Tichys Einblick
Sei wie Dennis Rodman

Der eigene Rhythmus inmitten des moralischen Vakuums

Man lädt die Welt nach Deutschland ein – und lässt andere Staaten die Grenzen schützen. Man redet von Demokratie – und hilft der Niemand-hat-die-Absicht-die-Reichen-zu-erschießen-Partei zur Macht. Ist das der Gipfel des Zynismus oder kommt da noch was?

WANG ZHAO/AFP via Getty Images

Fassen Sie sich bitte jetzt, in diesem Augenblick, an die eigene Nase! Wie viel Metall fühlen Sie da? – Nun, wenn Sie mit »2 große Ringe« antworten, dann kann es sein, dass Sie Dennis Rodman sind!

Eins nach dem anderen (es wird bald wild genug): Dennis Keith Rodman wurde am 13. Mai 1961 geboren und wuchs in Armut auf, Bruder zweier Schwestern und Sohn einer alleinerziehenden Mutter. Der Vater – später würde er im Vietnamkrieg kämpfen – hatte 1963 die Familie verlassen. Rodman absolvierte die »South Oak Cliff High School« (siehe engl. Wikipedia), doch als Basketballspieler entkam er den »Projects«, wie man in den USA triste Sozial-Siedlungen nennt. Rodham spielte für die Detroit Pistons, eine für ihre Härte bekannte Mannschaft, dann für die Spurs. In seiner größten Zeit spielte er für die berühmten Chicago Bulls, wo er für »Rebounds« zuständig war (also das Retten des Balles nach missglücktem Korbwurf) – und für die »dirty work« (die »schmutzige Arbeit«), für die ihn die Kindheit und das Spielen bei den Pistons vorbereitet hatte.

Doch, es gab ein paar Dinge, die machten Dennis Rodman über den Basketball-Court hinaus berühmt – nach einigen persönlichen Krisen gestaltete er seine öffentliche »Persona« neu, noch in seiner Pistons-Zeit. Rodman färbte sich die Haare in bunten Farben, beginnend mit grellem Blond, dann gelegentlich mehrere Farben nebeneinander – und er spielte besser denn je. Er ließ sich über und über tätowieren, und ließ sich Piercings, metallene Ringe, ins Gesicht stechen (es ist sein Image bis heute, siehe Bild bei Wikipedia).

Später, nach seiner Basketball-Karriere, trat er schon mal im Brautkleid auf, wurde öffentlich festgenommen, feierte viel zu viel zu viel, er versuchte sich unter anderem als Wrestler, doch eine ganz besondere Phase ab 2013 lässt in ihrer größenwahnsinnigen Extravaganz selbst die Eskapaden eines Charlie »Tiger Blood« Sheen wie harmloses Hallenhalma dastehen.

Schon Kim Jong-uns Vater, Kim Jong-il, war Fan der Chicago Bulls; US-Außenministerin Madeleine Albright hatte ihm einst einen Basketball mit Michael Jordans Autogramm geschenkt (siehe etwa cnn.com, 8.8.2013). Auch sein Sohn und Nordkoreas aktueller Diktator, Kim Jong-un gilt als Fan amerikanischen Basketballs, ganz besonders der Chicago Bulls, seit seiner Zeit in einem Schweizer Internat. Also rief Nordkorea, so eine Legende, bei den Chicago Bulls an, um Michael Jordan nach Nordkorea einzuladen. Das klappte nicht. Auch Scottie Pippen sagte ab. Doch Dennis Rodman sagte zu, als erster Amerikaner den neuen Diktator Nordkoreas zu treffen. Eine andere, realistischere Variante der Story besagt, dass die Initiative vom Online-Magazin »VICE« ausging, das ein All-Star-Game in Nordkorea veranstalten wollte.

Rodman wusste nichts, aber auch wirklich gar nichts über Nordkorea, als er anreiste. Als er Kim Jong-un trifft, ist er sichtlich überrascht – eine Ehre, die zuvor nicht einmal dem Chef von Google zuteil wurde (siehe ABCNews vom 28.2.2013, via YouTube). Bilder gehen um die Welt von Rodman und Kim Jong-un, wie Freunde nebeneinander sitzend, bei einem Spiel der Harlem Globetrotters gegen eine einheimische Jugend-Auswahl, und um sie eine jubelnde Menge (siehe etwa bbc.com, 1.2.2013). Rodman sieht den stürmischen, andauernden Applaus der Bürger, er hört die Rufe, der Diktator möge 10.000 Jahre leben, und er hält ihn nicht für roboterhaftes Produkt von Angst und Propaganda, sondern für einen Beweis der Liebe des Volkes für Kim Jong-un. (Man fühlt sich ein wenig erinnert an eines dieser Wir-sind-mehr-Gratis-Konzerte, welche der deutsche Staatsfunk als Anti-Oppositions-Demo verkauft, siehe auch »5 Mark und Bratwurst – wenn das System zur Demonstration ruft«.)

