Tichys Einblick
Deutsche und Franzosen im Clinch

Dem neuen Kampfflugzeug droht der Strömungsabriss schon vor dem ersten Start

Das künftige deutsch-französische Kampfflugzeug (FCAS) offenbart schon in der Planungsphase grundlegende Probleme. Die Franzosen erleben ihr blaues Wunder mit deutscher Ineffizienz. Sollte sich Frankreich andere Partner suchen (müssen), droht der deutschen Militärpolitik ein Waterloo.

unsplash

Es waren keine prophetischen Gaben nötig, um grundlegende Probleme beim deutsch-französischen Rüstungsvorhaben Future Combat Air System (FCAS) vorherzusagen. Bei nichts weniger als dem unterschiedlichen Staatsverständnis zwischen Deutschland und Frankreich beginnen die fundamentalen Schwierigkeiten. Im französischen Verteidigungsministerium verfügt die Rüstungsabteilung DGA auf der Basis operationeller Forderungen des Bedarfsträgers, also der Luftwaffe (Armée de l’Air) weitgehende Handlungsfreiheit bei der Realisierung von Rüstungsprojekten. Die DGA hat auf der Basis technischer und konzeptioneller Vorgaben und einem festen Budget für das Programm weitgehende Entscheidungsbefugnis. Der Zentralstaat zeigt hier seine Stärken. Hinzu kommt, dass sich die französische Rüstungsindustrie zu erheblichen Teilen auch heute noch im Staatsbesitz befindet und entsprechend steuerbar ist.

Währenddessen doktert Deutschland mit verteilten Zuständigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen in bürokratisch perfekter Manier im Militär, in der zivilen Beschaffungsbehörde, im Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium und in den Bundestagsausschüssen für Verteidigung und Haushalt an allen möglichen Fragen herum. Sind sich irgendwann die Akteure in Formelkompromissen halbwegs einig, ist nicht ausgeschlossen, dass auch noch das Kanzleramt dazwischen grätscht. Nicht zuletzt wird der privat organisierten deutschen Verteidigungsindustrie bestenfalls die Rolle eines notwendigen Übels zugestanden. Der durchschnittliche deutsche Moralweltmeister befasst sich bekanntlich nur widerwillig mit Fragen zu Waffen und Rüstungsgütern. Unsere wehrtechnische Industrie wiederum tut sich keinen Gefallen damit, am jahrzehntelang eingeübten und einträglichen Vorgehen ständiger Vertragserweiterungen festzuhalten. Öffentliche Auftraggeber haben ein Anrecht darauf, mit Vertragsschluss wenigstens annähernd die Kosten zu kennen, die mit einem Projekt einhergehen. So passt auf deutscher Seite einiges nicht zusammen. Für ausländische Partner ist das oftmals eine Zumutung. 

Hinterlassenschaft von der Leyens 

Die frühere deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen hatte Mitte letzten Jahres auf der Luftfahrtmesse in Le Bourget ein Rahmenabkommen für das viele Milliarden schwere Rüstungsvorhaben unterzeichnet. Präsident Macron schlug sie wenige Wochen später als Präsidentin der EU-Kommission mit vor. Die in Aussicht stehenden deutschen Rüstungsmilliarden müssen dabei nicht geschadet haben.

Deutsche und Franzosen im Clinch
Das FCAS soll bei der Luftwaffe ab etwa 2040 die Waffensysteme Eurofighter und Tornado bzw. dessen Nachfolger ablösen, bei den französischen Luftstreitkräften die Rafale. Gefordert wird ein vielseitiges Kampfflugzeug der sechsten Generation mit Tarnkappentechnik, das in einem integrierten System mit Drohnen, Satelliten sowie Kommando- und Kontrollflugzeugen eingesetzt werden kann. Die USA sollen durch Vermeidung von Gütern nach US-ITAR-Richtlinie (International Traffic in Arms Regulations) nicht mitreden können, eine hohe Autarkie wird angestrebt. Im jetzigen Stadium des Projektes sind das höchst anspruchsvolle Absichten, deren Realisierbarkeit sich erst noch zeigen wird. Artikel in Fachzeitschriften erwecken Zweifel, ob die Protagonisten der Luftwaffe auch wirklich beurteilen können, worüber sie mit ganzen Schwärmen englischer Fachausdrücke schwadronieren (zum Beispiel: Europäische Sicherheit & Technik Nr. 10/2020 S. 38: Konzeptionelle Vorstellungen zum Future Combat Air System). 
Uferlose militärische Forderungen

