Am Sonntagnachmittag haben in dem kleinen Wallfahrtsort Gottsbüren im Reinhardswald mehrere hundert Menschen gegen die jetzt unmittelbar drohende Industrialisierung dieses einzigartigen Naturjuwels durch gigantische Windkraftwerke protestiert. Bei widrigen Wetterbedingungen waren mehr Demonstranten erschienen als die Veranstalter erwartet hatten. Doch eine machtvolle Botschaft an die Windlobby und ihre grünen Steigbügelhalter sieht anders aus. Am Ende war es mehr ein verzweifelter Abgesang auf eines der letzten großen unzerschnittenen Naturrefugien in Deutschland, das nun unter die Räder kommt – ganz nach dem Willen der schwarz-grünen Landesregierung in Wiesbaden und des Kasseler Regierungspräsidenten, der am vergangenen Mittwoch die Genehmigung für die ersten 18 Anlagen auf einem Höhenzug hinter der Sababurg erteilt hatte.
Reinhardswald: verzweifelter Abgesang auf ein Stück Natur
Die Rodungsarbeiten im Reinhardswald laufen schon, um den einstigen Märchenwald in einen Windpark zu verwandeln. Klagen sind noch anhängig. Aber die Anti-Windkraftbewegung hat eine möglicherweise entscheidende Schlacht verloren. Von Georg Etscheit
Mittlerweile hat die Naturschutzinitiative (NI) Klage eingereicht und will per Eilantrag zunächst die laufenden Fällarbeiten stoppen; andere Organisationen wie die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald haben ebenfalls eine gerichtliche Überprüfung angekündigt. Doch es scheint unwahrscheinlich, dass sich ein Gericht jetzt noch dazu bereitfinden wird, den ersten großen „Windpark“ im Reinhardswald in Gänze zu kippen. Vielleicht werden zunächst statt 18 nur 12 oder 16 Anlagen Bestand haben, vielleicht wird das eine oder andere Windrad räumlich ein wenig verschoben, um „Schutzgütern“ wie Wasser, Luft, Flora und Fauna, in den Augen der Richter mehr Geltung zu verschaffen. Doch wenn auch nur eine einzige Anlage gebaut wird, ist der zehn Jahre währende Kampf um den Wald verloren. Spätestens dann ist es um diese außerordentlich, bislang weitgehend unberührte Waldlandschaft geschehen. Dann gilt der Reinhardswald als „vorbelastet“ und kann peu à peu der Energiewende und der vermeintlichen „Klimarettung“ geopfert werden.
Mit dem Reinhardswald hat die Anti-Windkraftbewegung in Deutschland eine möglicherweise entscheidende Schlacht verloren. Das Waldgebirge mit seiner einzigartigen Geschichte, seiner internationalen Bedeutung, seinen Naturschätzen und seinem populären Ruf als „Märchenwald“ ist weit mehr als ein attraktives Wander- und Erholungsgebiet, es ist ein Mythos. Der bundesweite Widerstand gegen die Zerstörung des Reinhardswaldes suchte seinesgleichen und griff weit hinaus über die Kreise eingeschworener Energiewende- und Windkraftkritiker. Sogar im Greenpeace-Magazin wurde der Reinhardswald in eine Reihe mit heiß umkämpften, umweltpolitischen Brennpunkten wie dem Hambacher Forst gestellt, der dem Braunkohlentagebau weichen soll und von Klimaaktivisten besetzt wurde.
Wenn es gelingt, selbst diese Bastion zu schleifen, ist kein Halten mehr. Dann wird in Kürze wohl auch der oberbayerische Chiemsee mit Windrädern umzingelt, dann werden die „weiten Fernen“ der Hochröhn Geschichte sein, dann werden Spessart, Odenwald, Pfälzerwald und Bayerischer Wald das Schicksal jener nord- und ostdeutschen Regionen teilen, die längst in lebensfeindliche „Energielandschaften“ umgestaltet wurden. „Mission accomplished“ jubeln sie in den grünen Klimaministerien. Das „Klima“ selbst wird keine Notiz davon nehmen.
Von den meist im gesetzteren Alter agierenden Windkraftgegnern ist wohl nicht zu erwarten, dass sie wochenlang Bäume in Projektgebieten besetzen und Polizisten mit Exkrementen bewerfen, wie das Aktivisten im Hambacher Forst taten, der für den Braunkohletagebau gerodet wurde. Effektiver wäre es jedenfalls wohl, wenn sich ein paar rüstige 40-Jährige an zu fällende Bäume oder an die Betonfundamente der in Bau befindlichen Windräder ketteten, als die hundertste, sauber recherchierte und wohl abgewogene Pressemitteilung oder Einwendung in einem wohl kaum mehr aufzuhaltenden Genehmigungsverfahren zu verfassen.
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