Tichys Einblick
Eine Bankrotterklärung für die Kirchenführer

Das weichgespülte Evangelium und der Exodus aus den Kirchen

Die Austrittszahlen beider großer Kirchen zeigen: Eine Kirche der Beliebigkeit, der Belanglosigkeit und Bedeutungslosigkeit braucht keiner. Die Kirchenleitungen haben sich von den großen Themen biblischer Ethik verabschiedet. Die Mitglieder verabschieden sich nun von ihnen.

Jedes Unternehmen würde das Management feuern. Ein Bundesligaverein den Trainer. Oder gleich Insolvenz anmelden. Beide ehemals großen „Volkskirchen“ verloren 2019 ausgerechnet in Bayern dramatisch an Mitgliedern. Eine Massenflucht gerade dort, wo die „Chefs“ wohnen und wirken. Exodus bis zum Exitus – so auch die gesamtkirchliche Bilanz. Der Letzte macht das Licht aus. Eine Bankrotterklärung für die Kirchenführer.

Es ist das Schlimmste, was passieren kann. Ausgerechnet dort, wo der Chef bekannt und präsent ist, verliert die Marke, das Produkt am stärksten. Genau das passiert der katholischen und der evangelischen Kirche gerade: Das volksfromme bodenständige Bayern verzeichnete 2019 überdurchschnittlich hohe Austrittszahlen. Die Recherchen der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA ergeben für München, den Amtssitz des EKD-Ratsvorsitzenden und bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm und des damaligen Vorsitzenden der Deutschen (katholischen) Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, katastrophale Rekordzahlen für 2019: Mit 10.744 Münchnern meldete sich ein Fünftel mehr aus der katholischen Kirche ab als im Vorjahr, bei den Protestanten waren es 4.856, rund zehn Prozent mehr als 2018. Allein in München!

Noch schlimmer nur in Würzburg: Dort stiegen die Austritte bei den Evangelischen um 34 und den Katholiken um 31 Prozent. Dieser Boykott zahlender Mitglieder ist der Bankrott des vom Zeitgeist bewegten Klerikalismus. Und zwar überall in deutschen Landen. Engagierte Pfarrer, die ihren Dienst mit Glauben und Freude tun, können einem nur leid tun bei dieser „Führung“. 

Kirchen auf Abwegen
Politisierte Kirchen: Der neue christliche Sozialismus
Warum wenden sich immer mehr von den Kirchen ab? Von den Kirchen, nicht vom Glauben! Eine bekannte Apothekerin schrieb: „Ich verlasse die politische Organisation EKD, nicht meinen Glauben an Jesus Christus.“ Für einen Paukenschlag sorgte WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt, als er am Abend des 24. Dezember 2017 twitterte: „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht.“ Ein allen bekannter TV-Kollege schickte mir folgende Kurznachricht: „Lieber Peter Hahne, ich bin ihretwegen nochmal in die Kirche gegangen. Was ich zu hören bekam, war nicht die von Ihnen vertretene Frohe Botschaft, sondern Drohungen mit erhobenem Zeigefinger eines Gender- und Flüchtlingsbeauftragten. Ich gehe nie wieder in eine Kirche.“

Gerade erst verließ ein ebenfalls bekanntes Journalisten-Gesicht still und leise, resigniert und frustriert seine Kirche. Er schreibt mir: „Was ich am meisten verachte, ist die Naivität von Luthers und Bätzings Kirche: Die Bergpredigt wird politisch ausgelegt, als müsse der Heilige Martin nicht seinen halben, sondern den ganzen Mantel abgeben und das Pferd gleich mit – und zwar nicht an Bedürftige, sondern an Freibeuter. Der Inbegriff der Naivität ist in der EKD die Frau K. Die dumme Version davon ist Frau Gö.“ Und der liberale und alles andere als konservative Kollege fährt fort: „Dass mein Kirchgeld in Hetzkampagnen gegen die AfD und in Flüchtlingsschiffe gesteckt wird, da geht mir das Messer in der Tasche auf. Schluß damit!“

Was treibt den letzten Journalisten, Handwerker, Polizisten oder Frommen aus den Kirchen? Es ist die rot-grüne Ideologisierung, am besten zu besichtigen auf sogenannten Kirchentagen und Synoden. Das kommt davon, wenn Gremien wie das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken von Parteipolitikern besetzt und geleitet werden und nicht von gläubigen Familienfrauen. Die junge Kollegin Zara Riffler nennt die Kirchen in ihrer gründlichen TE-Analyse „Vorfeldorganisationen teils linksradikaler Parteien“.

Bilderstürme, Fußwaschungen und Kniefälle: Die Rückkehr des Religiösen
Da ist auch das weichgespülte Wellness-„Evangelium“ einer unverbindlichen Gefühlsbotschaft. Kuscheltheologie nach dem Motto: Wir glauben doch alle an einen Gott, und jeder kann nach seiner Façon selig werden. Es ist die Infantilisierung einer feierlichen Liturgie, die zu Regenbogen-Events mit Feierabendmahlen und ein bisschen Händchenhalten verkommt. Wenn in einem TV-Gottesdienst gebetet wird: „Ich bitte dich, Gott, für meinen Hund, der heute 14 Jahre alt wird“ und danach das liturgische „Herr, erbarme dich!“ kommt, dann kann man nur flehentlich gen Himmel blicken: Herr, schick Hirn!