Spanien ist inzwischen als dritte Nation dem Projekt beigetreten, Belgien hat ähnliche Absichten. Zusätzliche Partner wollen zusätzliche Arbeitsanteile, die nach aller Erfahrung – Eurofighter, A400M und NH90 lassen grüßen – zusätzliche Kostentreiber werden. In der „Demonstrator-Phase“ stießen jedenfalls die unterschiedlichen strategischen, konzeptionellen und industriepolitischen Ansätze der Partner rasch aufeinander. In dieser Phase geht es im Kern darum, aus den ins Kraut schießenden Forderungen der Luftwaffen ein machbares Konzept im Leistungs-, Zeit und Kostenrahmen zu kondensieren, will man nicht wieder in ein sündteures Desaster (Beispiele siehe oben) hineinstolpern. Politische Feiertagsreden decken nun einmal grundlegend unterschiedliche Interessen nur vorübergehend zu.

Schon bald nach dem Start waren Missstimmungen zu vernehmen. Bis die Deutschen ihr vielstimmiges Konzert halbwegs auf der Reihe hatten, waren in einem ersten Ansatz entscheidende Positionen der Projektführung durch unsere Freunde besetzt. Wie in TE angekündigt, stehen die Franzosen als Koch am Herd, andere müssen sich mit Kellnerdiensten zufriedengeben. Sie fackeln nicht lange, das nationale französische Interesse ist immer mit an Bord. Demgegenüber traut sich in unserem Land kaum noch jemand, nationale Interessen zu formulieren, die unterschwellig aber dennoch vorhanden sind.

Nationale Interessen 

Selbstverständlich lassen sich auch die Reste der deutschen Rüstungsindustrie die Butter nicht ohne weiteres vom Brot nehmen. Immer noch vorhandene technologische Kompetenzen werden gehütet und nur dosiert in Gemeinschaftsprojekte eingebracht. Von interessierter Seite im Bundestag unterstützt führt dies unter anderem dazu, dass Entwicklungsgelder für das FCAS nur in kleinen Schritten und gegen Erfolgsnachweis freigegeben werden, damit nur ja kein Jota zu viel auf der Gegenseite landet; mit Gegenseite sind in diesem Fall die Franzosen gemeint. Bei französischen Projektverantwortlichen kommt dieses Vorgehen als unziemliche Kontrolle an, gegenseitiges Misstrauen bestimmt das Bild. Und eine Projektsteuerung auf der Basis von Misstrauen funktioniert bekanntlich nicht.

Für alarmistische Schlagzeilen ist schon mal gesorgt. Von einem Bankrott für Europa als führendem Technologie- und Innovationsstandort und als militärisch, sicherheitspolitisch und industriell ambitioniertem und eigenständigem Akteur ist die Rede. Gar die Idee einer europäischen Souveränität, die aus der Zusammenarbeit mehrerer Nationen entsteht, wäre damit erledigt. Beispiel siehe hier.

Scheitert das FCAS, scheitert die deutsch-französische Freundschaft

Rüstungsvorhaben sind auch in der Vergangenheit schon gescheitert, ohne dass damit das Ende einer Partnerschaft, ebenso wenig der militärischen Zusammenarbeit eingeläutet worden wäre. Die Länder sind aufeinander angewiesen. Ein politischer Flurschaden wäre dennoch unvermeidlich: ein Signal der Uneinigkeit nach innen und außen in einer generell schwierigen Situation der EU. Die US-Amerikaner würden ihre klammheimliche Freude womöglich kaum verbergen können. Wobei auch ihr aktueller Wundervogel F35 noch immer mit Problemen genug zu kämpfen hat. 

