Tichys Einblick
Zu wenig Sozialpolitik?

Der größte Irrtum über den AfD-Wahlerfolg

SPD und Linke erklären uns das Aufkommen der AfD als Folge sozialer Ungerechtigkeit. Nichts spricht dafür, dass das zutrifft. Das Argument dient der Rechtfertigung weiterer Umverteilungspolitik.

Sean Gallup/Getty Images

Nach der Thüringen-Wahl konnte man es wieder von Vertretern der linken Parteien hören: Die AfD sei angeblich deshalb so stark geworden, weil die sozialen Verhältnisse in Deutschland so ungerecht („unsozial“) seien. Die Folgerung aus dieser Deutung lautet dann regelmäßig: Noch mehr Umverteilung, noch mehr Ausbau des Sozialstaates.

Wagenknecht und Höcke mit der gleichen Deutung

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Sahra Wagenknecht vertritt in jeder Talkshow (so am Wahlabend wieder bei Anne Will) diese These. Die linke Deutung: Den AfD-Wählern gehe es in Wahrheit nicht um die Zuwanderung. Die AfD-Wähler, so die linke Sicht, sagten „Flüchtlinge“, meinten aber etwas anderes anderes, nämlich ihre schlechte wirtschaftliche Situation. Björn Höcke, führender Vertreter des sozialpatriotischen Flügels in der AfD, sieht die Sache ähnlich wie Sahra Wagenknecht: Am Wahlabend erklärte Höcke, er sehe den Wahlerfolg in Thüringen als Bestätigung seiner „sozialpatriotischen“ Linie. Höcke will damit sagen: Die AfD müsse sich auch bundesweit endgültig von den (bei ihrer Gründung vertretenen) wirtschaftsliberalen Inhalten verabschieden und künftig vor allem auf Themen der „sozialen Gerechtigkeit“ setzen – dann wäre sie überall so erfolgreich wie in Thüringen.

Das Instrumentelle dieser Argumentation ist durchsichtig: Die Linke (aber auch die SPD) zitiert den Wahlerfolg der AfD, um ihre Forderungen nach noch mehr Umverteilung zu untermauern, Höcke deutet den Wahlerfolg seiner Partei so, um innerparteilich den „Sozialpatriotismus“ gegen marktwirtschaftliche Vorstellungen durchzusetzen.

75 Prozent der AfD-Wähler mit wirtschaftlicher Situation zufrieden

Doch Wagenknecht und Höcke haben Unrecht. Eine Wahlanalyse von Infratest dimap ergab, dass die Mehrheit der AfD-Wähler ihre wirtschaftliche Situation als gut empfindet. Nur jeder fünfte AfD-Wähler in Thüringen (22 Prozent) bezeichnet die eigene wirtschaftliche Situation als schlecht, aber drei Viertel der AfD-Wähler bezeichnen sie als gut.

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Auch die SPD sitzt seit Langem dem Irrglauben auf, sie müsse nur noch lauter und radikaler für „soziale Gerechtigkeit“ eintreten und dann würden ihr die Wähler wieder folgen. Kann man noch mehr und noch lauter von „sozialer Gerechtigkeit“ reden als die SPD dies seit Jahren tut? Ihren unaufhaltsamen Niedergang hat dies nicht verhindern können.

Und es sind ja nicht nur Worte: Die Umverteilung hat in Deutschland gigantische Ausmaße erreicht: 2018 wurden 996 Milliarden Euro, also fast eine Billion, für Sozialausgaben ausgegeben, so viel wie nie zuvor in der Geschichte. Die Sozialquote liegt inzwischen bei über 50 Prozent.

„Nicht genug“, sagen SPD und Linke. Die Unlogik ihrer Erklärung des AfD-Erfolges wird darin deutlich: Im Jahr der AfD-Gründung (2013) lag die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 6,9 Prozent, heute liegt sie zwei Prozentpunkte niedriger (bei 4,9%). Die Reallöhne sind im 2. Quartal 2019 Jahr um 1,3 Prozent höher als im Vorjahresquartal, die Nominallöhne stiegen sogar um drei Prozent. In die Zeit seit der AfD-Gründung fällt die Einführung des Mindestlohnes und jedes Jahr erfindet die Große Koalition neue soziale Wohltaten. In der gleichen Zeit wurde die AfD jedoch stärker und stärker. Diese Fakten zeigen schon, dass die vorgeschlagene Therapie gegen den AfD-Wahlerfolg, nämlich „noch mehr Soziales“ untauglich ist. Wenn die Diagnose falsch ist, dann ist eben auch die Therapie falsch.

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