Dennis Rodman wurde viel und laut kritisiert, als er den Diktator Kim Jong-un zu seinem »Freund fürs Leben« erklärte. Und sein Auftritt wäre mit »bizarr, doch gut gelaunt« noch sehr höflich umschrieben, aber nicht falsch. Rodman aber war felsenfest überzeugt, im Geiste der Völkerverständigung zu handeln. »I love the people of North Korea«, twitterte er (@dennisrodman, 26.2.2013), und: »I’m not a politician. Kim Jung Un & North Korean people are basketball fans. I love everyone. Period. End of story.« (@dennisrodman, 26.2.2013), übersetzt: »Ich bin kein Politiker. Kim Jung Un & die Menschen von Nordkorea sind Basketball-Fans. Ich liebe jeden. Punkt. Ende der Geschichte.«

Es sollte wilder werden.

Dezember 2012 wurde der amerikanische Menschenrechtsaktivist Kenneth Bae (geboren Pae Jun Ho) in Nordkorea verhaftet und verurteilt wegen angeblicher Versuche, die Regierung zu stürzen. Kenneth Bae wurde in ein Arbeitslager verlegt (immerhin wurde er nicht gleich erschossen).

Als Rodman auf Kenneth Bae angesprochen wurde, erklärte er via Twitter: »I’m calling on the Supreme Leader of North Korea or as I call him “Kim”, to do me a solid and cut Kenneth Bae loose.« (@dennisrodman, 26.2.2013) – es ist sehr kumpelhafte Sprache, übertragen bedeutet es etwa: »Ich bitte den Obersten Führer von Nordkorea, oder wie ich ihn nenne, “Kim”, mir einen Gefallen zu tun und Kenneth Bae freizulassen.«

Rodman sagte zu, nach Nordkorea zu reisen und Bae zu befreien, doch erst einmal passierte nichts (buzzfeednews.com, 6.8.2013), außer dass Kenneth Baes krank war und in Briefen um Hilfe flehte.

Januar 2014 kehrte Rodman dann doch nach Nordkorea zurück, gemeinsam mit einigen NBA-Kollegen, für ein Basketballspiel. Bei einer Pressekonferenz wurde er auf Bae angesprochen, und er geriet in ratloses, lautes Stammeln, fast schon Schreien, und er schien tatsächlich Nordkorea und die Verhaftung Baes zu verteidigen (siehe CNN, 7.1.2014; via YouTube).

Am 8.1.2014 findet dann das geplante Show-Spiel statt – am Tag des Geburtstags Kim Jong-uns. Rodman singt »Happy Birthday«. Terri Chung, Schwester von Kenneth Bae, kritisiert: »Es gibt da keine Diplomatie, nur Spiele, auf Kosten meines Bruders« (cnn.com, 8.1.2014, meine Übersetzung). Einen Tag später bittet Rodman um Entschuldigung für seine Kommentare; er sei betrunken gewesen (cnn.com, 9.1.2014) – eine Begründung, die man ihm beim Betrachten der Aufnahmen schnell glaubt.

Am 8.11.2014 wurden Kenneth Bae und ein weiterer amerikanischer Gefangener freigelassen und konnten in den USA ihre Familien wieder in die Arme schließen (cnn.com, 10.11.2014).

Später würde Kenneth Bae zitiert werden, es seien Rodmans Ausbrüche gewesen, die ihn aus nordkoreanischer Gefangenschaft befreit hätten (zitiert nach nypost.com, 2.5.2016: »Dennis Rodman’s ranting saved me from North Korean gulag« – auf Deutsch etwa: »Dennis Rodmans Ausbrüche retteten mich aus dem nordkoreanischen Gulag«).

Simple Wahrheit: Wenn Dennis Rodman auf all die Kritik der Konzernjournalisten und Profipolitiker gehört hätte – wenn er »normal« gewesen wäre – dann würde Bae wahrscheinlich noch heute im sozialistischen Arbeitslager schuften (obwohl er gar nicht zu den »1% der Reichen« gehört), oder – wahrscheinlicher – er wäre längst verstorben.

Auf wessen Rat hätte Rodman hören sollen? Wessen Moral war richtig und gut, wessen war falsch und also böse?

Wie lange noch?

