Kann sich noch einer erinnern daran, wie im Parlament die großen Debatten geführt wurden über Schicksalsfragen der Nation, über die Ostverträge mit rhetorischen Genies wie Willy Brandt oder Franz-Josef Strauß, an den Nachrüstungsdoppelbeschluss und Helmut Schmidt und Herbert Wehner!
Redeschlachten, die ich in meiner Jugend fasziniert im Fernseher verfolgte. Reden, die Argumente setzten und verschärften, und die die Sache deutlich machten, um die gestritten wurde. Bisweilen sogar ein Misstrauensvotum.
Das war Demokratie, die Herrschaft durch das Volk, repräsentiert durch ihre gewählten Vertreter im Parlament. Graue Vergangenheit. Heute morgen wurden zwei elementare Gesetze in aller Eile verabschiedet: ohne nennenswerte Aussprache.
Längst ausgegliedert sind ja die großen Schicksalsfragen der Demokratie. Ihre unzulässig verallgemeinernd Flüchtlingspolitik genannte Zuwanderungspolitik begründete die Kanzlerin nicht mehr im Parlament, sondern in Talkshows. Ihren Sinneswandel in der Familienpolitik, in der ethischen Kernfrage der Ehe, gab sie im Podiumsgespräch bei einer Frauenillustrierten bekannt.
Den Ausstieg aus der Kernernergie verkündete die Kanzlerin nach einer Wahlschlappe im Alleingang in der Hoffnung, dass sich diese nicht wiederhole. Eine Schließung der Grenzen nach den ungeordneten „Füchtlings“-Massenströmen blieb aus, da die Kanzlerin „ungünstige Bilder“ befürchtete.
Das alles am Parlament, also am Volk vorbei. Die ungüstigen Bilder gab es zwar dann dennoch, aber weit im Süden und nicht vor der Haustür.
In unsere Demokratie gähnt ein schwarzes Loch, das sich mit beängstigender Schnelligkeit vergrößert, und es wird symbolisiert von einer Kanzlerin, die mit imprägnierter Untätigkeit diesem Auszehrungsprozess scheinbar wohlwollend zuschaut. Und dies mit zunehmender Zufriedenheit tut, denn die Umfragewerte stimmen.
Tatsächlich wird es so sein, dass ein Volk von sedierten Wählern auch in diesem Herbst einer alternativlosen „Großen Schwester“ ihre Stimme geben in einem Ritual, das längst postdemokratisch ist, ja, das „Demokratie nur noch als Deckbezeichnung“ verwendet, wie es Peter Sloterdijk jüngst nannte. Ein Albtraum.
Mit leider selten gewordenem Mut widersprach die katholische Kirche in Gestalt des Berliner Erzbischofs Heiner Koch heute dem Abstimmungszirkus und dem schlampigen Vernuscheln, das zur Abschaffung der Ehe durch die „Ehe für alle“ führte. Die erstaunlich hohen Zustimmungswerte zur „Ehe für alle“, so der Erzbischof, wurden mit einem erhebungstechnischen Taschenspielertrick erzielt. Sie verschoben das Problem. Sie fragten, ob alle Menschen gleich behandelt werden sollten. Selbstverständlich, hieß die Antwort.
Sie fragten jedoch nicht danach, ob eine Ehe zwischen Mann und Frau mit dem Ziel, Kinder zu kriegen, besonders gefördert werden sollte, gerade in Hinblick auf kinderreiche Familien. Im Moment seht es so aus, als fühle sich einzig die AfD dem grundgesetzlichen Auftrag verpflichtet.
Die ohnehin längst legalen Lebenspartnerschaft wird um das Wort „Ehe“ bereichert. Die evangelischen Kirche, die sich längst der Stimmungsdemokratie ausgeliefert hat, hat keine Probleme damit, die „Ehe“ für Gleichgeschlechtliche abzusegnen, für sie ist die Ehe seit Luther kein Sakrament mehr. Ja, sie geht im Lutherjahr daran, dessen „sola scriptura“ gründlich aufzuräumen.
„Es wird eine Menge theologischer Arbeit erfordern“, so eine Bischöfin mit Doppelnahmen auf dem evangelischen Kirchentag, „das biblische Menschenbild von Mann und Frau AUSZUROTTEN“. Eine merkwürdig bolschewistische Interpretation von Luthers „Das Wort aber lasst stahn“, und der entsprechenden Passagen der biblischen Genesis.
Fast ein Treppenwitz ist es, dass es Volker Beck, dem halbwegs rehabilitierten Crystel-Meth-Konsumenten und einstigen Pädophilie-Verharmloser, dem die Grünen zur Bundestagswahl keinen Listenplatz mehr geben wollten, gelang, mit dieser seiner Forderung nach „Ehe für alle“ einen letzten Coup zu landen.
Es ist eine höhnische Pointe, in vielfacher Hinsicht. Was haben die Grünen nicht auf Volker, die Stänkerbacke vom Dienst, eingeredet bei ihrem letzten Parteitag, eben diese Forderung nicht zu erheben, sie nicht zur Koalitionsbedingung zu machen, aus Angst, sich damit von einer möglichen Machtbeteiligung nach der Bundestagswahl auszuschließen. Was bei einer Partei, die sich auf die 5 Prozent zubewegt, eine Schicksalsfrage hätte werden können.
Nun hat ihnen die Kanzlerin salopp die Arbeit abgenommen, denn wenn eine was von Macht versteht, dann ist sie es. Da sind keine Prinzipien, die nicht geschleift werden könnten. Mich hätte eine große funkelnde leidenschaftliche Begründung ihres „Nein“ im Parlament interessiert. Sie begründet es lieber im kleinen Interview anschließend.
Ehe für alle? In Kolumbien haben sich soeben drei Männer das Ja-Wort gegeben. Künftig werden auch Muselmanen stolz mit ihren verschleierten Harems durch Neukölln flanieren, unter ihnen sicher Minderjährige. So ist die Life-Style-Parole einer winzigen Minderheitenpartei plötzlich Staatsräson mit allen möglichen kulturellen Folgen.
Aber damit sind noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Immer beliebter, so hört man aus Japan, sind Eheschließungen mit sich selber. Das verkompliziert natürlich die Scheidungsverfahren, bringt auf der anderen Seite aber eine verschollene Technik wieder zur Blüte: das Harakiri. Einstweilen stehen wir stumm und blöde an der Seitenlinie, und beobachten, wie die Werte, die uns von weither überliefert sind, Harakiri begehen – unter dem Beifall von bunten Clowns, die im Parlament Konfetti streuen.
Wir haben diese Demokratie geerbt, wir müssen ihre Tradition pflegen, die Gesetzesväter haben uns einen großen Auftrag erteilt. Ein Parlament ist mehr, als nur ein Verein von heutigen Stimmungs-Abnickern. Auch die Vorväter spielen eine Rolle.
Denn, so sagt es Gilbert K. Chesterton, der große Brite, „Tradition ist Demokratie mit den Toten.“