Tichys Einblick
Ein Flugzeug, das niemand mehr braucht

Deutsche Schlafmützen und das Ende des offenen Himmels

Deutschland offenbart beim Open-Skies-Abkommen mal wieder seine militärische Belanglosigkeit. Während die Amerikaner mit dem Ausstieg drohen, weil die Russen das System missachten, präsentieren die Deutschen mit jahrzehntelanger Verzögerung ein Flugzeug, das niemanden mehr interessiert.

imago images / Horst Galuschka

Donald Trump steigt reihenweise aus internationalen Abkommen aus. Nun ist der „Vertrag über den offenen Himmel“ an der Reihe, auch als Open-Skies-Abkommen bekannt. Die teilnehmenden Nationen gestatten es sich damit gegenseitig, Foto-, Radar- und auch Infrarot-Aufklärung auf festgelegten Routen als vertrauensbildende Maßnahme zu betreiben. Und die ach so gründlichen Deutschen kommen einmal mehr zu spät zu Potte. Aber der Reihe nach.

Mit dem 1990 geschlossenen und 1992 in Kraft getretenen KSE-Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa wurden Obergrenzen für schwere Waffensysteme festgelegt. Aus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hatte sich in den 90er Jahren die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entwickelt, eine auf Dauer angelegte Staatenkonferenz zur Friedenssicherung. Der Kalte Krieg war Geschichte geworden, die offensiv nutzbaren Waffenbestände vom Atlantik bis zum Ural wurden drastisch reduziert. Den jahrzehntelangen Feindmächten fehlte es jedoch verständlicherweise am gegenseitigen Vertrauen, eine gewisse Kontrolle der eingeleiteten Entwicklungen war unabdingbar. So nahmen verschiedene Verifikationsideen mit einem System von Informationspflichten und Inspektionsmöglichkeiten Gestalt an.

Unter anderem wurde im Jahre 1992 das internationale Open-Skies-Abkommen zwischen NATO- und ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten geschlossen, das endgültig 2002 in Kraft trat. Damals ein Fortschritt, Beobachtungsflüge sollten Transparenz ermöglichen, Konflikte vermeiden helfen und einem dauerhaften Frieden dienen. Den zuletzt 34 Unterzeichnerstaaten sind mehrere Verifikationsmissionen pro Jahr im Luftraum der Vertragspartner erlaubt. Zur Ausführung kamen inzwischen über 1500 Beobachtungsflüge mit Vertretern der beobachtenden als auch der beobachteten Staaten. Den Vertrag mit geschlagenen 112 Seiten finden Sie hier.

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Was auch in der Praxis anfangs halbwegs ordentlich funktionierte, geriet im Laufe der Zeit in schweres Fahrwasser. Politische Turbulenzen im Gefolge eines zunehmenden russischen Selbstbewusstseins wie auch US-amerikanischer Pläne beispielsweise zum Aufbau von Radarstationen in Osteuropa ließen den Vertrauensprozess leerlaufen. Auch die Verifikationsmaßnahmen wurden damit schwieriger, zunehmend zog Misstrauen ein in ein auf Vertrauen angelegtes System gegenseitiger Offenheit.

Die Deutschen wollten wieder mal alles recht gründlich machen und hatten zwei aus der DDR-Konkursmasse übrig gebliebene Flugzeuge des Typs Tupolew TU-154 mit Sensorik für Überwachungsaufgaben ausgerüstet. Einem Flugzeugunglück vor der Küste von Namibia fiel 1997 eine der beiden Maschinen mitsamt der nur einmal vorhandenen Gerätschaften zum Opfer. Beim Transport von 12 Marineseglern zu einer Regatta in Südafrika stieß sie über dem Südatlantik mit einem US-amerikanischen Militärtransporter zusammen, die Insassen beider Flugzeuge kamen ums Leben. Wir müssen heute nicht mehr über die Frage richten, weshalb ausgerechnet diese Tupolew für den Transport einer Seglercrew nach Kapstadt eingesetzt wurde. Auch nicht darüber, was die Bundesmarine überhaupt als Teilnehmer einer Regatta am anderen Ende der Welt verloren hat. Jedenfalls blieb daraufhin der Offene Himmel 22 Jahre lang für Deutschland eine offene Baustelle. Die Bundesregierung nahm die Hilfe von Partnernationen wie Schweden und Rumänien in Anspruch, die ihre Flieger in Einzelfällen zur Verfügung stellten.

