt. Die Verneinung der individuellen Freiheit, die Übersteigerung des einen großen Kollektivs, dem alles unterzuordnen sei: Das ist genauso kommunistisch. Erstaunlich, dass in Deutschland auch vermeintlich „konservative“ Politikfürsten sich so unbedarft, ignorant und gefühllos auf solche Argumentationsmuster stützen, als sei dergleichen totalitäre Übergriffigkeit das Normalste von der Welt.

Das diene der „Gerechtigkeit“, behaupten sie frech. Als ob dem „tapfer Geimpften mit Maske“ irgendetwas geschenkt würde, wenn nun auch die „Impfverweigerer endlich mal an der Reihe sind“. Die Geimpften, denen man das Blaue vom Himmel herunter versprochen hat, sind angelogen worden, und sie haben sich „freiwillig“ impfen lassen, in eigener Verantwortung. Beide – die lügenden Politiker wie die gutgläubigen Untertanen – müssten sich eigentlich an die eigene Nase fassen, vor allem die Politiker sich für ihre Lüge entschuldigen bei den Angelogenen. Aber nein, statt dessen wird ein Sündenbock geschlachtet. Sachlogisch ist das nicht zu fassen, nur psycho-logisch. Es ist verrückt.

Die Impfzwang-Debatte zeigt aber nur beängstigend deutlich, wo Deutschland und andere westliche Länder inzwischen längst stehen: hart an der Kante zu einem kollektivistischen Totalitarismus. „Wehret den Anfängen“, pflegten manche früher zu sagen. Es sind leider dieselben, die jetzt schon mitten drin stecken, und sich dafür im Besitz höherer Moral dünken. Sie fühlen sich im Recht, weil sie pausenlos vor den bösen Nazis warnen, aber das zeigt nur, dass sie das Wesen des Totalitären nie verstanden haben. (Das wäre freilich noch die wohlwollende Interpretation, nicht die einzig denkbare.)

Ein Klima des Undemokratischen

Der Zwang zur Einheitslinie, der Ekel vor diesen komischen freiheitsliebenden Abweichlern, die sich etwas trauen, wozu einem selbst der Mut fehlt, ist ja nicht auf die Pandemie-Panik beschränkt, sondern zeigt sich dort nur besonders akut. Er zieht sich quer durch die Politik, aber parallel wird er vor allem bei der Klima-Panik sichtbar. Auch da gibt es keine Parteien mehr, nur noch Klimaschützer. Auch da kann „Egoismus“ nicht mehr geduldet werden, muss für das große Ganze geopfert werden. Hier wie dort soll angeblich „der Wissenschaft gefolgt werden“, aber es ist nur noch hysterischer „groupthink“.

Der Bezug zum kollektivistischen, politisch zwanghaften Denken kommunistischer Prägung ist dabei ebenso unübersehbar, denn das Klima-Regime deutscher und Brüsseler EU-Machart ist durch und durch planwirtschaftlich und freiheitsfeindlich. Was „NGOs“ und „Zivilgesellschaft“ auf nationaler wie EU-Ebene mit Rückendeckung durch die Verfassungsorgane vorantreiben, ist de facto eine Räte-Republik, eine Kader-Technokratie ohne wirkliche demokratische Kontrolle durch das Volk. (Leider haben die „Experten“ und Moralisten, die das vorantreiben, vom Klima soviel Ahnung wie die Herren Wieler, Drosten und Lauterbach von der Seuchenbekämpfung.)

Demokratie als sportlich-faire Konkurrenz von Alternativen hat ausgedient: Wenn man für seinen klimapolitischen Rigorismus in Deutschland keine Mehrheiten bekommt, dann geht man über die Brüsseler Technokratie und das Karlsruher Gericht, in dem inzwischen Aktivismus ohne Sachkenntnis vor dem Schutz der Verfassung rangiert. Dass die EU-Spitze unter dem Vorwand des Virus ebenfalls engmaschige Bürgerkontrolle und Impfzwang verfolgt, ist weder Zufall noch überraschend. Ob Karlsruhe einem Impfzwang einen Rest von freiheitlichem, rechtsstaatlichem Denken entgegensetzen würde, darauf werden noch Wetten angenommen.

Pandemie- und Klimapanik sind beide gekennzeichnet durch die „Alternativlosigkeit“, die Gleichschaltung der öffentlichen Debatte, die Übergriffigkeit und den Machbarkeitswahn der Herrschenden – bei gleichzeitiger eklatanter Inkompetenz in der Sache. Über allem steht freilich das „große Ganze“, dem sich alle unterordnen sollen. Ob es nur ein nationales ist, oder am liebsten gleich das Weltganze, ist schon fast nicht mehr entscheidend.

Dem Kollektivismus wird dabei auch unter dem Stichwort „Klima“ so explizit gehuldigt, als wolle man es herausschreien: Den bösen CO2-Emissionen des Verkehrs soll es an den Kragen gehen, indem der Individualverkehr (!) abgewürgt wird, zugunsten der kollektiv zu nutzenden, „gemeinschaftlichen“ öffentlichen Verkehrsmittel. Das ist zwar sachlogisch nicht gerechtfertigt, aber kein Zufall – sondern das eigentliche Motiv: Weil es den Kollektivisten um Abschaffung der individuellen Freiheit (auch Konsumfreiheit) geht, die ihrem Kontrollzwang und ihrem Gestaltungswahn im Wege steht.

Blöd ist nur, dass die Bürger nun wegen des Virus vorsichtshalber auf das Fahren mit Bus und Bahn reichlich verzichten und sich im eigenen PKW sicherer fühlen. Da gibt es zwischen dem neuen Kollektivismus und der Realität noch gewisse Reibungsverluste.

Gemeinsam! – Für Vielfalt und Alternativen

Die massiven Demonstrationen der braven Deutschen gegen den Impfzwang sind auch so ein Reibungsverlust – aus dem noch ein dicker Kolbenfresser werden kann, wenn die Politik so stur bleibt. Die Protestierer tun genau das Richtige: auf ihre Freiheit bestehen, auf die Alternativen orientieren, die einem regelrecht ins Auge springen, sobald man die Scheuklappen der verordneten Einheitslinie ablegt. Und – auch wenn es jetzt paradox klingt – die Vereinzelung beenden, die dem Volk mit Lockdowns und Masken aufgezwungen worden ist, stattdessen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmung kämpfen.

Es stimmt schon: gemeinsam ist man stärker. Aber es ist eben ein Unterschied, ob marginalisierte Gruppen solidarisch aktiv werden, um die pluralistische Gesellschaft zu retten – oder ob man nur das eine große Kollektiv unter Entrechtung der Individuen will, wie es unsere politische Klasse überwiegend bevorzugt.

Der Kampf gegen den Impf-Totalitarismus ist nur der Anfang. Wir brauchen wieder echte politische Alternativen, Pluralismus im besten Sinne, mit echter Diversität der Überzeugungen. Deutschland ist nicht erst kürzlich an kollektivistischer Alternativlosigkeit erkrankt. Der Impfzwang ist nur ein Symptom, wenn auch ein wahrhaft gefährliches.

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