Tichys Einblick

Deutschland – das Land der Oberlehrer?

Die unermüdlichen Trump-Kritiker sind im Moment wieder durchgängig auf allen Kanälen und in allen Publikationen hoch aktiv. Eine Medienkanonade mit Texten und Leserkommentaren, die an "Hatespeech" grenzen.

© Adam Berry/Getty Images

Deutschland, vormals „das Land der Dichter und Denker“ genannt, hat sich inzwischen dieser (Dichter und Denker) erfolgreich entledigt und befleißigt sich stattdessen (mal wieder), die Welt zu erziehen. Die Kanzlerin macht es vor: Wenn sie sich überhaupt einmal zu Wort meldet, tut sie das häufig in erzieherischer Absicht. Keiner wird ausgespart: von den „Dunkeldeutschen“ bis zum US-Präsidenten entgeht niemand ihren Belehrungen im Schulaufsatz-Stil.

An die „Dunkeldeutschen“

Sommerpressekonferenz 2015: „Wie ich es schon zu Beginn dieses Jahres in meiner Neujahrsansprache gesagt habe, sage ich auch heute denen, die, aus welchen Gründen auch immer, bei solchen Demonstrationen mitlaufen: Folgen Sie denen nicht, die zu solchen Demonstrationen aufrufen! Zu oft sind Vorurteile, zu oft ist Kälte, ja sogar Hass in deren Herzen. Halten Sie Abstand!

Neujahrsansprache Ende 2015: „Es kommt darauf an, denen nicht zu folgen, die mit Kälte oder gar Hass in ihren Herzen ein Deutschsein allein für sich reklamieren und andere ausgrenzen wollen.“

An die „Guten“

„Es kommt darauf an, auch in Zukunft ein Land sein zu wollen, in dem wir selbstbewusst und frei, mitmenschlich und weltoffen sind – mit der Freude am Gelingen, mit der Freude, die es machen kann, wenn wir unser Bestes geben.“

An den gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten

„Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an.“

Trump-Bashing

Die Erwartungen – wenn es überhaupt welche gab – wurden anscheinend enttäuscht. Die unermüdlichen Trump-Kritiker sind – das geht in Wellen – im Moment mal wieder durchgängig auf allen Kanälen und in allen Mainstream-Gazetten hoch aktiv. Eine Medienkanonade, die ihresgleichen sucht. Wenn so etwas passiert, habe ich gelernt, muss man sich ausklinken und sich nach den Hintergründen für die von der Presse mitgetragene Kampagne fragen. Politik wird nicht allein im „Weißen Haus“ gemacht. Mächtige Kreise wie der „Militärisch-industrielle Komplex“ und die Geheimdienste agieren hinter den Kulissen. Und Donald Trump scheint diesem Establishment insgesamt ein Dorn im Auge zu sein. Es läuft nicht mehr so, wie es z.B. unter Barack Obama lief.

Hier eine Zusammenfassung der Ansichten von Lesern von einem von mir wahllos herausgegriffenen Artikel im „Spiegel“ zum Thema Donald Trump, die einen Überblick über die derzeit herrschende (Spiegel-)Meinung gibt:

Präsident Donald Trump: ein kleines dummes Kind, das von nichts eine Ahnung hat. Weder von Wirtschaftspolitik, noch von irgendwelchen wirtschaftlichen Staatenbündnissen. Der wahrscheinlich nicht einmal weiß, welche Länder zur EU gehören und wo er sich gerade auf der Erde befindet. Vielleicht glaubt er ja auch noch, dass die Erde eine Scheibe ist. Eine unerträgliche Comic-Figur, aus deren Mund nur Mist kommt. Ein Faschist, ein Sabbelkopf, ein alter Sack mit dem Verstand eines Erstklässlers. Ein eitler, narzisstischer, arroganter, überheblicher und ignoranter Gockel und Widerling. (Usw.) – Politisch relevant ist das alles nicht.

Propaganda umbenannt in Public Relations
Gedanken zur Bundestagswahl im September
Natürlich wissen alle diese Leser genau, wie der Mann tickt. Und vor allem, dass er nicht so tickt, wie ihre Medien das gern hätten. Also zuerst Anamnese durch Journalisten und Leser – und dann Therapie? Oder lieber gleich „weg mit ihm“, weil erziehungsresistent? Weil der Mann eben nicht ganz richtig tickt? Her mit ein wenig Sippenhaft und Hatespeech: Die Amerikaner hätten ihn gewählt. Das lasse Rückschlüsse auf das Volk zu. Ein anderer Leser hat „eine Idee. Setzt ihn doch auf einen elektrischen Stuhl und sagt ihm, das sei ein Massagesessel, den man nur noch einschalten muss. Problem gelöst.“