Deutsche und Franzosen im Clinch
Nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron in den letzten Jahren immer wieder zu gemeinsamen Anstrengungen in der europäischen Verteidigungspolitik aufgerufen hatte, wäre ein Scheitern des FCAS für ihn eine persönliche Niederlage. Sollte sich Frankreich andere Partner suchen (müssen), droht zumindest der deutschen Militärpolitik nicht weniger als ein Waterloo. Diesmal mit umgedrehten Vorzeichen! Mit den Amerikanern klappt der Kauf eines schweren Transporthubschraubers nicht, mit Frankreich die Entwicklung von neuem Gerät. Die deutschen Alleinstellungsmerkmale nehmen überhand!
Große Rüstungsprojekte haben ihre Tücken

Auf Seiten der zögerlichen Deutschen erntete Macron auf seine zahlreichen Vorschläge hin nur jahrelanges Schweigen und Desinteresse. Dabei hatte der französische Präsident die europäischen Partner sogar zu einem „strategischen Dialog“ über die „Rolle der nuklearen Abschreckung Frankreichs“ aufgerufen (Siehe DER SPIEGEL, Alle Mittel erlaubt, 5. 5. 2018, S. 40). Dass dabei auch finanzielle Anliegen eine Rolle spielen, muss der Sache nicht schaden. Im Gegenteil steigt aller Erfahrung nach die Kompromissbereitschaft damit deutlich an. Wenn aber schon grenzüberschreitende Rüstungsprojekte nicht funktionieren, wie sollte dann ein Souveränitätsverzicht von statten gehen, der für eine gemeinsame europäische Armee mit nuklearer Komponente unabdingbare Voraussetzung wäre?  

Wie man es auch dreht und wendet, selbst in Kerneuropa herrschen nach Jahrzehnten des europäischen Einigungsprozesses derart unterschiedliche politische Kulturen, dass ein Durchschlagen der diversen Knotenknäuel in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Nicht zuletzt unterscheiden sich auch die Verwaltungsstrukturen und Rechtssysteme nach wie vor grundlegend, jede grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist noch immer mühsam. Es hat keinen Sinn, darum herum zu reden: Auch das Europa der 2000er Jahre kämpft mit Prägungen, die über Jahrhunderte gewachsen sind. 

Souverän ist, wer in Teilen darauf verzichten kann

Diese Zusammenhänge sollten sich die angeblich so um den Kontinent bemühten Deutschen gründlich durch den Kopf gehen lassen. Wir machen keineswegs alles besser als die Franzosen, diese sind mit ihren Vorgehensweisen zumindest in Rüstungsangelegenheiten nicht weniger erfolgreich. Unter Zurückstellung der jeweils nationalen Eigenheiten hat es bereits in den 1960er Jahren gemeinsame Projekte wie zum Beispiel das erfolgreiche Transportflugzeug Transall gegeben. Betrachtet man den Kampfhubschrauber Tiger als letztes größeres gemeinsames Vorhaben, ist festzustellen, dass die französische Version eines Unterstützungshubschraubers mit flexibler Bewaffnung den heutigen Anforderungen weit besser gerecht wird als der deutsche Panzerabwehrhubschrauber gleichen Namens. Kaum eingeführt sind die Forderungen groß, aus dem deutschen Tiger ein in der Truppenpraxis taugliches System mit erneutem Milliardenaufwand zu machen. Eine neuerliche Pleite, über die nur in Fachkreisen geredet wird. In mancherlei Beziehung haben eben unsere französischen Freunde die Nase deutlich vorn.

Ein Kompromiss zum Vorteil beider Seiten

Es sollte sich beim FCAS ein Kompromiss finden lassen zwischen den eher hemdsärmeligen französischen Vorgehensweisen und den ewig theoretisierenden Deutschen, die erst zum Ende kommen, wenn sich die Lage über sie hinweg gedreht hat. Wenn das in einem zukunftsweisenden Rüstungsprojekt nicht gelingt, sind die hehren Treueschwüre und Partnerschaftsbekundungen mal wieder ohne Substanz. Der schleichende Erosionsprozess der Europäische Union erhielte neue Nahrung. Keine akzeptable Lösung weder für die Europäer, noch für die NATO. Von der Rolle der EU in der Welt ganz zu schweigen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen