Der Anfang vom Ende: Wenn die Mächtige strauchelt, dann soll ihr bald nichts mehr gelingen, und auch das Volk verliert Schritt für Schritt den Respekt. Zitat aus dem Märchen:
„Aber er hat ja gar nichts an!“ rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: ,Nun muß ich aushalten.‘ Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.“
Im Märchen von Andersen passiert das, was der Regentschaft der Kanzlerin gerade widerfährt.
Im immer lauter werdenden Chor der Zweifler schmilzt ihr Nimbus dahin, der ihr noch über die Katastrophe der Migrationskrise hinweggeholfen hatte: dass sie wisse, was sie tue, und dass et mit ihr, wie der Kölner sagen würde „noch emmer joot jejange“ sei. Wie Andersens blamierter Fürst trottet sie nun ohne Bedeckung, aber sich trotzig einredend, dass man das nun aushalten müsse, weiter.
Gerade ist sie im NSA-Untersuchungsausschuss zum „Abhörskandal“ befragt worden. Ein Novum für die Frau, die die Zeitungen noch vor kurzem als mächtigste Frau der Welt bezeichnet hatten.
n-tv sieht sie unter der recht zweideutigen Überschrift „Schnüffeleien und die Kanzlerin“ erst einmal den Ausruf aller ertappten Bösewichter wiederholen „habe ja auch nichts gewusst!“.
Sie stehe nun vor einem „Dilemma“, müsse erklären, warum der Geheimdienst Freunde ausspähe (was ja gar nicht gehe, so Merkel 2013) und habe dafür eine „besondere“ Erklärung parat gehabt: dass sie erstens nur den politischen Auftrag im Blick haben und sich zweitens nicht in die Untiefen technischer Details begeben könne.
Damit zielt n-tv in genau die gleiche Kerbe des Merkel‘schen Panzers wie der Focus, der sich eines Versprechers der Kanzlerin gleich in Farbe und Video widmet und mutmasst, dass die eiserne Kanzlerin, die dem Ausschuss schusselig ihren Mädchennamen angegeben hatte, dabei wohl „nervös“ gewesen sein könnte.
Und selbst der Spiegel verschweigt den verbalen Ausrutscher der Kanzlerin nicht, der er anlässlich des Anschlags in Berlin noch bescheinigt hatte, die richtigen, mit Entschlossenheit gesprochenen Worte zu finden, und benutzt auch noch die Bezeichnung „Merkelsch“, als sie auf ihre politische Erfahrung und darauf verweist, dass sie „nichts gewusst und nichts vorgegaukelt“ habe.
Zur Krönung zitiert das Nachrichtenmagazin dann das, was es als „knifflig-cleveren Satz“ bezeichnet: „Das, was Sie von mir hören, ist das, was ich wusste, und davon wusste ich nichts.“ Und fragt anschliessend ironisch: „Noch Fragen?“
So sieht es wohl aus, wenn eine geknickte Kaiserin nur spärlich verhüllt vor den Augen des Plebs zurück in Richtung Palast schlurfen muss. Insgesamt hat sich die Lage für die einsame Kanzlerin mit dem überraschenden Auftauchen des feindlichen U-Boots Martin Schulz aus der ruhigen Oberfläche des von der Groko bisher einträchtig geglätteten politischen Brackwassers erheblich eingetrübt.
Die einst heisse Romanze mit der taz, die noch im November nach Merkels Ankündigung zu kandidieren in deren typischen Handbewegung ein magisches Instrument gegen böse Geister gesehen und sie als „sagenumwobene Pragmatikerin der Macht“ bezeichnet hatte, kühlte anlässlich des Bundesparteitags schon ab. Dort habe sie es mit einer „Demutsgeste“ grade geschafft, ein respektables Ergebnis einzufahren. Die Zeiten, zu denen sie auf einem Karlsruher Parteitag in ihrer Rede den Wert „der Würde des Einzelnen“ noch hoch gepriesen habe, seien nun inmitten einer „brodelnden Parteibasis“ Vergangenheit. Hier fehle es an „Begeisterung“ überschreibt die Zeitung einen Absatz, in dem ein paar der Kronprinz*essinen kurz abgehandelt werden, am Ende aber das Fazit gezogen wird, dass die Rede der „Frau aus der Uckermark“ „über weite Strecken derart ereignisarm sei, dass man sich frage, wie es um ihren Machtanspruch tatsächlich bestellt sein möge“. Freundlicher Applaus wird ihr von der taz noch attestiert, mehr nicht.