Und der Spiegel druckt es. Josef Joffe hat’s ja schon vorgemacht beim Presseclub. Erinnern Sie sich? Auf die Frage einer Zuschauerin, ob es noch einen Ausweg aus der Trump-Katastrophe gebe, sagte er: „Mord im Weißen Haus.“ Die Kollegin Constanze Stelzenmüller ermahnt ihn unter dem verständnisinnigen Gelächter der anderen: „Ernst bleiben, Josef!“

Hart aber fair: „Außer Kontrolle – wie gefährlich ist Trump für die Welt?“

Frank Plasberg und Gäste betrachten es als ihre Aufgabe, in einer Stunde und 15 Minuten alles Wissenswerte über den US-Präsidenten herauszufinden. Wie man ihn wieder loswerden kann, ist das Anliegen. Küchenpsychologie wird anfangs negativ erwähnt, dann aber ausgiebig selber genutzt. Darf der überhaupt noch Präsident sein, fragt Plasberg die Teilnehmer, unter denen es kaum eine abweichende Meinung gibt. Die üblichen Schlagworte fliegen herum: gemeinsame Werte (die Trump nicht kenne oder die ihm egal seien), die Russen lachen sich ins Fäustchen, Elefant im Porzellanladen, narzisstisch, dumm, verantwortungslos. Feuert sinnlos Mitarbeiter, mutmaßliche Wahlkampfabsprachen. Prahlsucht, infantiler Egomane. Die Arroganz ist atemberaubend. Plasberg fragt, wie denn wohl Putin über diesen neuen Mann im Weißen Haus denke und erwartet darauf auch noch eine brauchbare Antwort. Wie wär’s mal mit: „Das weiß ich nicht und möchte deshalb auch nicht darauf antworten.“

Die Therapeutin Bärbel Wardetzki liefert die Ferndiagnose: Narzissmus. Die Welt werde von einem selbstbezogenen Kind angeführt, das seine Wähler um seiner emotionalen Bedürfnisse willen ausbeute. – Interessant  jedoch ein  Video, das zeigt, wie Präsident Obama Donald Trump auf einer öffentlichen Festveranstaltung unter allgemeinem Gelächter gnadenlos demütigt. Das soll seine leichte Kränkbarkeit beweisen.

Die Aussagen werden nicht vorsichtig als Mutmaßungen vorgebracht, sondern als Tatsachen statuiert und bewertet. Das widerspricht eindeutig den Maximen der therapeutischen Ethik, nach der es gilt, sich im Austausch mit dem Therapierten in einem geschützten Raum stetig und ohne moralische Bewertung an seine Problematik heranzutasten, was Jahre in Anspruch nehmen kann. Ein komplexer und sehr persönlicher Vorgang. Eine fahrlässige Schnell-Diagnose würde auch von jedem Gericht abgelehnt, gauckelt sie doch vor, jeder könne Therapeut sein.

Eine Ära ist zu Ende gegangen

Beim Ansehen von „Hart aber fair“ fiel mir spontan die Haltung von Altbundeskanzler Helmut Schmidt ein, der wenige Jahre vor seinem Tod noch heftig gescholten wurde, weil er u.a. bei „Beckmann“ den deutschen Drang nach Belehrung anderer kritisiert hatte. Ein Land dürfe sich nicht zum Fürsprecher für die ganze Menschheit machen, äußerte er auch in einem im Januar 2014 von Giovanni di Lorenzo geführten „Zeit“-Interview.

Helmut Schmidt: „Ich würde für die Menschenrechte in meinem eigenen Land notfalls auf die Barrikaden gehen, aber ich habe nicht das Recht, anderen Leuten öffentlich Ratschläge zu geben.“ „Humanitäre Interventionen“ (wie man militärisches Eingreifen heute nennt) seien nur in Härtefällen und nur unter der Bedingung zulässig, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zugestimmt habe. Politik habe nichts mit Illusionen zu tun, sondern mit Tatsachen. Man müsse sich bewusst sein, dass die Möglichkeiten, sich belehrend einzumischen, beschränkt seien. Ob es sich um den Iran des Schahs handle oder um den aktuellen Iran, ob um den Irak von Saddam Hussein oder den Irak jetzt, ob um China oder die ehemalige Sowjetunion: „Die Reden, die westliche Minister an deren scheinbare Adresse halten, spielen für die Entwicklung in diesen Staaten keine Rolle – das können sie auch nicht.“ – Und später: „Ich bin wahrscheinlich stärker am Frieden orientiert. […] Das propagandistische Beharren auf der Theorie der Menschenrechte und zugleich in der Praxis oft das Gegenteil tun, das verurteile ich.“

Als Helmut Schmidt am 10. November 2015 starb, waren sich viele bewusst, dass mit seinem Tod eine Ära zu Ende ging.

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