Die Demonstration vom 1. August erzeugt immer noch Nervosität bei denen, die glauben, nur SPD/Grüne/Linke/Gewerkschaften oder NGOs besitzen das Recht, eine Demonstration zu veranstalten. Aktivistische Journalisten erfanden dafür den Ausdruck „umstrittene Demonstration“, der tief in ihr Demokratieverständnis blicken lässt. Denn nicht-umstrittene Demonstrationen kennen nur Diktaturen – als Kundgebungen. Es ist das Wesen einer Demonstration in einer Demokratie, gegen etwas anzustreiten – und natürlich ist jede Demonstration dort, wo Meinungsfreiheit herrscht, umstritten, denn sie findet Befürworter oder Kritiker. Die Vorstellung, dass jeder, der zu einer Demo geht, sich im Vorfeld eine Teilnehmerliste der Veranstaltung zeigen lässt, zielt auf die Abschaffung des Demonstrationsrechts. Die Frage, ob man mit den Zielen der Demo übereinstimmt, hat nichts damit zu tun, die Demo als politisches Ereignis zu werten.
Nichts anderes hat Arnold Vaatz für diejenigen, die lesen wollen oder lesen können, in seinem Gastkommentar für Tichys Einblick getan. Als Nachhilfe für die Kellners und Kühnerts und für den Tagesspiegel und einige andere sei noch einmal daran erinnnert, dass sich Arnold Vaatz ausdrücklich hinter die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Corona-Epidemie gestellt hat. Damit hat er eine kritische Position zur Demo bezogen.
Gerade in Ausnahmesituationen muss auf die Aufrechterhaltung der freiheitlichen Standards geachtet werden, haben die Medien dem Staat genau auf die Finger zu schauen, wenn Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Die deutschen Medien haben sich darüber empört, dass der ungarische Regierungschef Viktor Orbán sich besondere Vollmachten vom Parlament im Rahmen eines Ausnahmezustands bewilligen ließ, um die Ausbreitung von Corona-Infektionen zu verhindern. Sie haben in ihrer ganzen Empörung nur vergessen zu erwähnen, dass diese Vollmachten genau definiert und exakt zeitlich terminiert waren. Es war ihnen überdies keine Erwähnung wert, dass Orbán diese Vollmachten pünktlich wieder abgab. Im Gegenteil: Der Medientenor in den Artikeln über Corona lautet: Alle anderen sind zu bemitleiden, nur die Regierung Merkel macht alles richtig. In der Tat fühlt man sich immer stärker an die Kritikfähigkeit des Neuen Deutschlands an der DDR-Regierung erinnert, wenn man täglich die Medien zur Kenntnis nimmt. Damit traf Vaatz einen wunden Punkt.
Arnold Vaatz werden schiefe Vergleiche vorgeworfen, dabei aber bewusst übersehen, dass er mit dem stilistischen Mitteln der Zuspitzung auf eine Gefahr aufmerksam macht. Im Grunde hätte sein Gastbeitrag von der FDP stammen müssen, von einer Partei, die liberal sein will und vorgibt, für Bürgerrechte einzutreten. Der Autor hätte also nicht Arnold Vaatz, sondern Christian Lindner heißen müssen. Doch die FDP als liberale Partei, als Partei der Bürger- und Freiheitsrechte ist spätestens seit Lindners Reise am 6. Februar nach Erfurt ein Ausfall.
Vaatz kritisiert, dass Corona politisch benutzt wird, und dadurch die reale Gefahr, die von Corona ausgeht, zur politischen Diskursmasse wird. Allen, die das mit empörter Geste von sich weisen, und gern den Bannstrahl der „Verschwörungstheorie“ werfen, dürften durchfallen, wenn man sie zum Begriff und zur Geschichte der Verschwörungstheorien befragt. Übrigens erfüllt die Behauptung vom „Rechtsruck der Gesellschaft“ alle Kriterien einer Verschwörungstheorie.
Allein die Tatsache, dass aus dem „Klimaleugner“ problemlos der „Coronaleugner“ wurde, beweist die Instrumentalisierung hinlänglich. Wer leugnet eigentlich, dass Klima oder Corona existieren?
Stattdessen erhebt der Tagesspiegel den verschwörungstheoretischen Vorwurf der Nähe zu Coronaleugnern und Verschwörungstheoretikern. Weil man nicht über das sprechen will, worum es geht, nämlich über die Gefahr, die von einem erheblichen Vertrauensverlust in die Regierung und in die Medien in der Abwehr einer Katastrophe besteht, folgt wie immer der Versuch der moralischen Diskreditierung, des argumentum ad hominem. Und das – hiermit bestätigt der Tagesspiegel ungewollt Vaatzens Befund – ist eine Technik, die man aus Diktaturen kennt und die einer demokratischen Gesellschaft und eines demokratischen Diskurses unwürdig ist. Wenn der Tagesspiegel die Fraktionsspitze für parlamentarische Stiefelknechte der Regierungschefin hält, deren Aufgabe darin besteht, „Mehrheiten für die Regierungspläne der Kanzlerin“ zu organisieren, dann stellt sich die Frage, wozu es aus der Sicht des Tagesspiegels überhaupt eines Parlamentes bedarf und was der Tagesspiegel von dem freien Abgeordneten, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist, überhaupt hält?
Die Behauptung des Tagesspiegels, dass Tichys Einblick einer „neurechter Blog“ sei, besitzt den Wahrheitswert der Behauptung, dass der Tagesspiegel inzwischen das Zentralorgan der Antifa ist. Will der Tagesspiegel tatsächlich auf diesem niederen Niveau argumentieren? Ist das das Niveau der „freien Presse“, wie bestimmte Medien von rotgrünen Politikern und aktivistischen Journalisten genannt werden? Wenn es eine „freie Presse“ gibt, müsste es auch eine unfreie Presse geben. Wäre die unfreie Presse eine Presse, die unterdrückt wird? Wenn ja, von wem?
Die Begriffe „freie Presse“ und „demokratische Kräfte“ gehörten in der Zeit der Umwandlung Ostdeutschlands in eine Diktatur von 1945 bis 1950 zum Propagandaarsenal der SED. Provozieren Medien wie der Tagesspiegel und andere in ihrer Begriffswahl, in ihrem Empörungsjournalismus, in ihrem distanzlosen, belehrenden Habitus, in ihrer Überheblichkeit dem Bürger gegenüber nicht den DDR-Vergleich selbst?
Bezeichnend ist jedoch, dass man Vergleiche skandalisiert, um nicht darüber zu sprechen, worum es im Beitrag von Arnold Vaatz eigentlich geht: um die Glaubwürdigkeit der Regierung und der Medien.