Die vorgeblich mächtigsten Akteure der Weltwirtschaft sandten dieses Jahr mehr als irritierende Zeichen von ihrem jährlichen Schaulaufen in Davos. Man muss sich tatsächlich ernsthaft fragen, ob das Gros der Top-Manager und -Investoren überhaupt jemals so richtig verstanden hat, was die eigentliche Idee von Wirtschaft ist. Stein des Denkanstoßes ist die beim Weltwirtschaftsforum in der Schweiz prominent platzierte Aufforderung zur Selbstverpflichtung „for responsible business leadership“.
Man spricht davon, dass „business needs to reconnect with society“. Da frägt man sich unweigerlich, wer hat wann, wie und warum denn nur die Wirtschaft von der Gesellschaft disconnected. Seit Adam Smith über Friedrich August von Hayek bis Ludwig Erhard oder heute Clemens Fuest war in der Ökonomie immer klar, dass es bei Wirtschaft um Wohlstand für alle geht – den ganzen „Die bösen Neoliberalen“-Schreiern zum Trotz waren und sind liberale Ökonomen stets auch moralische Denker der allgemeinen Wohlfahrt.
„business needs to reconnect with society“ – wie bitte?
Dass Wirtschaft und Gesellschaft keine Antagonisten sind, sondern zwei Seiten derselben Medaille, ist eine ökonomische Binsenweisheit. Und der allergrößte Teil der Wirtschaftsmacher – namentlich unzählige kleinere, mittlere und auch große und ganz große Inhaber- und Familienunternehmer haben das im Rückenmark fest verdrahtet. Wirtschaft ist integraler Bestandteil von Gesellschaft. Ohne ein funktionsfähiges Gemeinwesen ist es unmöglich, wirtschaftlich zu reüssieren. Ohne eine funktionsfähige Wirtschaft gelingt kein friedliches und glückliches Gemeinwesen. Das ist die Urcodierung der Unternehmergene. Es gibt in der modernen Volkswirtschaft wenig, was nicht äußerst komplex ist, aber das ist in der Tat simpel: Business is unthinkable without society.
Wenn man also in Davos wirklich der Meinung gewesen wäre, dass sich DIE Wirtschaft von der Gesellschaft entkoppelt hat, dann wäre dieses bisschen Kokettieren mit Selbstverpflichtungen ein doppelter Offenbarungseid des Versagens: Das Eingestehen, die eigenen Grundlagen vergessen zu haben, und die Unfähigkeit, mit mehr als heißer Luft darauf reagieren zu können.
Vielleicht sollte diese selbstgefühlte Wirtschaftselite weniger von sich auf andere schließen und anstatt sich für DIE Wirtschaft zu halten, lieber nach Hause gehen und einfach anfangen, etwas zu ändern. Selber machen statt selbstverpflichten.
Schon Adam Smith hat darauf hingewiesen, dass der Motor der Wohlfahrt nicht die Menschenliebe, sondern die Eigenliebe der Marktteilnehmer ist. „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“ Nicht weil der Unternehmer nach einer besseren Gesellschaft strebt, sondern weil er Gewinn machen will, schafft er Wohlstand. Weil er nachhaltig Gewinn machen will, schafft er nachhaltigen Wohlstand.
Unternehmen das ganze Zielbündel der Gesellschaft aufzubürden, muss unweigerlich zu unlösbaren Zielkonflikten führen. Genauso wie umgekehrt das Prosperieren eines einzelnen Unternehmens kein sinnvolles Staatsziel sein kann. Der Staat und heute auch die Weltgemeinschaft müssen den großen Rahmen stecken, in dem die Einzelnen nach bestem Wissen und Gewissen nach ihrem Auskommen streben dürfen. Und nicht in jedem einzelnen Lebensziel Gott und die Welt immer mitdenken müssen.
Market happens, markets happen
Die Erfolgsgeschichte der Marktwirtschaft ist, dass sich Unternehmen darauf konzentrieren, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, und damit die Grundlagen für die gesellschaftliche Wohlfahrt schaffen. Unternehmen sollen den Bedarf an Waren und Dienstleistungen decken, Arbeitsplätze schaffen, mit Ressourcen sparsam umgehen und einen Teil ihres Gewinns als Steuern abgeben. Ende. Dann haben sie ihren Part in der Gesellschaft hinreichend erledigt. Und dafür genügt die Gewinnerzielungsabsicht als Ziel vollends.
Erwarten darf man allerdings, dass Unternehmer, Manager und Anleger beim Wirtschaften nicht aufhören, Mensch zu sein. Eine wertegebundene Moral und die Reziprozität des Miteinanders – das Urverständnis des Menschseins von Geben und Nehmen – kann man nicht einfach ablegen, wenn man in den Business-Anzug schlüpft.
Die Wirtschaftsziele müssen nicht an allen gesellschaftlichen Interessen ausgerichtet werden, aber selbstredend gilt es im Wirtschaftsgeschehen nicht nur die normative, sondern auch die ethische Ordnung einer Gesellschaft einzuhalten. Nachdem unmöglich alles geregelt werden kann, ist Rechtsstaatlichkeit ohne moralische Kultur schlichtweg unvorstellbar.
Die einzige Möglichkeit, solchen gesellschaftsschädlichen Egoisten Herr zu werden, ist es, Ross und Reiter zu benennen – unmoralische Praktiken aufzudecken und deren Betreiber bloßzustellen. Selbstreinigung statt Selbstverpflichtung.
Vermutlich wegen dieser mangelnden Nachdenklichkeit ist Davos zum Rendezvous im Schnee mit Kaviar verkommen. Die Mächtigen der Politik jedenfalls machen längst eine Kurve um die Schwätzer im geistigen Champagnerglas. Lediglich Chinas Staatschef nutzte die Solo-Bühne und erhielt Beifall. Man ist eben froh in Davos, wenn noch einer kommt.