Debatte um Meinungsfreiheit: Grenzen werden enger gezogen
Gastautor
Tatsächlich wird die Meinungsfreiheit immer weiter eingegrenzt – auch juristisch. Dafür sorgt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und weitere Sanktionen bis hin zum Jobverlust.
Deutschland diskutiert über die Interviewäußerungen des bekannten Handballers Stefan Kretzschmar. Dieser hatte behauptet, die Meinungsfreiheit in Deutschland sei erheblich eingeschränkt. Insbesondere das konservative Spektrum zeigte sich über die Aussagen des eher links positionierten Sportlers erfreut, bestätigte es doch ihren schon seit langer Zeit vorhandenen Eindruck, dass bestimmte Meinungen eben doch etwas „gleicher“ seien.
Wie nicht anders zu erwarten, musste sich Kretzschmar auf erhebliche Gegenreaktionen einstellen. Feministin und taz-Autorin Sibel Schick warf ihm sogar vor, einen „rechten Ausdruck“ wie „Meinungsfreiheit“ zu benutzen – und bestätigte so ungewollt seine Aussagen.
Der Tagesspiegel bezeichnete die Aussagen als „falsch und gefährlich“, er bewege sich zwischen „gezielter Provokation und plumper Dummheit“.
Auch Stefan Kuzmany vom SPIEGEL beeilte sich, zu erklären, dass weiterhin Meinungsfreiheit herrsche. Zwar könnten Sportler durch ungeschickte Äußerungen Werbeverträge verlieren, dies sei aber mehr Kapitalismus als Politik. Der einfache Deutsche müsse keine Entlassung fürchten.
Ist es wirklich so einfach?
Kuzmany sagt, die juristischen Hürden für eine Entlassung wegen der politischen Haltung seien sehr hoch. Das stimmt. Nur sagt das wenig über die faktischen Hürden aus. In der (meist) halbjährigen Probezeit kann ein Arbeitnehmer jederzeit ohne Nennung von Gründen entlassen werden. Zudem sind immer mehr Angestelltenverhältnisse zeitlich befristet. Eine Entlassung ist oftmals gar nicht nötig, wenn man einfach einen bestehenden Vertrag nicht verlängert. Zudem hat ein Arbeitgeber das Recht zu entscheiden, ob seine Angestellten einer nebenberuflichen Tätigkeit (die politischer Natur sein kann) nachgehen dürfen. Verschweigt man eine solche Tätigkeit, kann dies erst recht ein Kündigungsgrund sein. Zudem bleibt als letzter Ausweg immer noch das Mobbing, sodass der unbequeme Mitarbeiter irgendwann „freiwillig“ geht.
Ein gutes Beispiel für die Einschränkung der Meinungsfreiheit liefert Kuzmany umgehend selbst.
Dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer wirft er vor, ein „Berufsprovokateur“ zu sein. Zwar mögen sich viele von dessen Ansichten über die verfehlte Flüchtlingspolitik provoziert fühlen – das heißt aber noch lange nicht, dass dies Palmers Intention ist. Natürlich will der Grünen-Politiker an einer Lösung mitwirken. Wer dies anerkennt, müsste sich mit seinen Argumenten inhaltlich auseinandersetzen. Da er aber nur ein Provokateur ist, muss man nicht „mit dem Schmuddelkind spielen“.
Tatsächlich wird die Meinungsfreiheit immer weiter eingegrenzt – auch juristisch. Dafür sorgt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz des früheren Justizministers Heiko Maas. Zwar engt es die Meinungsfreiheit nur bei Facebook ein – aber dies macht nunmal im Jahr 2019 einen beträchtlichen Teil der Öffentlichkeit aus. Doch für die Bundeskanzlerin ist das Internet bekanntermaßen „Neuland“. Nicht nur volksverhetzende Beiträge werden im Facebook gelöscht, auch Äußerungen, durch die mancher sich beleidigt fühlen könnte, haben es schwer.
