Die 709 Abgeordneten des Deutschen Bundestages bekommen mehr Geld: drei Prozent. Ihre Bruttobezüge steigen mit 1. Juli 2019 von monatlich 9.780,28 Euro auf 10.073,69 Euro. Der Grund dafür ist die Koppelung an die Nominallöhne, und dort gab es in diesem Jahr ein Plus von drei Prozent. Doch was andernorts verdient wird, spielt keine Rolle. Die magische Zahl mit ihren vier Nullen löst Protest aus.
Der zweite Reflex ist einer, der hier verstärkend wirkt, aber gesamtgesellschaftlich sehr verbreitet ist. Es sieht so schön aus: im bequemen Sessel sitzen, mit wichtiger Miene zum passenden Zeitpunkt die Hand heben, gelegentlich eine Rede halten und abends – es kann gar nicht anders sein – von Buffet zu Buffet wandern. Das jedenfalls ist das Bild, das viele Menschen von Bundestagsabgeordneten haben. Und da kommt er dann: der blanke Neid. Speziell in Deutschland ist diese Gefühlsregung sehr verbreitet, wie Rainer Zitelmann jüngst nachgewiesen hat.
Und der dritte Reflex ist nicht weit – es ist die bereits genannte Koppelung der Diäten an die Nominallöhne. Seit 2016 erfolgen damit Diätenerhöhungen ohne Aussprache im Plenum des Parlaments und ohne Abstimmung. Prompt wird den Abgeordneten nachgesagt, sie würden die Erhöhung geheimhalten wollen. Und für die überwiegende Mehrzahl der Menschen – und zwar durchaus auch für solche, die fleißig und erfolgreich sind – ist ein monatlicher Geldeingang in fünfstelliger Höhe in unerreichbarer Ferne.
Der Bund der Steuerzahler protestiert
Doch die Bezahlung einer beruflichen Tätigkeit hat auch eine Menge mit deren Wirkung zu tun. Und hier könnten die gesellschaftlich weit verbreiteten Negativ-Reflexe, die jede Diätenerhöhung auslöst, ihre entscheidende gesellschaftliche Verstärkung erfahren. Denn mit dem Mandat eines Bundestagsabgeordneten ist viel Verantwortung verbunden. Bürger, die ihre Interessen nicht gewahrt sehen, die eine vermeintliche oder reale Gefahr über dem Land schweben sehen, der „die Politiker“ nichts entgegensetzen – solche Bürger echauffieren sich über die Höhe von Diäten. Das ist verständlich. Nicht zuletzt deshalb, weil es keine Verpflichtung gibt, eine Unterscheidung zu machen zwischen der Amtsführung und dem Anspruch an dieses Amt.
Ein neuer Aufreger? Mitnichten!
Betrachten wir die Sache noch einmal genauer. Bundestagsabgeordnete sind vom Souverän – vom Wähler also – beauftragt, dessen Interessen zu wahren. Gelingt dies nicht, kommt Unzufriedenheit auf, die sich an der Höhe der Diäten entlädt, denn Geld ist die direkte Übersetzung für einen Wert. Ist die Politik aber wertlos, sind schon die niedrigsten Diäten zu hoch. Und das unbeschadet der enormen Verantwortung für das Land, die jeder einzelne Abgeordnete hat. Ja, sogar die Zuschläge, die jedem Parlamentarier für sein Büro zustehen, lassen sich einigermaßen kohärent erklären. Mit diesem Geld werden zumeist Akten bearbeitet, die nicht der Abgeordnete verfasst hat, die er aber kennen muss, um sachgerecht entscheiden zu können. Und so viel Ironie muss sein: Mehr Abgeordnete machen mehr Arbeit.
Der Griff zur Gelben Weste
Nachdem es in einem demokratischen Land immer einen Teil der Bevölkerung gibt, der mit der Politik nicht einverstanden ist, wird es auch immer Bürger geben, die die Höhe der Diäten für Politiker unangemessen finden. Das Sprichwort, nach dem der Sack geschlagen, aber der Esel gemeint werde, kann den hier beschriebenen gedanklichen Mechanismus zwar annähernd, aber nicht zufriedenstellend beleuchten. Und das auch, weil es noch einen ganz anderen Blickwinkel gibt. Ausgaben von 356,4 Milliarden Euro verantworten die Abgeordneten des Bundestages in diesem Jahr, denn so hoch ist der aktuelle Bundeshaushalt. Das ist mehr als die Bilanzsummen von Volkswagen und Siemens zusammen.