Die Synagoge in Gelsenkirchen ist für mich ein ganz besonderer Ort. Dort hatte ich im Oktober 2008 meine Bat Mizwa – in der jüdischen Tradition ist dies die Feier zur religiösen Mündigkeit, die Mädchen mit zwölf Jahren erreichen. Ich erinnere mich gut an diesen Tag und an meine Aufregung: Das Outfit war seit Wochen geplant, es waren sehr Viele aus der Gemeinde gekommen, ich habe einige Gebete gesprochen und eine kleine Rede vor der Gemeinde gehalten. Es war ein sehr schöner, sehr freudiger Tag, an dem ich zur „Tochter des Gebots“ und damit in den Kreis der im religiösen Sinne Erwachsenen aufgenommen wurde. Um so trauriger war ich am vergangenen Mittwochabend, die Aufnahmen des Hassmobs aus Gelsenkirchen zu sehen.
Deutschland wird aktuell von einer Welle des Antisemitismus – durch mehrheitlich junge Muslime und deutsche Linke – überrollt. Was ich als Jüdin dazu denke?
Dadurch, dass mein Vater über zehn Jahre in Gelsenkirchen als Rabbiner gearbeitet hat, kenne ich viele Juden aus der Gemeinde in Gelsenkirchen und wir sind als Familie mit einigen Familien dort befreundet. Ich war sehr besorgt um sie und erschüttert – aber überrascht war ich nicht. Solche Gewaltexzesse, wie wir sie zur Zeit auf deutschen Straßen in Gelsenkirchen, Berlin, Köln, Bochum und vielen weiteren Städten erleben, sind selbstredend abscheulich, beschämend, aber sie kommen nicht überraschend. Wer glaubt, diese aggressiven Horden seien plötzlich vom Himmel gefallen, hat die Entwicklungen der letzten Jahre verschlafen. Bereits 2014 hatten wir während der Gaza-Operation Eskalationen auf deutschen Straßen. Auch in Gelsenkirchen, wo damals ein Gullydeckel in einer Fensterscheibe der Synagoge landete und Sprechchöre „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ schrien.
Ein Funktionär eines jüdischen Verbandes begrüßte den Massenzustrom junger arabischer Männer nach Europa vor einigen Jahren noch und nannte ihn „ein sehr spannendes Experiment“, während er sicherheitshalber trotzdem lieber die israelische Staatsbürgerschaft in der Hinterhand hatte. Nun ernten wir die Früchte dieses Experiments. Ein Großteil dieses Mobs besteht aus Leuten, die als Flüchtlinge hierherkamen und ihren Judenhass gleich mitbrachten und hier weiterhin ausbauten. Es ist kein Geheimnis, dass viele Moscheen und auch linke deutsche Verbände dafür den Nährboden bieten. Im Antisemitismus und Israelhass konfluieren in Deutschland die verschiedensten Strömungen. Ein weiteres Indiz für das Versagen von Politik und Justiz ist, dass viele junge Moslems, die bereits in zweiter oder dritter Generation hier leben, radikaler und antisemitischer sind als ihre Eltern und Großeltern, die häufig ein westlicheres Weltbild pflegen. Wenn der anerzogene Judenhass „made in Germany“ auf den importierten Antisemitismus aus arabischen Ländern trifft, kommt es zu jener explosiven Stimmung auf deutschen Straßen, die wir gerade Zeit erleben.
Was hilft gegen Antisemitismus?
Es gibt bei solchen Ausschreitungen immer einen Sündenbock: die Polizei. Als Juden in Deutschland haben wir bereits als Kinder die Polizisten und ihre Arbeit für die Sicherheit der Synagogen und aller jüdischen Einrichtungen schätzen gelernt. Auch bei diesen Ausschreitungen stand die Polizei wieder an vorderster Front, um Unbeteiligte oder Journalisten zu schützen und Aggressoren festzunehmen, sowie die theoretische Auflösung der Demo in Berlin auch tatsächlich durchzusetzen. Die Polizei steht dabei immer im Kreuzfeuer: Die Politik sieht die Polizei in der Verantwortung für Recht und Ordnung auf den Straßen zu sorgen, tatsächlich konsequentes Durchgreifen ist dann aber wiederum ein Akt unangemessener Polizeigewalt. Die Justiz gibt der Polizei auch nicht die notwendige Rückendeckung, denn fast jeder der „Demonstranten“ hatte einen diskriminierungsfähigen Hintergrund und mit Sicherheit auch eine schwere Kindheit. Und selbstverständlich ist die Arbeit der Polizisten bei solchen Demos per se schon enorm gefährlich – 93 Polizisten wurden allein in Berlin verletzt.
Bildung ist selbstverständlich wichtig, nicht selten enden Versuche, Antisemitismus so vorzubeugen im Desaster – Konzentrationslagerbesuche etwa stoßen gerade bei jungen Moslems immer wieder auf Euphorie. Mir ist persönlich ein Fall bekannt, als eine Schulklasse eine Synagoge besucht hat und einige muslimische Schüler auf der Herrentoilette Hakenkreuze an die Wände geschmiert haben. Während ihre deutsche Lehrerin weinte, zeigten die Schüler eher weniger Reue. Bildung braucht natürlich gute Bildungsangebote, aber genauso sehr auch einen bildungswilligen Empfänger.
Auch die zahllosen Projekte gegen Antisemitismus nützen eher nicht. Es werden Steuergelder ver(sch)wendet, Arbeitsplätze für die x-te Kampagne geschaffen, Antisemitismusbeauftragte ernannt, aber der Erfolg ist angesichts steigender Zahlen antisemitischer Gewalt sehr überschaubar. Im besten Fall sind diese Projekte ein typsicher Fall von „gut gemeint“, im schlimmsten Fall wie beispielsweise die Woche der CDU „Von Schabbat zu Schabbat“ reine Selbstinszenierung. Projekte wie diese gleichen in Sachen Selbstdarstellung dem Tag der offenen Tür im Tierheim – manche lassen sich mit Tieren fotografieren, andere mit Juden.
Es ist kein gutes Omen für Deutschland, wenn diese Kundgebungen offensichtlich viele Anhänger haben und die restliche Gesellschaft machtlos dabei zusehen muss, wie der aggressive Mob die Straße an sich reißt. Es ist keine Außenseiterposition, die dort Antisemitismus auf deutsche Straßen trägt, sondern eine ganze Bevölkerungsgruppe. Selbstredend ist dies ein Problem für die deutsche Gesellschaft, weil Antisemitismus in Deutschland schon längst salonfähig ist. Es wirft auch viele Fragen für die Zukunft der Juden in Deutschland auf, die weitestgehend unbeantwortet bleiben. Die gesellschaftlichen Akteure sezieren lieber die Tweets von Hans-Georg Maaßen und suchen mit der Pinzette nach Antisemitismus, stellen völlig halt- und belanglose, verleumderische Anschuldigungen auf, aber verschließen ihre Augen vor dem offenen Antisemitismus auf deutschen Straßen. Weil er eben nicht von rechts kommt. Keiner mag über ihn reden, es könnte womöglich einen Zacken aus der Krone der Toleranz brechen. Wer aber immer nur nach rechts schaut, wird den Bus aus anderen Richtungen nicht kommen sehen, der einen überrollt.