Organischer Müll lässt sich rasch zu 90 Prozent zersetzen. Es müssen ihm lediglich einige Bakterien hinzugefügt werden, die sich aus dem Kot der Pandas gewinnen lassen. Das hat ein Forscherteam um Fumiaki Taguchi herausgefunden. Wer gerade keinen Panda zur Hand hat, der kann Sekret von Termiten nehmen – funktioniert ähnlich gut.
Nun mag der kritische Leser an dem Verstand von Wissenschaftlern zweifeln: Haben die nichts Besseres zu tun, als den Kot von Pandas zu untersuchen? Das verkennt aber das menschliche Wesen. Denn das unterscheidet sich von jedem anderen Lebewesen durch den Optimismus: Da gibt es ein Problem, also löse es. Das Mammut bedroht deine Familie? Grab ihm eine Grube und fang es darin ein. Einige wenige versklaven die anderen Menschen? Schick einen Wanderprediger durch die Wüste und lass ihn die anderen überzeugen, dass vor Gott alle gleich sind. Dir wird es auf deinem Kontinent zu eng? Bau Schiffe, siedle über. Mit dieser Einstellung hat es der Mensch heraus aus der Höhle geschafft – bis an die Spitze der Nahrungskette.
Diese Einstellung braucht er, um seinen Lebensraum zu erhalten. Die Diskussion ist überflüssig, ob der Klimawandel vom Menschen gemacht ist. Ja, selbst ob es einen Klimawandel gibt. Der Mensch hat seine Population in den letzten 200 Jahren verachtfacht. 200 Jahre sind im Kontext der Weltgeschichte ein Pandafurz. Und wenn sich das Lebewesen an der Spitze der Nahrungskette verachtfacht hat, dann macht das etwas mit seinem Lebensraum. Das müsste jedem klar sein, der im Biologie-Unterricht anwesend war.
Nur: Wie gehen wir mit diesem Problem um? Es gibt zwei mögliche Antworten. Die eine nennt sich Degrowth. Der Mensch solle seinen „ökologischen Fußabdruck“ so klein wie möglich halten. Mit anderen Worten: Er soll zurück in die Höhle und das Feuer nur noch an Feiertagen entzünden, etwa dem Erscheinungsdatum des Marxschen Kapitals oder dem Geburtstag von Robert Habeck.
Eine Vordenkerin dieser Idee ist in Deutschland die Taz-Autorin Ulrike Herrmann. Sie hat ein Buch darüber geschrieben, wie eine Gesellschaft aussehen würde, deren „ökologischer Fußabdruck“ so gering wie möglich wäre. Die Landschaft würde auf jeden zivilisatorischen Fortschritt verzichten, die Menschen auch. Viele würden dann arbeitslos. Was aber kein Problem wäre, weil sie als Arbeitskräfte in einer Landwirtschaft gebraucht würden, die auf Pestizide verzichtet, auf mit Diesel betriebenes Gerät – von Gentechnologie gar nicht zu reden. Der Rest würde die Siechen pflegen. So bliebe nur eine kleine Oberschicht, um die anderen zu führen. Wenig komplex ist die Frage, wo sich Ulrike Herrmann in dieser Gesellschaft sieht. Spoileralarm: Es ist nicht das Feld, auf dem Tausende von Hand den Kartoffelkäfer von den Pflanzen entfernen.
Herrmanns Ideen sind in Deutschland durchaus anschlussfähig. Es vergeht kaum eine Woche, in der sie ihr Gesellschaftsbild nicht in irgendeiner öffentlich-rechtlichen Talkshow propagieren dürfte. Nun ist das mit deutschen Vordenkern so eine Sache. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts langweilten sie sich und wünschten sich, dass ihre öde, bequeme Welt zerstört werde. Was der Erste Weltkrieg dann vorläufig übernahm. Als die Nazis an die Macht kamen, freute sich ein durchaus kluger Kopf wie der Gottfried Benns darüber, dass sich nun das Starke gegen das Schwache durchsetze. Um es abzukürzen: Die Deutschen haben mit ihren Vordenkern wenig Glück. Deswegen wundert es kaum, dass sie weltweit Vorreiter sind, sich den Dewgroth zu wünschen. Die Rückkehr in die Höhle.
Doch es gibt einen zweiten Weg, mit der Zukunft des menschlichen Lebensraums umzugehen. Was uns endlich weg von den deutschen Grünen und zurück zum Panda-Kot führt. Seine Bakterien können helfen, das Müllproblem in den Griff zu bekommen. Zugegeben. Nur einen kleinen Teil des Problems. Aber immerhin ist es ein Anfang, ausgehend von Fumiaki Taguchi, der, wenn man ehrlich bleibt, bisher nicht allzu bekannt ist.
