„Alles, was der Durchsetzung sozialistischen Bewusstseins dient, ist moralisch.“ Wer also die höhere Moral bei sich verortet, muss sich bei seinen Handlungen nicht an den Maßstäben von richtig oder falsch orientieren – der Zweck heiligt eben die Mittel. Längst ist an den meisten deutschen Universitäten, aber auch in vielen Kultureinrichtungen und Redaktionsstuben, besonders der öffentlich-rechtlichen Medien, diese Richtschnur des Begründers der kommunistischen Diktatur in Russland, Wladimir Iljitsch Lenin, zur täglichen Anweisung geworden. Von diesem Idol der weltweit vereinigten Linken stammt auch der aufschlußreiche Satz aus seiner Schrift „Was tun?“ über Sinn und Zweck von Propaganda: „Wenn die Tatsachen nicht zur Ideologie passen, so ist das die Schuld der Tatsachen.“
Wer so denkt, kann auch mit der Meinung anderer oder gar mit Kritik an seinen eigenen Überzeugungen nichts anfangen. Am besten ist es, so etwas von vornherein erst gar nicht zu Wort kommen zu lassen. Längst ist unter dem Kampfbegriff „Cancel Culture“ eine besonders makabere Form der „political correctness“ vor allem im Westen Wirklichkeit geworden. Da werden Auftritte von Kritikern, beispielsweise der vielerorts vorherrschenden Klimahysterie, gut organisiert durch massives Stören unmöglich gemacht. Häufiger noch wird bereits im Vorfeld eine derartige Drohkulisse mit gleichzeitigem Shitstorm aufgebaut, dass die Veranstalter von vornherein von ihrem Vorhaben Abstand nehmen. Finden sie dann doch statt, werden Studenten, die auch mal etwas anderes hören wollen als die Worthülsen links-ideologischer Agitation, durch Spaliere aggressiver Jünger der Weltrevolution unter psychischen Druck gesetzt.
Besonderer revolutionärer Elan entwickelt sich aber auch bei Themen wie Gender-Lehre, Identität, toxische Männlichkeit und Sexismus und schließlich der „mangelnden Aufarbeitung des Kolonialismus“. Nicht zu vergessen ist die Problematik des Nahost-Konflikts, wobei Israel stets auf der Anklagebank zu sitzen hat und das Klagelied der Palästinenser angestimmt wird. Wer das nicht so sieht, darf einfach nicht zu Wort kommen. Kein Wunder, dass in einem solchen Klima die Hochschullehrer oder sonst Verantwortlichen mit Rücksicht auf die eigene Karriere erst gar nicht auf die Idee kommen, die zur wissenschaftlichen und kulturellen Freiheit gehörende Meinungsvielfalt durchzusetzen.
Die britische Regierung hat jetzt genug von diesen selbsternannten Zensoren. Gavin Williamson, Erziehungsminister im Kabinett von Boris Johnson, legte Ende vergangener Woche einen Gesetzentwurf vor, mit dem die Meinungsfreiheit geschützt und wiederhergestellt werden solle. Dazu soll die Stelle eines Sonderbeauftragten bei der Regierung geschaffen werden, an den sich Betroffene wenden können. Er habe dann die Möglichkeit, von den Universitäten und anderen Trägern zu verlangen, das Grundrecht der freien Rede herzustellen und im Zweifel einzuklagen und bei Nichtbefolgung der gerichtlichen Anordnungen selbst Strafen zu verhängen. Schon melden sich erste Kritiker zu Wort, die die Autonomie der Universitäten beeinträchtigt sehen. Eine Kritik, die ein Regierungssprecher umgehend zurückwies.
Sicher hat eine der glühendsten Verfechterinnen der Meinungsfreiheit, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) diese britische Initiative längst aufgegriffen. Mal sehen, wann sie sich einen solch mutigen Schritt für die Freiheit der Debatte von ihrer Chefin absegnen lässt und ins Parlament einbringt. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass man darauf vergeblich hoffen wird. Denn, so hörte man unlängst aus ihrem Hause, so etwas wie „Cancel Culture“ gäbe es in Deutschland gar nicht. Vielleicht sollte sie mal die Wissenschaftler vom „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ auf einen Kaffee einladen. Aber im Zeitalter der Corona-Katastrophe fehlt ihr dafür sicherlich die Zeit.