Die Wahl Steinmeiers kommentiert die taz dann als „Klatsche“ für die Bundeskanzlerin, denn schon die Eröffnungsrede von Herrn Lammert habe ordentlich Applaus und „Standing Ovations“ bekommen, und der sei ja bei der Nominierung als Präsidentschaftskandidat von ihr außen vor gelassen worden. Das Ergebnis des AfD-Kandidaten, den die taz nicht mal einer namentlichen Nennung für würdig erachtet, sieht sie auch wieder als Anzeichen für „das unzufriedene Brodeln und Blubbern in der CDU“. Giftige Gase, die da vor dem geistigen Auge wabern.
Und die Wahl eines Sozialdemokraten zum Präsidenten erhielte nun durch die Kanzlerkandidatur des roten Martin Schulz genau die explosive Komponente, die Schulz endgültig ins Kanzleramt befördern und Merkel’s vierte Kanzlerschaft platzen lassen könnte, meint das Blatt und zeichnet das Bild einer SPD, die mit MS nun wie Asterix Zugriff auf einen Zaubertrank habe.
Dieser rote Brandbeschleuniger Martin Schulz aber pflügt nach wie vor durch den Blätterwald der Deutschen Zeitungen wie ein junger Gott. Bei der taz hat man sich eine Meinung gebildet. Der Mann kann Merkel stürzen.
Der Verfasser spricht von einer „mächtigen Freude“ der SPD über sein Erscheinen, das dem eines Messias gleiche. Im Bundeskanzleramt habe man mit Schrecken nun erkennen müssen, dass das „Konzept des Kleinredens der politisch Nächsten“ (man muss hier fast Mitleid mit Gabriel bekommen) die nur in die „Macht (Merkels) eingebunden seien“, mit Schulz nicht zu machen sei.
Und die taz wartet mit einer mächtigen Zeugin dafür auf: Bei „Anne Will“ habe Schulz sein überschäumendes Temperament, sein Streben nach Oben, kaum zügeln können: er habe gewirkt, wie ein (demokratischer, natürlich) Machthungriger, der ES wolle. Er habe bei Anne W. alles in einer Stunde gesagt, was wichtig gewesen wäre, und dabei sei in jeder Sekunde spürbar gewesen, dass er, der ja so viel anders als Gabriel (der es gegen Merkel nicht habe schaffen können) sei, nun endlich den Genoss*innen aus dem Herzen spreche.
Schulz, so die Zeitung, sei ein „Erregungsredner mit diplomatischen Nebenqualifikationen“: Er hinterlasse den „Eindruck von Authentizität, von demokratischer Gegnerschaft“, und erkläre die „soziale Gerechtigkeit und Bewahrung jener Werte, die das Trump-Regime in den USA gerade zerstöre“ (jetzt schon?) zum „Ernstfall“. Wahrlich ein explosives Plädoyer für den Kandidaten, das die taz da führt.
Im Februar zeigen die Suchfunktionen der Süddeutschen, der Zeit, und der Freien Presse konstant über 120 Artikel die sich um „Angela Merkel“ drehen, Martin Schulz erhält als Kandidat bei allen drei Blättern über 80 Treffer. Rechnet man mit ein, dass die Bundeskanzlerin qua Amt ständig in den Schlagzeilen ist, geniesst Schulz damit auch einen Monat nach seiner „Krönung“ immer noch sehr ansehnliche mediale Aufmerksamkeit, auch ohne prickelnde Aufritte in der Weltpolitik.
Selbst wenn sich die Umfrageergebnisse für die SPD wieder von ihren ersten Schulz‘schen Hochs entfernen und die Union wieder zulegt, sind die Zeichen eindeutig. Die Schonzeit für Angela Merkel ist vorbei, nachdem man sich in der Presse nun sicher ist, dass er, wie es so schön neudeutsch heisst:
„gekommen ist, um zu bleiben“.
Wie man der eigenen Themenseite der ewigen Kanzlerin bei der Welt entnehmen kann, fallen von 19 dort gezeigten Artikeln nur wenige unter dem Strich positiv für sie aus. Zwar hat sie nach Auffassung der Zeitung in München im Schatten des Donald Trump ein paar Punkte und etwas Applaus ernten können. Aber ihre Algerien-Reise wurde abgesagt, ihre Flaute belaste ihren Vertrauten, und ein Sohn Helmut Kohls mache ihr schwere Vorwürfe, sie sei auch nicht mehr die „Zuchtmeisterin“ Europas. Schnörkellos bescheinigt die Welt einer „Frau Merkel“, dass sie „leise Abschied von der Austerität“ nehme.
Die Presse liebäugelt weiter mit Martin Schulz, der einst stolze Trawler MS Angela liegt für sie bereits im Abwrackdock.
Emil Kohleofen ist freier Publizist.