Mehrere aktuelle Studien konstatieren einen erheblichen Vertrauensverlust der Bevölkerung in Politik generell, die Demokratie und die Parteien. Henrdrik Wüst bezog sich auf eine am Wochenende bekannt gewordenen Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Nur noch eine Minderheit der Deutschen, nämlich 38 Prozent, sind der Studie zufolge mit der Demokratie zufrieden oder sehr zufrieden, Ende 2022 waren es noch 52 Prozent. Auch eine Studie im Auftrag der Körber-Stiftung kommt zu alarmierenden Ergebnissen und stellt zudem fest: Die Zustimmung zur Feststellung „In Deutschland kann man seine Meinung jederzeit äußern“ ist massiv eingebrochen. Von 70 Prozent im Jahr 2017 auf 58 Prozent im Jahr 2023. Im Corona-Jahr 2021 waren es sogar nur 54 Prozent.
Ursachen des Vertrauensverlustes
Aber wer ist für die Ursachen verantwortlich? Für die CDU ist es die Politik der Ampel, Vertreter der Ampel spielen den Ball zurück in die Merkel-Zeit und alle zusammen machen die AfD dafür verantwortlich und geben vor, Deutschland mit einer „Brandmauer“ gegen die AfD vor einer neuen Nazi-Diktatur schützen zu wollen. Immer mehr Wähler nehmen ihnen dies aber nicht mehr ab. Sie wollen stattdessen die AfD wählen, um ihren Wünschen nach einer Politik Ausdruck zu verleihen, für die einst mal die Union stand. Denn die Ursachen des Vertrauensverlusts liegen sicherlich an der chaotischen und gegen erkennbare Vorstellungen gerichtete Vorhaben der Ampel-Koalition. Aber die Weichenstellungen in der Energiepolitik, der Massenmigration und der Wirtschafts- und Währungspolitik geschahen während der Amtszeit von Angela Merkel, die von Wüst wie auch vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder im Sommer noch mit den jeweils höchsten Verdienstorden der Länder und des Bundes gewürdigt worden war. An die Überlegung, dass nun schon seit vielen Jahren an den Wünschen der Bevölkerung vorbei und dagegen regiert wird und die AfD damit nicht Ursache, sondern Folge dieser Politik sein könnte, wagen sich weder CDU, noch SPD und Grüne heran.
Ein Blick zurück in die allerjüngste Vergangenheit zeigt: Als der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke zusammen mit weiteren Mitstreitern, die wie er überwiegend aus dem engeren oder weiteren Umfeld der CDU kamen, vor zehn Jahren die Alternative für Deutschland (AfD) gründeten, richtete sich diese Gründung in erster Linie gegen die nach der EU-Finanzkrise schrittweise praktizierte Abkehr der CDU-Führung von den ordnungspolitischen Prinzipien einer restriktiven Finanz- und Geldpolitik. Gleichzeitig hatte sie mit dem von der damaligen schwarz-gelben Koalition beschlossenen Atomausstieg einen weiteren radikalen Bruch mit einem der Eckpfeiler ihrer bisherigen Politik vollzogen. Er spielte bei der Gründung der AfD allerdings noch nicht die Rolle, die er heute programmatisch bei ihr hat.
Radikaler Bruch der bisherigen Asylpolitik
Dies war ein weiterer radikaler Bruch mit der bisherigen Politik beider Unionsparteien, die beim Thema Asyl seit jeher ein restriktives Vorgehen befürwortet und auch praktiziert hatten. So hatten sie im Jahr 1993 noch gegen den Widerstand der Grünen mit Hilfe der FDP und der SPD durchgesetzt, dass mit einer im Grundgesetz verankerten Drittstaatenregelung ein weitreichender Schutzmechanismus gegen unkontrollierte Asyleinwanderung geschaffen wurde. Seit dem Beschluß aus dem Jahr 2015 ist dieser Mechanismus weitgehend Makulatur, obwohl er nach wie vor im Grundgesetz verankert ist. Dieser Verstoß gegen einen weiteren Eckpfeiler konservativer Politik zahlt bis heute wohl am stärksten auf das Wähler-Konto der AfD mit ein, nachdem nun sie zwei Jahre nach ihrer Gründung anstelle der Union die Begrenzung der Asyleinwanderung zu ihrem nächsten Erfolgsthema küren konnte. Der damalige Innenminister Horst Seehofer kämpfte noch für eine Einwanderung-Höchstgrenze von 200.000 Migranten pro Jahr; selbst diese hohe Zahl wird locker überschritten und überschreitet wieder die Millionengrenze.
Inzwischen sind die so für die konservative Wählerschaft geschaffenen europa- und migrationspolitischen Repräsentationslücken gleichsam zu einer großen Repräsentationslücke zusammengewachsen. Nicht nur in den neuen Bundesländern kann diese Lücke nach der Meinung von immer mehr Wählern allein von der AfD gefüllt werden, da keine andere der im Bundestag vertretenen Parteien sie besetzen will. Massiv befördert wird diese schon länger andauernde Entwicklung neuerdings von einer Energie- und Klimapolitik der Bundesregierung, die sowohl viele Unternehmen wie auch viele Bürger in große Not bringt. Da dies unter anderem auch eine (Spät-)Folge des von der Union betriebenen Atomausstiegs ist, treibt inzwischen auch dieser, schon im Jahr 2011 von ihr vollzogene Schritt weitere einstige Unionswähler in die Arme der AfD.