Letztlich ist es der Ausverkauf biblischer Theologie, der die Kirchen leerfegt. Die Theologie der leeren Kirchenbänke von Religionsbeamten, die sich dem „modernen“ Menschen anbiedern und ihn dabei verlieren. Ähnlich wie die orangene Großstadt-CDU Ole von Beusts, ein Fiasko (auch zahlenmäßig) für die Partei Adenauers. Der linke Gregor Gysi sagte mir einmal: „Wenn ich in eine Kirche gehe, erwarte ich, dass mir die Leviten gelesen werden, von Sünde gesprochen und an mein Gewissen appelliert wird. Und wenn Sie auf meinen Parteitag kommen, müssen Sie mit Karl Marx rechnen.“

Will sagen: Kirche wird nur dann ernst genommen, auch und gerade von „Außenstehenden“, wenn sie zu ihrer Sache, ihrem Markenkern steht und dem, was sie konkurrenzlos wichtig macht. Eine Kirche der Beliebigkeit, der Belanglosigkeit und Bedeutungslosigkeit braucht keiner, dafür zahlt man lieber in die Krankenkasse oder dem Roten Kreuz. Und manche Pfarrer, die aus ihrem Glauben heraus klare Botschaft vertreten könnten, sogar bekannte Verkündiger sind, sind mehr an ihrer Klerikal-Karriere interessiert und schweigen, verharmlosen, machen mit. 

Warum Austritt? Weil jene beiden Oberhirten, wie sie fälschlicherweise genannt werden (denn Hirten suchen das Verlorene, sie stoßen nicht in den Abgrund) sich nicht entblöden, zum Beispiel AfD-Wählern das Christsein abzusprechen. Kein Platz auf den Kirchentagen! Jesus, der mit Sündern zu Tische saß, würde sich im Grabe umdrehen, wäre es nicht dank Ostern leer. Dafür das völlig entrückte Vulven-Malen auf dem evangelischen Kirchentag (BILD frage: „Noch Kirchentag oder schon Sexmesse?“) und wenig Berührungsängste zur türkisch-nationalistischen DITIB oder der antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS. Und allerlei Allotria einer irren Eventreligion.

Gegen den Westen und die Aufklärung
Unsere Taliban
Der Mainzer Theologie-Professor Walter Dietz schrieb am 16. Juni 2020 in der FAZ: „Die EKD hat sich von Luther und von substantieller theologischer Argumentation verabschiedet.“ Es ist oft nicht die Glaubensarmut, es ist die intellektuelle Mittelmäßigkeit. Wobei das fast schon eine Beleidigung des Mittelmaßes ist. Wenn die lutherischen Kirchen „Corona“ eine „heilsame Unterbrechung unseres Lebens“ nennen, ist das blanker Zynismus einer weltfremden Parallelgesellschaft angesichts von verzweifelten Senioren, eingesperrten Kindern, Kurzarbeit und Jobverlust.

Der Sündenfall, der selbst atheistische Kommentatoren fragen ließ „Wissen die denn nicht, dass das historische Golgatha 500 Meter entfernt liegt?!“: Eine deutsche Bischofsdelegation, angeführt von den beiden Münchner „Oberhirten“, legte das Amtskreuz beim Besuch der Al-Aqsa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg ab. Das Kreuz. Einfach weg! Das war Ende 2016. Drei Jahre später also die Quittung.

Was soll eine Kirche, deren Botschaft zu Ostern, dem Höhepunkt der sogenannten Corona-Krise, in nichts anderem medial wahrnehmbar war als: „Wir brauchen jetzt die Reichensteuer“ (EKD). Und als Pfingst-Präsent die staunenden Kirchensteuerzahler mit einem Gender-Sprachhandbuch beglückt. Kirche! Josef Kraus, langjähriger Lehrerverbandspräsident und TE-Autor, kommt in seinem Kommentar mit fünf Wörtern aus: „Die Kirche als Gender-Sekte“. Das nimmt niemand mehr ernst, der noch halbwegs bei Trost ist. Und Marx-Nachfolger Bätzing serviert seinen Schäfchen zu Pfingsten die „Ehe für alle“ mit katholischem Segen.

„Kriegsenkel“ und Transtrauma
Kriegskinder in Corona-Gefangenschaft
Die Religionsführer Roms bringen ohnehin etwas historisch Einmaliges fertig: Auf ihrem „Synodalen Weg“ wandern sie zielgenau Richtung Abseits und Abgrund. Sie nehmen inhaltlich und strukturell Maß an einer Kirche, die weit mehr Mitglieder verliert als sie selbst. Die Protestantiserung des Katholizismus ist schon rein rechnerisch Selbstmord. Ganz zu schweigen von der halbherzig-herzlosen „Aufklärung“ der Missbrauchsskandale. Da beschäftigt man sich doch lieber mit der antichristlichen AfD. Kaum ein Wort mehr zu Ehe, Familie, Tötung ungeborener Kinder. Die Kirchenleitungen haben sich von den großen Themen biblischer Ethik verabschiedet. Die Mitglieder verabschieden sich nun von ihnen. Die Austrittszahlen sind unbestechlichen Fakten.

Und wo bleibt das Positive, Herr Hahne? Was wir brauchen, ist eine Bekenntnis-Ökumene lebendiger Gemeinden und Bibel-orientierter Pfarrer, die wie überall auf der Welt von freiwilligen Mitgliedsbeiträgen und nicht steuer-satt leben. Sonst kann man sein Logo gleich aktualisieren: EKD gleich „Ehemalige Kirche Deutschlands.“

Bestseller-Autor Peter Hahne war 18 Jahre Mitglied des 16-köpfigen obersten Leitungsgremiums der Evangelischen Kirche, des Rates der EKD.

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