Tichys Einblick
CSU-Parteitag

Der CSU steht ein spannendes Jahr bevor

Als des Zeitgeists größter Anhänger gilt Markus Söder vielen als sicherer Seismograph, wenn sich wieder einmal ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung ergeben hat. Mit der Fahne im Wind geht es nun gegen den langjährigen Liebling: die Grünen.

IMAGO/Sven Simon

Im Herbst 2023 wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Das genaue Datum steht noch nicht fest; es dürfte ein Termin im September oder Oktober 2023 werden. Diese Wahl im bevölkerungsmäßig zweitgrößten Bundesland ist damit die gewichtigste Wahl des Jahres 2023, da in diesem Jahr sonst nur in Bremen und Hessen gewählt wird. Und gegebenenfalls in Berlin, wenn die dortige Wahl zum Abgeordnetenhaus vom September 2021 gerichtlich annulliert werden sollte.

Für die ehemals erfolgsverwöhnte Partei CSU geht es bei dieser 2023er Wahl um zweierlei. Erstens um die politische Zukunft von Parteichef und Ministerpräsident Markus Söder. Er ist seit 19. Januar 2019 Parteivorsitzender, ab 16. März 2018 war er bereits Bayerischer Ministerpräsident. Bei den letzten Landtagswahlen von 2018 hatte er für seine Partei nur noch 37,2 Prozent und bei der Bundestagswahl 2021 nur noch 31,7 Prozent eingefahren. Letzteres war mit ein Grund, warum die Union auf Bundesebene mit 24,1 Prozent knapp hinter die SPD (25,7) zurückfiel.

Und zweitens geht es um die Frage, ob Bayern CSU-geführt bleibt und die CSU ihren bundesweiten Anspruch der politischen Mitgestaltung kraftvoll ausüben können wird. Seit rund zwei Jahrzehnten schaut es nicht mehr danach aus. Bei den Landtagswahlen hatte die CSU zuletzt folgende Entwicklung genommen: 2003 60,7 Prozent (mit Stoiber), 2008 43,4 Prozent (mit Beckstein), 2013 47,7 Prozent (mit Seehofer), 2018 37,2 Prozent (mit Söder). Ähnlich gestaltete sich die Entwicklung des CSU-Ergebnisses bei den Bundestagswahlen: 2013 49,3 Prozent, 2017 38,8 Prozent, 2021 31,7 Prozent. Das frühere Wahlkampfziel „40 plus X“ ist für die CSU seit geraumer Zeit jedenfalls unrealistisch, auch wenn Meinungsforschungsinstitute der CSU derzeit bis zu 41 Prozent zutrauen.

Milieuveränderungen hin oder her: Das allein ist es nicht, was die Wahlergebnisse der schwachen Unionsparteien ausmacht. Es sind eben auch die Personen. Das weiß Söder zu genau. Deshalb nutzte er den jüngsten CSU-Parteitag vom 28./29. Oktober in Augsburg für offensive Ansagen und für heftige Attacken auf die „Ampel“, zumal auf die „Grünen“, mit denen er nun gar nicht mehr sympathisiert und die für ihn eine „Schönwetterpartei“ sind. Und er stellt die Spitzenstellung Bayerns in Sachen Innerer Sicherheit, Bildung, Hightech, Raumfahrt („Bayern als das europäische Houston“), Wasserkraft, Biogas, Photovoltaik, Wasserstoffspeicher usw. heraus.

Die Atomkraftwerke sollten länger laufen, Bayern sei für Fracking-Gas, für Pumpspeicherwerke, und es werde bis 2023 eintausend neue Windkraftanlagen bauen – unter anderem in den Staatsforsten. Zum Länderfinanzausgleich rechnete Söder den anderen deutschen Ländern vor, dass Bayern früher rund 3,4 Milliarden Euro daraus erhalten, seither aber rund 100 Milliarden einbezahlt habe. Dagegen will Bayern eine Klage vorbereiten.

Söders Kritik an der „Ampel“ ließ nichts aus: Es sei dies eine der schwächsten Bundesregierungen, die Deutschland je gehabt habe – eine Regierung des Schuldenmachens, des Ausverkaufs Deutschlands (siehe Hamburger Hafen), des arroganten Auftretens und der Isolation Deutschlands in Europa. Heftige Kritik kam von Söder gegen das geplante Bürgergeld und gegen Lauterbachs Drogenpolitik. Wirtschaftsminister Habeck erntete Söders Spott wegen dessen Hin- und Herlavierens bei der Gasumlage und wegen dessen verquerer Definition von “Insolvenz“. Für die Klima-„Aktivisten“ hatte Söder zu Recht das Etikett „kriminell“ übrig. Worüber die Zeitungen aber eher nicht berichteten.

Öffentlich kaum durchgedrungen ist die eindeutige Absage der CSU gegen die Gendersprache. Ein entsprechender Antrag der Jungen Union wurde mit 96 Prozent angenommen. Dort heißt es: „Die krampfhafte Wortwahl der Gender-Sprache hat in Behörden und Bildungseinrichtungen zu unterbleiben.“ „Die politisch indoktrinierten, künstlichen Auswüchse gendermoralistischer Sprachakrobatik“ seien abzulehnen, solange sie sich nicht von unten nach oben in der Gesellschaft durchsetzten, sondern von einzelnen Institutionen oder Medienanstalten auferlegt würde.