Auftakt zur Einschränkung der Meinungsfreiheit war die Hetzkampagne gegen Thilo Sarrazin anlässlich der Veröffentlichung von Deutschland schafft sich ab im Jahr 2010. Auf Gegenargumente und Kritik hätte sich der SPD-Politiker einstellen müssen – nicht jedoch darauf, dass man seine Aussagen bewusst verzerrte, entlastende Aussagen unter den Tisch fallen ließ und ihn zum Rücktritt als Vorstandsmitglied der Bundesbank zwang. Zwar enthielt er eine mehr als beträchtliche Entschädigungszahlung – der einfache Bürger, der aus politischen Gründen entlassen wird, erhält diese jedoch nicht.
2016 wurde ein „Nikolaus“ auf einem Weihnachtsmarkt entlassen, weil er ein Facebookposting der Identitären Bewegung geliket hatte, das gegen die Legalisierung der Kinderehe im Rahmen der Flüchtlingskrise protestiert hatte. Diese Haltung ist mehr als legitim, eine Übereinstimmung mit den Zielen oder gar eine Mitgliedschaft in der Identitären Bewegung (über die man sich ja streiten kann) ist damit nicht bewiesen. Zudem kann ein „Nikolaus“ wohl kaum das politische Klima beeinflussen.
Auch ein Chemielehrer mit Sympathien für die Identitäre Bewegung und AfD-Parteibuch wurde an einer Berliner Schule entlassen. Dabei unterrichtet er eine Naturwissenschaft, die politisch neutral ist. Weder kann er im Unterricht Meinung machen, noch seine Schüler diskriminieren. Wer pH-Werte korrekt berechnet, erhält die volle Punktzahl – egal ob er deutscher oder syrischer Abstammung ist. Im „weicheren“ Deutsch-Unterricht gäbe es für Willkür einen größeren Spielraum.
Erst am Montag berichteten mehrere Medien, die Identitäre Bewegung habe die SPD-Zentrale und die Redaktion der taz „attackiert“. Tatsächlich aber wurden Plakate aufgehängt, die linksextreme Gewalt thematisieren. Ein körperlicher Übergriff stellte sich bei genauerer Betrachtung als fünfsekündige Rangelei heraus. Auch eine derart tendenziöse Berichterstattung – selbst bei der formal konservativen FAZ – engt das Meinungsspektrum ein.
Wer Geschlechtsunterschiede genetisch oder hormonell erklärt, kann schnell seinen Job verlieren.
Das betrifft sowohl den Nobelpreisträger Tim Hunt, den Harvard-Präsidenten Larry Summers oder den Google-Mitarbeiter James Damore. Über letzteren Fall hatte die SPD-Parteizeitung vorwärts geschrieben, es gäbe zwar eine Meinungsfreiheit – wer von ihr Gebrauch mache, müsse aber mit den Konsequenzen leben. Eben das muss man nicht, denn genau davor soll die Meinungsfreiheit schützen.
Der SPIEGEL verlor kein kritisches Wort darüber, dass Nobelpreisträger James Watson wegen Aussagen über Intelligenzunterschiede zwischen Schwarzen und Weißen seiner akademischen Ehrentitel beraubt wurde – als Insasse eines Pflegeheimes hat der 90jährige ohnehin keine tatsächliche Aufgabe mehr. Statt hier auf die Freiheit der Wissenschaft zu pochen, sah der SPIEGEL nur „Rassismus“.
Auch der deutsche Psychologe Heiner Rindermann sah sich wegen ähnlicher Äußerungen Hetze aus der – tendenziell linken – Geisteswissenschaft ausgesetzt. Seine Erklärungen über Zwillingsstudien, bei denen Teilnehmer einen IQ-Test ablegen, wurden von Afrikanisten sofort in die Nähe der Mengeleschen Menschenversuche an Zwillingen im KZ Auschwitz gerückt.
Indirekt geben die Medien zu, dass es eine Einengung der Meinungsfreiheit gab. In den letzten Jahren schreiben sie immer häufiger und immer gleichlautend, die AfD habe die „Grenzen des Sagbaren“ verschoben. Nun impliziert die Zunahme an sagbaren Dingen aber, dass in der Vergangenheit bestimmte Dinge unsagbar – also eben nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt – waren.
Lukas Mihr ist Historiker und freier Journalist.
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