Tichys Einblick
Paus vergibt 170.000 € an inaktives Projekt

„Demokratie leben!“ sollte besser „Intransparenz leben!“ heißen

Lisa Paus will mit „Demokratie leben!“ die Demokratie fördern. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesem Förderprogramm um ein ziemlich intransparentes Gewusel: Die Förderprojekte verdecken, wofür sie das Geld vom Steuerzahler ausgeben. Eine TE-Recherche zeigt, warum.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Manchmal stellt sich jemand mit seinem Namen vor und man denkt sich: Dieser Name passt einfach nicht. So verhält es sich auch mit dem Namen des Förderprogramms, welches das Familienministerium unter Lisa Paus (Grüne) betreibt: „Demokratie leben!“ nennt sich dieses Bundesprogramm, von dem TE schon mehrmals berichtete. Es soll zivilgesellschaftliches Engagement für Demokratie, Vielfalt und gegen jede Form von Extremismus fördern. So steht es jedenfalls auf der Website des Familienministeriums.

Aber TE muss feststellen: Mindestens ein Gut der Demokratie zählt bei „Demokratie leben!“ kaum: Transparenz. Dabei plädieren sogar die Grünen, zu denen Paus gehört, dafür, wie „essenziell“ diese ist, beispielsweise die Fraktion in Bayern: „Transparenz ist ein essentieller Bestandteil unserer Demokratie“, heißt es auf der Fraktionswebsite: „Dazu gehören frei zugängliche Informationen.“

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Frei zugängliche Informationen erhält man von den einzelnen „Modellprojekten“, die Paus mit insgesamt 182 Millionen Euro Steuergeldern unterstützt, allerdings nicht – meistens erhält man überhaupt keine Informationen. Aus der Liste aller Modellprojekte, die Paus’ Ministerium fördert, hat TE einige angeschrieben. Zahlreiche davon haben nie geantwortet – auch nicht nach mehrmaliger Erinnerung und dem Hinweis auf ihr intransparentes Verhalten.

Beispielsweise hat TE die „Ibn Rushd – Goethe Moschee“ angefragt. Für ihr Modellprojekt „Anlaufstelle Islam und Diversity“ erhält diese Moschee in Berlin jährlich die maximale Fördersumme von „Demokratie leben!“: also 200.000 Euro. Wofür? Um einen „spirituellen Schutzraum“ für „queere Musliminnen und Muslime“ zu schaffen, wie der Vorstellung des Projekts auf der Website von „Demokratie leben!“ zu entnehmen ist: „Das Projekt spricht mit seinem neu entwickelten Ansatz eine Zielgruppe an, die Mehrfachdiskriminierung erlebt und mit bestehenden Angeboten nur schwer erreicht werden konnte“, berichtet „Demokratie leben!“ stolz.

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Queere Muslime: Das klingt spannend. Darüber wollte TE mehr wissen. Aber entweder die Anlaufstelle wird seit mehreren Wochen von queeren Muslimen überrannt und hat daher keine Zeit, um TE zu antworten – oder sie wollen keine Auskunft geben. Entsprechend stellt die „Ibn Rushd – Goethe Moschee“ keine Transparenz darüber her, wie viele queere Muslime auf Deutschlands Straßen umherlaufen. Und wie viele davon die „Anlaufstelle Islam und Diversity“ aufsuchen. Schade.

Ein anderes Modellprojekt darf sich dieses Jahr über mehr als 170.000 Euro aus Paus’ Fördertopf freuen: „Botschafter*innen des Wandels – Entfalte dein Potenzial und hilf anderen dabei“, heißt dieses Projekt des Jugendverbands „Young Voice TGD“. Laut der Website von „Demokratie leben!“ werden bei diesem Projekt „Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationsgeschichte“ in Seminaren und Workshops motiviert, „eine Botschafterrolle für Vielfalt und Diversität in ihren jeweiligen sozialräumlichen Kontexten, wie Schule, Universität oder Vereine, zu übernehmen“.

Allerdings wundert man sich: Dieses Jahr gab es offenbar noch keine solche Seminare oder Workshops. Der letzte „Zyklus“, in denen „Botschafter*innen des Wandels“ ausgebildet wurden, war laut der Website von „Young Voice TGD“ im Frühjahr letzten Jahres. Die letzten Bilder auf der Website stammen von vor vier Jahren. Und generell hat das letzte Event des Jugendverbands, das man auf der Website finden kann – und das nicht zwangsläufig etwas mit dem geförderten Modellprojekt zu tun hat – vom 27. bis 29. Oktober stattgefunden. Also vor sieben Monaten. Auf der Startseite der Homepage kann man sich immer noch dafür anmelden. Dass der Verband TE nach mehrmaliger Aufforderung nicht geantwortet hat, ist dann nur noch das i-Tüpfelchen. Insgesamt wirkt es, als wäre „Young Voice TGD“ nicht (mehr) aktiv. Aber wofür bekommt dieser Jugendverband dann mehr als 170.000 Euro aus Steuergeldern – und somit sogar noch rund 15.000 Euro mehr als im letzten Jahr?