Die Welt mit acht Milliarden Einwohnern hat ein großes Problem mit Müll. Das kann gar nicht anders sein. Wächst die Menschheit, wächst der Müll. Es ist kein Zufall, dass es eine der Aufgaben des Herkules war, den Augiasstall auszumisten. Er hat das Problem mit einem Abwassersystem gelöst. Bester menschlicher Geist: Du hast ein Problem, löse es. In der Antike brauchte es dafür einen Halbgott, im heutigen Deutschland genügt eine Kanalisation, die es selbst im kleinsten Dorf gibt.
Vor wenigen Jahren war das Thema Plastikmüll in Mode. Die Journalisten sagten, es sei auch ein deutsches Problem, um Betroffenheit herzustellen. Bebildert haben sie die Texte aber in der Regel mit Szenen aus Bangladesch. Weil das im Netz besser klickte, aber auch weil viele von ihnen im Geiste Ulrike Herrmanns denken, sich den Dewgroth wünschen und ihre Leser ermutigen wollten, mit aufs Feld zu kommen, um den Kartoffelkäfer per Hand zu entfernen – was sie selbst nur journalistisch begleiten wollen würden.
Nun besteht kein Zweifel daran, dass Bangladesch ein ungeheures Problem mit seinem Müll hat. Das Problem ist so groß, dass es einen Halbgott benötigt, es zu lösen. Doch warum gelingt das nicht? Es gibt darauf grundsätzlich zwei mögliche Antworten. Eine wäre rassistisch und würde lauten, dass es nicht im Wesen der Bangladescher liege, ihren Müll zu entsorgen. Humaner, deutlich weniger falsch und zielführender ist das Argument, dass dieses Land einfach nicht wohlhabend genug ist, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Bangladesh ist ein benachteiligtes Land. Von der Topographie, die es immer wieder mit unvorstellbaren Hochwassern straft. Von der restlichen Zivilisation, die das ohnehin arme Land immer wieder unterdrückt und ausgeplündert hat. Es wäre ein wünschenswertes Ziel, wenn die Vereinten Nationen Bangladesch helfen würden, seine Probleme in den Griff zu bekommen. Auch das mit dem Müll. Nur: Welcher der beiden Wege wäre erfolgsversprechend?
Der Dewgroth? Die Probleme der Bangladescher dadurch beheben, dass sie ihren Lebensnotstand auf das Nötigste zurückfahren, um den „ökologischen Fußabdruck“ kleinzuhalten? Das haben sie schon versucht, lief nicht so gut. Um es genauer zu sagen: Dieser Lebensstil hat sie erst in die Situation gebracht, dass in ihren Gewässern der Müll so wuchert, wie es grüne deutsche Foto-Redakteure lieben.
Bliebe der Fortschritt. Der menschliche Geist des: Du hast ein Problem, löse es. Die Sache mit Herkules. Nun wäre Panda-Kot zu wenig. Aber Fumiaki Taguchi hat ja erst angefangen, vielleicht findet er noch etwas anderes, weitreichenderes. Falls nicht, gibt es noch ein paar andere Wissenschaftler, die es versuchen können. Man muss die Früchte des Fortschritts und des Wohlstands nur für dieses Ziel einsetzen. Wenn sich die Menschheit zurückzieht, um den Kartoffelkäfer von Hand zu entfernen, wird es nicht gelingen. Und egal, wie gering wir den „ökologischen Fußabdruck“ auch halten: Wenn wir nicht wie Herkules nach Lösungen suchen, werden wir sehr bald in Kot sitzen – und es wird nicht der von Pandas sein. Das gilt für ein Volk mit 170 Millionen Einwohner wie in Bangladesch. Es gilt aber auch für die 83 Millionen in Deutschland, wenn Ulrike Herrmann sich mit ihren gesellschaftspolitischen Forderungen durchsetzt.
Hätte es die Grünen schon in der Steinzeit gegeben, wären wir nicht an der Spitze der Nahrungskette. Wir würden nicht einmal das Feuer beherrschen. Nachdem sich der erste daran verbrannt hätte, hätten die Grünen gefordert, künftig darauf zu verzichten. Man hätte sich ja auch zurück in die Höhle ziehen und hoffen können, dass einen das Mammut verschont.
Die Menschen haben sich am Feuer verbrannt. Buchstäblich, vor allem aber metaphorisch. Es hat Schaden und Leid angerichtet. Aber das ist der Preis für Fortschritt. Auf jeden Herkules kommen #dutzende Ungenannte, die im Mist des Augiasstalls ersoffen sind. Wenn ein Herkules dann aber die nächste Stufe der Zivilisation geschafft hat, dann kann das irgendwann jedes Dorf schaffen. In Deutschland. In Bangladesch nicht. Noch nicht. Es liegt an der Welt, dem Land zu helfen. Mit Fortschritt. Denn Degrowth ist keine Lösung – lediglich der Weg zurück in die Höhle.