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Nun ist es kein Jahr her, dass die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Hamburg einen umgerüsteten Airbus A 319 für die Bundeswehr übernahm. Die frühere Passagiermaschine des VW-Konzerns war über zwei Jahre lang aufwendig umgebaut und mit den erforderlichen Spezialkameras und Infrarotsensoren ausgestattet worden. Mit dieser „Beobachtungsplattform“, wie sie das Verteidigungsministerium verniedlichend nennt, sollen über dem Territorium Russlands 20 Einsätze pro Jahr absolviert und dabei eine Form legaler Spionage betrieben werden.

Um die Missionsaufgaben endlich übernehmen zu können, ist ein Zertifizierungsprozess aller Mitgliedsstaaten zu absolvieren. Der Flieger soll vom Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen auch anderen Nationen zur Verfügung gestellt werden. Als Betreiber fungiert die Flugbereitschaft des Bundesverteidigungsministeriums und damit die Luftwaffe. Nach Jahrzehnten des Hinwartens freute sich der Staatsminister im Auswärtigen Amt Niels Annen während der Übergabe, „ … dass Deutschland wieder ein eigenes, modernes Flugzeug für Überflüge bereitstellt.“ Der Open-Skies-Vertrag sei eine unverzichtbare Säule der Rüstungskontrolle im OSZE-Raum.

Durchaus typisch, kommt Deutschland mal wieder reichlich spät mit einer Hochglanzlösung aus den Startlöchern. Und zwar in einer Phase, in der sich die großen Spieler auf dem Feld bereits wieder verabschieden. Die USA haben aktuell ihren Ausstieg aus dem Open Skies-Abkommen zur gegenseitigen militärischen Luftüberwachung angekündigt. Begründet wird dies mit russischen Vertragsverletzungen, indem sie amerikanischen und verbündeten Flugzeugen Überflüge verweigern, zitiert die Bild-Zeitung den nationalen Sicherheitsberater Robert O’Brien,

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Demnach verletzt Russland seit Jahren das Abkommen. Den Vertragspartnern werde beispielsweise untersagt, die höchst sensible Region Kaliningrad, die Krim oder das Grenzgebiet zu Georgien zu überfliegen. Im Gegenzug spioniert Moskau wichtige US-Einrichtungen aus und meint, das Weiße Haus und Donald Trumps Golfklub in New Jersey aus der Luft in Augenschein zu müssen, wie 2017 geschehen. Bewusste Provokationen anstelle vertrauensbildender Maßnahmen.

Angesichts dessen ist der Frust der amerikanischen Regierung nachvollziehbar. Es sollte aber jede der 34 beteiligten Nationen alarmieren, wenn sich ein Vertragspartner nicht an die Abmachungen hält. Das Konzept des offenen Himmels funktioniert schließlich nur, wenn keine Sperrzonen existieren. Sonst wird es zum Fall für die große Ablage. Zumal sowohl Russland als auch die USA heutzutage über hochpräzise Satellitentechnik verfügen. Am über 50 Jahre alten Fluggerät auf der Basis der Boeing 707 ist zu erkennen, dass die Amerikaner Open Skies nicht mehr benötigen. Nur noch militärisch wenig potente Mittelstaaten wie die Bundesrepublik profitieren. 

In Moment der Austrittsankündigung der Amerikaner kommt nun Deutschland mit seinem Open-Skies-Flieger auf den Markt. In dem Moment, in dem die Basis für diese Art der Verifikation wegbricht. Die Amerikaner drohen mit dem Ausstieg, die Russen führen das System an der Nase herum und die Deutschen präsentieren mit jahrzehntelanger Verzögerung eine technisch ausgefeilte Lösung. Tolle Sache das Ganze. Die deutschen Multilateralisten wie der amtierende Außenminister versuchen die Chose retten und appellieren an beide Seiten, sich an das Abkommen zu halten. Die Großmächte tippen sich derweil hinter vorgehaltener Hand an die Stirn. Die USA brauchen es nicht, die Russen legen es nach ihrem Gutdünken aus und die Europäer machen es sich in ihrem Vorgarten bequem.

Deutschland schießt mal wieder den Vogel dabei ab: Eine Jahrzehnte zu spät kommende technische Superlösung, an der die Zeit schlicht vorbei gegangen ist. Auch daran zeigt sich mal wieder die Krux deutscher Rüstung: In den politischen Gremien werden Vorschläge Jahre um Jahre hin- und hergekaut; wenn die endlich zu Potte gekommen sind, fangen die Militärs an, technische Superlösungen zu spezifizieren, die Industrie klatscht in die Hände. Bis einsatzreifes Gerät endlich um die Kurve kommt, passt die Lösung nicht mehr zum Ausgangsproblem.

In den Medien wird währenddessen zwar ausgiebig über Donald Trump als Master of Disaster geschimpft, die deutsche Schlafmützigkeit aller Ebenen wird nicht mal wahrgenommen. Wie leicht lebt es sich doch mit einem etablierten Feindbild.


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