Tichys Einblick
Manöver statt Politik

Der dreifache Bluff beim Migrationsgipfel

Grenzkontrollen, die keine sind; Gesprächsangebote, bei denen das Ergebnis feststeht; und eine Standhaftigkeit bei der Migrationspolitik, die schon bei der nächsten Bundestagswahl keine Rolle mehr spielt. Über Parteigrenzen hinweg haben alle Beteiligten beim Migrationsgipfel geblufft.

picture alliance/dpa | Carsten Koall

Die letzten beiden Tage beherrschten Bluffs, Nebelgranaten und Teenagerallüren die Hauptrolle im Theater der bundesrepublikanischen Politik. Schon die von heute auf morgen verordneten Grenzkontröllchen weckten Misstrauen. CDU/CSU sollten früh feststellen, dass dieses Misstrauen begründet war. Unter dem Deckmantel der Kontrollen sollte die illegale Zuwanderung unter dem Schutzwort der Asylsuche weitergehen.

Mit dem Vorwand des islamistischen Anschlags von Solingen hat die Bundesregierung solche Kontrollen für gleich sechs Monate angekündigt, hielt sich aber bis zuletzt bedeckt, was die konkreten Inhalte angeht. Die Bundesregierung hat in einer Pressekonferenz – ohne die Union – ein „Maßnahmenpaket“ angekündigt, das noch in dieser Woche dem Bundestag vorgestellt werden soll:

Bluff I: Die Grenzkontrollen

Die offensichtlichste Nebelgranate, mit der die Ampel seit Montag wirft. Die Bundesinnenministerin hat dabei gemeinsam mit dem Kanzler nicht nur gegenüber Verhandlungspartnern, sondern auch gegenüber dem Bürger geblufft. Denn was nützen Grenzkontrollen, wenn der Modus der Zurückweisungen derselbe bleibt? Auf dem Gipfel hat die Regierung offenbart, dass jeder, der „Asyl“ ruft, weiterhin eingelassen wird. Das ist keine Änderung zu früher, sondern aktueller Stand.

Einzige Änderung: Schnellere „Rückkehr“ der Migranten in andere EU-Länder, die vom Eurodac-System erfasst wurden. Die Union hat nicht zu Unrecht eingeworfen: Dann würden die anderen EU-Staaten Migranten einfach nicht mehr registrieren. Das würde nur an der deutschen Grenze passieren. Fazit: Grenzkontrollen züchtigen höchstens heimkommende Urlauber und Pendler, die in Kufstein 20 Minuten im Stau stehen, damit man auf vorbildlichen Grenzschutz verweisen kann, ohne in der Praxis etwas zu ändern.

Bluff II: Das Angebot der Ampel

„Wir sind bereit, das Gespräch weiterzuführen“, so Bundesjustizminister Marco Buschmann. Das soll das Gesicht der Ampel wahren. Eine ähnliche Aussage kommt von Außenministerin Annalena Baerbock. Die Unionsvertreter seien einfach aufgestanden, obwohl über „viele Themen“ noch gar nicht gesprochen worden sei. Welchen Sinn haben aber solche Diskussionen, wenn der eigentliche Kernpunkt – nämlich die effektive Grenzkontrolle und Zurückweisungen – bereits erledigt ist? Die Union hat Recht, wenn sie solche Debatten für Zeitverschwendung hält.

Zugleich hat die Bundesregierung klar gemacht, wo sie steht. Es werde „keinen nationalen Alleingang“ geben, betonten die Vertreter der Regierungsparteien. Wie soll man dann aber die seit 2015 allen europäischen Anrainern aufgezwungene Migrationspolitik nennen? Angela Merkel Entscheidungen von damals, die bis heute Dogma jeder deutschen Migrationspolitik sind, waren a priori ein Alleingang. Ob nun gegen Ungarn und Polen oder auch die Mittelmeerländer, denen Berlin freudig „Seenotretter“ finanzierte, obwohl man darum weder in Athen noch Rom gebeten hatte. Für eine gemeinsame EU-Politik könnte der Zug längst abgefahren sein, zumindest für diese Bundesregierung, die in den letzten Jahren mehrere europäische, migrationspolitische Projekte torpediert hat. Man wird die Zuwanderer weiterleiten, weil auf Berlin kein Verlass ist.

Bluff III: Die Standhaftigkeit der Union

CDU und CSU geben sich heute tapfer und prinzipientreu. Dabei sind sie es, die für die gegenwärtige Migrationskrise verantwortlich sind; eine Krise, die nicht mit der Ampel gekommen ist, sondern eine, die seit der Merkel-Ära andauert. Scholz, Faeser und Baerbock führen diesen Kurs nur fort. Die Union hatte über Jahre in der Regierung Zeit, eine Wende einzuschlagen. Selbst in der Opposition schafft sie es aber nicht, sich von Merkels Erbe zu distanzieren. Was soll also erst passieren, wenn die Union wieder an der Macht ist?

Dieselbe Union, die heute von einer „Grün-blockierten“ Ampel spricht, wird mit höchster Wahrscheinlichkeit 2025 mit einem Teil dieser Ampel koalieren müssen. In den östlichen Bundesländern ist sie mittlerweile unausgesprochen zur Zusammenarbeit mit dem BSW oder gar der Linkspartei bereit. Solange die AfD hinter der Brandmauer steht, sind die Grünen als Mehrheitsbeschaffer nicht ausgeschaltet. Und sollte es zur Wiederauflage von Schwarz-Rot kommen, stellt sich dieselbe Frage wie vorher – wieso war die Wende nicht schon unter der letzten Großen Koalition möglich?

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