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Über ein paar Antworten durfte TE sich dann doch noch freuen. Oder auch nicht: Das Modellprojekt „Peer4Queer“ qualifiziert queere Menschen zu Mentoren, um queeren Jugendlichen, die diskriminiert werden, ein „Unterstützungsangebot“ zu machen und das Engagement für die Interessen queerer Jugendliche zu stärken. Dafür erhält die zuständige „Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung e.V.“ dieses Jahr fast 190.000 Euro. Auf Anfrage von TE hat sich das „Peer4Queer-Team“ für das Interesse an dem Projekt bedankt. Nett. Und um mehr Zeit zum Antworten gebeten. Na gut. Aber dann wollten sie doch nicht mehr antworten, weil zu der Zeit ein „einschlägiger Artikel über das Programm Demokratie leben!“ bei TE erschienen ist.

Das „Peer4Queer-Team“ sei daher davon ausgegangen, dass sich die TE-Anfrage erledigt habe, wie Alexei Medvedev per Mail schreibt. Und weiter: „Künftig würden wir uns freuen, mehr Zeit für solcherart journalistische Anfragen zu haben.“ Also freundlich sind die von „Peer4Queer“ definitiv. Aber nicht sehr transparent: Denn die TE-Anfrage hatte sich nicht erledigt. Doch die mehrmaligen Bitten um eine Antwort trotz des anderen Artikels hat das Team ignoriert. So konnte nicht erfahren, wie viele Mentoren von „Peer4Queer“ denn ausgebildet werden, wie viele Jugendliche sich überhaupt an „Peer4Queer“ wenden, um einen Mentor zu finden, und ob bzw. wie die Mentoren dafür vergütet werden, dass sie sich zweimal pro Monat mit ihren Mentees treffen und einmal die Woche mit ihnen kommunizieren – sofern sie das überhaupt wirklich tun. Und inwiefern dieses Projekt die Demokratie stärkt, konnte TE auch nicht erfahren. Schade.

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Bei manchen Modell-Initiatoren musste TE bestimmter nachfassen, um eine Antwort zu erhalten. So beispielsweise beim Landkreis Göttingen. Landkreise sowie Behörden haben laut dem Pressegesetz eine Auskunftspflicht gegenüber Journalisten. Trotzdem hat der Landkreis mehrmals Ausreden gefunden, um nicht auf eine TE-Anfrage zu ihrem Modellprojekt „Stay#dorfkind“ zu antworten. Für dieses Projekt erhält der Landkreis Göttingen dieses Jahr eine Fördersumme von rund 164.000 Euro und will damit „pädagogische Konzepte für den strukturschwachen ländlichen Raum entwickeln, die in der offenen Jugendarbeit zur Rechtsextremismusprävention eingesetzt werden können“, wie „Demokratie leben!“ auf der Programmwebsite schreibt. Solche „pädagogischen Konzepte“ sind dann „partizipative Jugendprojekte“, wie der Pressesprecher Florian Heinz gegenüber TE antwortet: „Dazu zählt beispielsweise die gemeinschaftliche Gestaltung der Jugendräume durch jugendkulturelle Aktivitäten wie beispielsweise Streetart-Aktionen wie Graffiti-Projekte und das gemeinsame Bauen von Paletten-Möbeln.“ Graffiti und Paletten-Möbel: Für so etwas gibt der Landkreis Göttingen rund 11.000 Euro pro Jahr aus – finanziert vom Steuerzahler.

Das meiste Fördergeld bei „Stay#dorfkind“ geht allerdings für das Personal drauf: rund 148.000 Euro pro Jahr – das entspricht fast drei Durchschnittsgehältern in Deutschland. Und der Steuerzahler finanziert nicht erst seit der aktuellen Förderperiode die Gehälter einiger Angestellter des Landkreises Göttingen: „Dieses Projekt ersetzt das ehemalige Projekt ‚Respekt für Vielfalt – Gemeinsam gegen Menschenfeindlichkeit‘“, heißt es auf der Website des Landkreises. Wie Nina Winter im Auftrag des Landkreises gegenüber TE mitteilt, ist der Unterschied zwischen den beiden Modellprojekten: „Es handelt sich um Modellprojekte aus zwei unterschiedlichen Förderperioden.“ Es gibt also faktisch keinen Unterschied – nur einen neuen Namen.

Für die neue Förderperiode von „Demokratie leben!“, die im nächsten Jahr beginnt, schließt Winter nicht aus, dass es wieder ein Modellprojekt vom Landkreis Göttingen geben wird. Das wird dann sicherlich wieder das gleiche Projekt nur mit einem neuen Namen sein. Aber letztlich ist es ja auch nur ein Name. Der muss ja nichts bedeuten. Der Name „Demokratie leben!“ hat schließlich auch nichts zu bedeuten: So intransparent wie es sich mit dem Förderprogramm von Paus verhält, sollte es besser „Intransparenz leben!“ heißen.

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