Der oberbayerische Ammersee mit dem unweit davon gelegenen Kloster Andechs, dem „Heiligen Berg Bayerns“, ist ein beliebtes Münchner Ausflugsziel, und die Gemeinden am See sind ein sehr begehrter Wohnort. Ausgerechnet hier, im Kernland der „Gemütlichkeit“ und des „Leben und leben lassen“ – zum Andechser „Bräustüberl“ und Biergarten pilgern jährlich fast eine Million Besucher – wird ein politischer Streit um „richtiges“ Deutsch geführt.
Volkshochschule Ammersee-West
2021 schlossen sich die Volkshochschulen von sechs Gemeinden am westlichen Ammersee zu einem Zweckverband zusammen: der Volkshochschule (VHS) Ammersee-West. Laut Satzung sind die Organe des Zweckverbandes „die Verbandsversammlung und der Verbandsvorsitzende“, der von dieser gewählt wird. Die Verbandsversammlung besteht aus den „Ersten Bürgermeistern“ der sechs Gemeinden sowie einigen Wahlmitgliedern, in der Regel Gemeinderäte, darunter aus Dießen Michael Hofmann (Bayernpartei).
Hofmann fielen im VHS-Programmheft für Frühjahr/Sommer 2022 Formulierungen wie „Für Anfänger*innen“, „Für Einsteiger*innen ungeeignet“ auf und er beantragte, dieses Gendern, das „falsches Deutsch“ sei und Ausdruck „einer sehr umstrittenen Ideologie“, zu unterlassen. Sein Antrag wurde Anfang Mai in der Verbandsversammlung mit 7 : 4 Stimmen angenommen.
Shitstorm
Gegen diese demokratische Entscheidung erhob sich in und um Dießen ein Proteststurm: Eine Dießener Gemeinderätin fand den Beschluss „nicht nachvollziehbar“, eine Buchhändlerin „erschreckend“. und die Leiterin der benachbarten, bereits gendernden VHS Starnberg sah es „als wissenschaftlich erwiesen, dass [bei Maskulinformen wie „Für Anfänger“] die weibliche Form [Anfängerinnen] nicht mitgedacht wird“. An die Außenwand des Dießener Rathauses pinselten Unbekannte in Druckschrift DIESSENER*INNEN.
Daraus folgt für die Mittwochsdisko: „Wir fordern, dass das Thema erneut im Verbandsrat [gemeint ist die Verbandsversammlung] behandelt und der Genderstern wieder zugelassen wird. Wir fordern, dass Hoffmann [gemeint ist Hofmann] vom Dießener Gemeinderat gerügt und aus dem Gremium [gemeint ist die Verbandsversammlung] abberufen wird.“
Genderdeutsch ist schwierig
Das strittige „Thema“ ist ein Fall politischer Sprachregelung, hier: das Gendern im Programmheft der VHS Ammersee-West. Im Unterschied zu üblichen Sprachregelungen – sage nicht „Flüchtlinge“, sondern „Geflüchtete“! – geht es beim Gendern nicht darum, politisch unerwünschte Wörter zu ersetzen, sondern eine grammatische Funktion abzuschaffen: das sogenannte „generische Maskulinum“, mit dem im Deutschen geschlechtsindifferent eine Person oder Personengruppe bezeichnet wird, zum Beispiel (Grundgesetz Art. 5, Abs. 1): „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern.“ Im Sternchen-Genderdeutsch müsste dieser Satz lauten: „Jede*r hat das Recht, seine*ihre Meinung … frei zu äußern“ – was unaussprechbar ist und schriftlich ungenießbar.
Zum Ausgleich werden auch Sätze in einem – grammatisch falschen – generischen Femininum geboten: „Die vhs kann aus sachlichem Grund und in einem der Teilnehmerin [= Mann oder Frau oder Divers] zumutbaren Umfang Ort und Zeitpunkt der Veranstaltung ändern.“ (§ 5, 2) Fazit: Richtiges (systematisches) Gendern überfordert die sprachlichen Fähigkeiten der Volkshochschule Ammersee-West.
Stunde der Mitläufer
Gendern ist eine politisch erwünschte Sprachinnovation, die sich unter den Deutschsprechern verbreiten soll. Aber wie? In der Staatsverwaltung lässt sich das einfach durchsetzen, und staatsnahe Bereiche wie Rundfunk, Bildungswesen (einschließlich Volkshochschulen) und Forschungseinrichtungen schließen sich dann an. Dadurch entsteht ein öffentlicher Raum, in dem gegendert wird und der einen Mitläufer-Effekt erzeugt; denn Gendern lohnt sich.
Und die Wissenschaft?
Die Genderisten berufen sich gerne auf die „Wissenschaft“, auch die Mittwochsdisko tut das: „Zahlreiche Studien belegen, dass beim Verwenden einer männlichen Personenbezeichnung [gemeint ist das generische Maskulinum] die Testpersonen einen Mann vor ihrem geistigen Auge sehen.“ Nun kennt die Mehrzahl der bekannten Sprachen überhaupt kein Genus, ihre Personenbezeichnungen sind also an sich geschlechtsindifferent. Trotzdem können die Sprecher meistens sagen, ob eine geschlechtsindifferente Bezeichnung konkret einen Mann oder eine Frau meint.
Warum? Weil es sich aus dem sachlichen Kontext ergibt. Diese kontextbestimmte Bedeutung funktioniert auch in Genussprachen (wie dem Deutschen): Wenn die Polizei nach einem „unbekannten Täter“ sucht, denkt man spontan an einen Mann, aber nicht wegen der Maskulinform (der Tät-er), sondern weil die Kriminalitätsquote bei Männern wesentlich höher ist als bei Frauen. Unter einem „Filmstar“ stellen sich hingegen viele eine Frau vor – trotz des maskulinen Genus. Die „Studien“ zur Geschlechterassoziation beim generischen Maskulinum testen im Grunde nicht den Zusammenhang zwischen „Genus“ und „Geschlecht“ (Sexus), sondern das außersprachliche Erfahrungswissen der Testpersonen. Linguistisch sind diese – häufig psychologischen – Tests unprofessionell. Arm ist eben, wer Grammatik nicht versteht – und schlimm, wer daraus Denunziantentum entwickelt und intellektuellen Amoklauf begeht.
Vom 26. bis 29. Mai fand am Ammersee der bekannte traditionelle „Dießener Töpfermarkt“ statt. Die Mehrzahl der Aussteller waren Frauen. Ein Antrag, die Veranstaltung in „Dießener Töpfer*innenmarkt“ umzubenennen, wurde noch nicht gestellt.