Deutschland wird dieser Tage vom Staatsfunk und Leitmedien auf »2015, Teil 2« vorbereitet (siehe dazu »Lehrt die Menschen, ihre eigene Suppe zu kochen!« und »Lesbos und das Ende des Universums«).

Die Wahrheit scheint aber zu sein, dass unter den jungen Männern an der griechischen Grenze wohl nicht nur wirklich Syrer sind, also potentielle tatsächliche »Flüchtlinge«, sondern auch eine nennenswerte Zahl von Migranten aus Afghanistan, aus Marokko oder Pakistan (siehe welt.de, 5.3.2020(€); tichyseinblick.de, 5.3.2020) – und sie alle folgen Merkels Welteinladung. Wie lange will Deutschland für den Irrsinn zahlen, dass das Establishment die jungen Männer Afrikas einlädt – dann Erdogan dafür bezahlt wird, die jungen Männer doch aus der EU draußen zu halten – während Linke die Griechen dafür beschimpfen, dass sie ihr Bestes geben, um die Grenze der EU eben doch zu schützen? – Ja, »wir hier unten« sind tatsächlich, was Moral angeht, allein. »Die da oben« haben nichts mehr. Etwas, das in sich widersprüchlich ist und kollabieren muss, kann nicht wirklich »gut« sein im ethischen Sinne. (Übrigens: Laut Videos in den Sozialen Medien, etwa @FarikFirat1987, 5.2.3030, baut die Türkei selbst aktuell Zäune an der Grenze, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge zurück in die Türkei kommen.)

Überhaupt, deutsche Politik. In Thüringen wurde mit der praktischen Hilfe von CDU und FDP, nach Intervention der Ex-FDJ Merkel, die umbenannte SED an die Macht gewählt (siehe auch: »… wenn wir dat ein Prozent der Reichen erschossen haben«). Als Höcke und Ramelow aufeinander trafen, war es nicht der Geschichtslehrer, dem die demokratischen Manieren abgingen (welt.de, 4.3.2020). »Die da oben« machen Moral wie Flasche leer.

Im Bundestag wurde eigens am Donnerstag ein eigener Tagesordnungspunkt eingerichtet, um die Tat des verwirrten Sohnes eines Grünen-nahen Politikers (siehe auch »Gedanken zur Gewalt in Hanau«) der Opposition anzulasten und die Toten für parteipolitische Mätzchen zu instrumentalisieren (man nennt es »vereinbarte Debatte«). Das Gleichnis vom Dieb, der »Haltet den Dieb!« ruft, selten war es so angebracht wie bei diesen Handlungen der Berliner Politklasse.

Eigene Moral

Man muss schon mehrere Jahrzehnte in der (west-) deutschen Geschichte zurückgehen, um eine Zeit zu finden, in der die »Eliten« kollektiv so wenig erkennbare Moral aufwiesen wie heute – und in der sie zugleich so viel davon forderten.

Nein, es ist nicht »normal«, dass die Handlungen und Aussagen etablierter Mächte und Meinungsmacher so inkohärent, zynisch, teils offen gelogen und frei von aller erkennbaren Verantwortung sind. Nein, es ist nicht normal, dass man bei politischen Handlungen immer davon ausgehen muss, dass sie zum Nachteil von Volk und Nation sind. Nein, es ist nicht normal, dass das Reden von Politikern nicht nur in schlechten Stunden, sondern immer und durchgehend wie hohles Geklapper leerer Dosen im Wind klingt.

»God bless the child that’s got his own«, so singt Billie Holiday, und sie singt vom Geld, und es ist wahr, doch es gilt auch für die Moral.

Als ich die Ideen skizzierte, auf denen »Relevante Strukturen« basiert, ahnte ich, dass die Frage danach, wie »Moral« überhaupt entsteht, wichtig und notwendig werden wird. Ich ahnte nicht, wie schmerzhaft diese Notwendigkeit werden würde.

Ja, es tut im Herzen weh, es tut geradezu körperlich weh, dieses eiskalte moralische Vakuum, das uns von »denen da oben« entgegen weht.

Schon lange war es nicht so dringend wie heute, eine eigene Moral zu entwickeln. Die Moral, die von »denen da oben« kommt, ist keine. (Und doch wollen sie unsere Wertvorstellungen manipulieren – siehe auch »Die Freiheit nehm’ ich mir« schon von 2016.)