Bereits zuvor hatte sich Söder gegen die Gender-Sprache ausgesprochen. „Wir als CSU akzeptieren kein Gender-Gesetz und keine Gender-Strafzettel … Wir sind ein Freistaat und kein Umerziehungsstaat, bei uns zählt der gesunde Menschenverstand.“

Parteitagsgast Friedrich Merz

Dann kam am zweiten Tag des Parteitags CDU-Chef Friedrich Merz. Er wurde zum Star des Tages. Warum? Weil er markant sprach und weil die Parteitagsdelegierten innerlich vorab schon erleichtert waren, dass das Grußwort der CDU-Schwesterpartei endlich einmal nicht von einer dröge vor sich hin redenden Merkel oder einem langweiligen Laschet kam. Merz griff denn auch voll in die Tasten. Anders als Söders Rede war die Rede von Merz am Anfang zeithistorisch unterlegt. Er widerlegte etwa anhand des Freundschaftsvertrages zwischen der Ukraine und Russland aus dem Jahr 1997 die Behauptung gewisser Putin- und Russland-Versteher, dass Putin vom Westen bedrängt worden sei und sich habe wehren müssen.

Zum Binnenverhältnis CDU/CSU sagte er, ein „annus horribilis“ (schreckliches Jahr) wie 2021 dürfe sich nicht wiederholen. Vor allem nahm sich Merz, hier ganz in der Rolle des Gegenkanzlers und zukünftigen Kanzlerkandidaten, Olaf Scholz vor, der zwar am 27. Februar eine zunächst wichtige „Zeitenwende“-Rede gehalten, diese aber bald folgenlos zerschreddert habe.

Merz sprach sich für einen offenen und ehrlichen Dialog mit Frankreich und Polen, auch mit der neuen italienischen Regierung aus. (Was gewollt oder ungewollt ein Seitenhieb auf Söder war, der nach dem italienischen Wahlergebnis von einer notwendigen Brandmauer gegen rechts gesprochen hatte). Im Gegensatz zu Söder kritisierte Merz auch die Europäische Union, namentlich deren Überbürokratisierung. Ohne freilich Parteifreundin von der Leyen zu nennen.

Heftige Kritik übte Merz wie zuvor schön Söder an Habeck und der Führungsriege des Wirtschaftsministeriums, wo eine „ökologische Selbsterfahrungsgruppe“ anstelle von Ökonomen das Sagen habe. Auf die Schippe nahm Merz das geplante Bürgergeld, das er als Versuch der SPD wertete, ihr Trauma ob der erfolgreichen Agenda 2010 zu bewältigen. Zu den Plänen von Gesundheitsminister Lauterbach hatte Merz die rhetorische Frage parat: Was rauche dieser Mann, der in Sachen Corona täglich neue Verbote präsentieren wolle und nun die weitgehende Freigabe gefährlicher Substanzen fördern möchte.

Distanzierung von Merkels Verirrungen blieb wieder aus

Was allerdings beiden Rednern, Söder und Merz, nicht gelingen wollte: eine klare Distanzierung zur Politik einer Merkel-CDU. Söder meinte gar, die 16 Merkel-Jahre seien gute Jahre für Deutschland gewesen. Nein, das waren sie nicht, wenn man sich die Euro-Krise, die Energieabhängigkeiten, den Verfall der Bundeswehr, die Grenzöffnung usw. anschaut. Hier haben die beiden Alpha-Leute der Union nach wie vor eine seltsame rhetorische Beißhemmung. Dass Söder die Empfehlung des Bundesfamilienministeriums an Heranwachsende zur Einnahme von Pubertätsblockern der „grünen“ Familienministerin Paus zuschreibt, ist ja nicht ganz falsch. Aber diese Empfehlung findet sich auf der Website dieses Ministerium seit den Zeiten einer Frau Merkel und einer Frau Giffey. All dies zusammen dürfte auch der Grund sein, warum ehemals treue Unionswähler nicht mehr zur Wahl gehen oder andere Parteien wählen. Schließlich sollte man nicht übersehen, dass Merkel de facto die Urmutter der AfD-Gründung 2011 und der AfD-Stärkung ab 2015 war.

Und auch so manch notwendige ideologiekritische Auseinandersetzung mit der „Ampel“ gelang nur in Ansätzen. Klar, man verwahrte sich gegen die neue grün/rot/„liberale“ „Wokeness“. Aber hier wäre einiges mehr an Attacke erforderlich. Siehe etwa das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“, das geplante Gesetz zur Co-Mutterschaft, das neue „Demokratiefördergesetz“ der Frau Faeser, die Aushöhlung des Lebensschutzes, den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung, den Asylmissbrauch bzw. die De-facto-Aushebelung des Asylrechts, die neu anschwellenden Flüchtlingsströme, neue Definitionen von Staatsangehörigkeit und Heimat …

Alles in allem: Hätte, hätte … Fahrradkette! Hätten Söder und Merz 2021 den Schulterschluss praktiziert, wäre der CDU der von Merkel favorisierte Wahlverlierer Laschet als Kanzlerkandidat erspart geblieben, dann gäbe es wohl keinen Kanzler Scholz, der immer wieder mit Gedächtnislücken durch Deutschland, Frankreich, Europa und demnächst durch China irrlichtert. Söder und Merz ziehen nun offenbar die Konsequenzen daraus: Der eine will Bundeskanzler werden, der andere Ministerpräsident in Bayern bleiben.

Anzeige
Die mobile Version verlassen