Der derzeitige Umfrage-Aufstieg der AfD ist somit in erster Linie eine Folge der von der Unions-Führung seit rund zwanzig Jahren verfolgten Strategie, mit wichtigen Essentials konservativer Politik schrittweise zu brechen, um so für Wähler links der Mitte attraktiv zu werden. Die so entstandene und ständig weiterwachsende konservative Repräsentationslücke bildet den wichtigsten Humus für die Entstehung und das Wachstum der AfD. Anders als in ihren frühen Jahren positioniert sie sich inzwischen bei Themen wie der EU-Politik und der Migrationspolitik weit rechts, bei Themen wie der Sozialpolitik hingegen links der Mitte.
Die Links-Drift der Union
Die etablierten Parteien und Medien überschlagen sich seit Jahren mit Warnungen vor einem Rechtsrutsch in Deutschland, der zwangsläufig zu einer weiteren Nazi-Diktatur führe. Sie befürworten deswegen aufgrund ihrer eigenen politischen Hilfslosigkeit nicht nur eine Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz, sondern zunehmend auch deren Verbot. Geflissentlich verschwiegen wird dabei, dass parlamentarische Demokratien seit jeher dafür da sind, allen politischen Strömungen, gleich welcher Couleur, dieselben Wettbewerbschancen und Gehör zu verschaffen. Der im Grundgesetz gleichwohl verankerten Möglichkeit des Verbots einer neu entstandenen Partei aufgrund einer verfassungsgerichtlich bestätigten Verfassungsfeindlichkeit sind deswegen sehr enge Grenzen gesetzt, selbst wenn es in der fraglichen Partei mehr oder weniger starke Strömungen geben sollte, die einen entsprechenden Verdacht rechtfertigen.
Vor diesem Hintergrund zeugen die Entstehung und die Erfolge der AfD als einer neuen rechten Partei ebenso von einer gut funktionierenden Demokratie in Deutschland wie einst der Aufstieg der Grünen und später der Linken als zweier linker Parteien. Auch sie besetzten einst Repräsentationslücken, die andere Parteien, wie beim Umweltschutz, einfach ignoriert oder mit der Agenda 2010 neu geschaffen hatten. Und wie bei der AfD dominierten auch bei den Grünen und der Linken zunächst die extremistischen, teils vom Verfassungsschutz beobachteten „Fundis“ gegenüber den gemäßigten „Realos“ – bis es zu den ersten Regierungsbeteiligungen beider Parteien kam. Seitdem spielen in beiden Parteien linke Extremisten eine eher untergeordnete Rolle.
Alle Alternativen werden unter Verdacht gestellt
Dabei ist es den selbsternannten polit-medialen Verteidigern der Demokratie herzlich egal, welche Partei sich für eine solche Wende stark macht. Inzwischen stellen sie nämlich, mit tatkräftiger Unterstützung durch Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, ziemlich alle Positionen rechts der Mitte unter Extremismusverdacht. So soll in der Wählerschaft der Eindruck entstehen, nur linke politische Inhalte seien demokratiekonform.
Dieses fragwürdige Verwirrspiel durchschauen viele Wähler. Viele wagen nicht mehr, ihre Meinung zu äußern, so die oben zitierte Studie der Körber-Stiftung. Sie lassen sich aber auch von den öffentlichen Warnungen vor einer Nazi-Diktatur 2.0 immer weniger beeindrucken. Sollten sich daher die derzeit deutlich gestiegenen Umfrageergebnisse der AfD in den anstehenden Landtagswahlen bestätigen oder sogar noch weiter steigern, verbleibt der Union und den anderen etablierten Parteien in einigen Bundesländern wohl nur noch die Möglichkeit, so lange Allparteien-Koalitionen gegen sie zu bilden, bis auch noch der letzte Wähler sein Vertrauen in die Demokratie verloren hat.
Die von der Demokratie vorgesehene Lösung, eine in Wahlen erfolgreiche neue Partei (mit-)regieren zu lassen, um sie so unter Umständen bei den Wählern auch zu entzaubern, kommt im Falle der AfD für alle anderen Parteien erklärtermaßen niemals in Frage. Sollte aufgrund von Wählerwünschen die vielbeschworene Brandmauer gegen die AfD jedoch noch weiter bröckeln, als sie es jetzt schon tut, könnte sich auch in dieser Hinsicht die Demokratie in Deutschland schon bald erneut als stärker erweisen, als es ihre selbsternannten Verteidiger gerne hätten. Andere europäische Demokratien wie Italien, Schweden und Finnland sind mit ihren regierenden Mitte-Rechts-Koalitionen Deutschland in dieser Hinsicht derzeit freilich noch einen Schritt voraus.