Nach eigenem Rhythmus

War Dennis Rodmans Vorgehen »diplomatisch« im traditionellen Sinne? Waren seine Handlungen durchdacht oder rational nach konventionellem Verständnis? Würde man irgendwem mit gutem Gewissen raten, so etwas selbst auszuprobieren? – Nein, nein, nein, auf keinen Fall! (Andererseits: Überrascht es uns gar, dass Rodman von Trump positiv erwähnt wurde und sie sich überhaupt gut verstehen? Siehe etwa reuters.com, 10.11.2019.)

Im Essay »Kleine Teile der sich wiederholenden Geschichte« erwähnte ich die Redensart »march to the beat of your own drum« – »Marschiere zum Rhythmus der eigenen Trommel!« – Man kann Dennis Rodman viele Dinge vorwerfen, man könnte ihm Verharmlosung und Etablierung eines Diktators ankreiden (so etwas »dürfen« nur linke Politiker bei ihren Huldigungen und Besuchen), doch eines wird man Rodman zugestehen müssen: Er tanzt zu seinem eigenen Beat.

Es gibt ja kein Drittes, es ist Entweder-Oder: Wer heute nicht nach seinem eigenen Rhythmus tanzt, der marschiert zum Rhythmus der Propaganda. Das Weltbild von Linken ist auf Lügen gebaut, und das Leben, das sich an linken Lebenslügen ausrichtet, wird selbst zur Lüge.

Dass Kenneth Bae freigelassen wurde ist ein zweifellos schönes, begrüßenswertes Ergebnis der rodmanschen Eskapaden, jedoch: Auch wenn Dennis Rodman nicht erfolgreich gewesen wäre, auch wenn er nicht ein gewisses »Tauwetter« zwischen USA und Nordkorea eingeleitet hätte (oder, zumindest: begleitet), er tanzte und tanzt weiterhin seinen eigenen Tanz.

Aus dem Bösen das Gute

Rodmans Auftreten wirkt »verrückt«. Jedoch: Wir leben in Zeiten, in denen das Verrückte zur Normalität wird – und wer heute tatsächlich »normal« ist, also wer einfach glücklich werden will, wer die Wahrheit schätzt und die Konsequenzen von Handlungen bedenken will, der ist es, der heute als verrückt gilt (und »rechts« und »faschistisch«, et cetera, siehe »Wenn sie dich nicht »rechts« nennen, was machst du falsch«).

Heute gilt in Deutschland der Sozialismus wieder als »normal« – und das Bestehen auf Einhaltung der Gesetze und Vorsorge für die Zukunft als »verrückt«.

Glück braucht Ordnung, verrückte Zeiten gehen immer mit Leid einher, und diese Zeiten sind keine Ausnahme. Ja, es wird Leid auf uns zukommen.

Und doch: Die Abwesenheit moralisch akzeptabler Leitfiguren zwingt uns dazu, selbst zu überlegen, was wichtig und richtig ist, was unsere »relevanten Strukturen« sind, nach welchem Rhythmus wir tanzen wollen.

Wir müssen uns nicht die Haare bunt färben und Metall ins Gesicht stecken, wie Rodman. Wir sollten uns ganz bestimmt nicht seine Party-Gewohnheiten zulegen – die verträgt einfach nicht jeder.

Doch in Zeiten des moralischen Vakuums bleibt uns gar nichts anderes übrig, als für uns, wie Rodman, selbst festzulegen, was wir für richtig oder falsch halten.

Wir können und werden Fehler begehen. Wir können und werden uns gelegentlich lächerlich machen, sogar vor uns selbst. Doch – und das ist ein Gutes an dieser Zeit bar allen Anstands – wir werden es nach unserem eigenen Rhythmus, nach unserem eigenen Gewissen getan haben – oder, in bewährten Worten: Auf unsere eigene Weise.

Es ist natürlich und richtig, über den Gestank aus Berlin die Nase zu rümpfen. Es gilt, sich an die eigene Nase fassen, und sich zu prüfen – und dann ist die Aufgabe, der eigenen Nase auch zu folgen, ob man da nun Metall findet oder nicht.

Diese ethisch abgebrannte und auch sonst leere Politikerkaste bewirkt in ihrem kalten Zynismus doch, dass wir in uns selbst hineinblicken und erarbeiten, wer oder was wir wirklich sind, wofür wir wirklich stehen.

Nein, ich werde denen, die Böses tun, nicht dafür dankbar sein, dass es Widerspruch weckt und so zum Guten führt – und doch bleibt das Gute eben gut.

Tut das, was ihr wirklich für richtig haltet, und habt keine Angst davor, dafür »abgedreht« genannt zu werden – »abgedrehter« als Dennis Rodman werdet ihr nicht sein, und der hat Menschen aus dem Gulag befreit.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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