Samstag, 7.3.2020. ARD. „Wort zum Sonntag“. Die Pastorin Annette Behnken darf im Namen der Evangelischen Kirche eine flammende Rede halten. Ihr Thema: Die Migrationskrise, die sich im Augenblick wieder an der griechischen Grenze zuspitzt.
Frau Behnkens Position ist klar und eindeutig und mir gut vertraut, da ich mir hin und wieder Bundestagsreden anhöre und dabei dort von den Grünen und Linken solche „Worte zum Sonntag“ schon etliche Male gehört habe. Die Grenzen zwischen Reichstag und „Wort zum Sonntag“ verschwimmen.
Und so schaut Frau Behnken die Welt an: „An der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei verkaufen wir in diesen Tagen unsere grundsätzlichen Werte: Menschenrechte und Menschlichkeit“. Die ehemals schöne Braut Europa ist häßlich geworden, weil sie nicht umgehend alle Kinder, Frauen und Männer aufnimmt, die in Griechenland vor der Tür stehen. Statt dieses einzig Richtige zu tun, lassen wir uns von Neofaschisten genauso wie vom Corona-Virus in Scheckstarre versetzen. „Mit Verlaub: Ich könnte kotzen!“ Doch Frau Behnken will es nicht nur beim Kotzen belassen. „Wir müssen die Parlamente stürmen“, damit endlich eine christliche und barmherzige Flüchtlingspolitik in Europa einziehen kann. Die Kirche mit ihrem Schiff zur Seenotrettung im Mittelmeer weist uns dabei als leuchtendes Beispiel für das schöne Europa den Weg.
Das ganze gut vorgetragen. Mit weiblichem Charme, mit viel Emotionen und Energie, sehr authentisch. Aufrüttelnd. Ein Appell bis ins tiefste Gewissen hinein.
Und doch regt sich in mir nach dieser politischen Gardinenpredigt an fünf fundamentalen Punkten heftiger Widerstand:
Zweitens: Die auf den ersten Blick so menschlich wirkenden Worte sind unmenschlich. Das „Wort zum Sonntag“ wimmelt ja nur so von Begriffen wie Menschlichkeit, Solidarität, Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft. Doch wer seine politischen Gegner in anmaßender Selbstjustiz als Völkermörder und Kriegsverbrecher (= Neofaschisten) diffarmiert und stigmatisiert und sie obendrauf noch in die Nähe von gefährlichen Coronaviren bringt, der spricht unmenschlich.
Drittens: Die auf den ersten Blick so klug wirkenden Worte sind unvernünftig.
Die Vernunft stellt Fragen: Wofür instrumentalisiert Erdogan augenblicklich die Migranten an der griechischen Grenze? Wieviele fremde Menschen kann eine Gemeinschaft vertragen, ohne sich selber zu zerreißen? Wie können wir anderen Menschen helfen, ohne sie gleich alle in unserem eigenen Hause aufnehmen zu müssen?
Im „Wort zum Sonntag“ gibt es keine ernsthaften Fragen. Bei Frau Behnken ist alles klar. Die weiße EKD – die schwarzen Neofaschisten. Hier braucht es kein Überlegen. Hier braucht es nur noch die Tat. Dieses „Wort zum Sonntag“ steht für ein voraufklärerisches Christentum.
Fünftens: Das auf den ersten Blick biblisch daherkommende Wort ist unbiblisch.
Das „Wort zum Sonntag“ beruft sich auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Doch dieses Bibelwort mit all seinen unterschiedlichen Nuancen wird bei Frau Behnken lediglich zu einer blutleeren Chiffre für eine grenzenlose Hilfsbereitschaft. Dass der biblische barmherzige Samariter den unter die Räuber Gefallenen gerade nicht nach Hause in seine eigenes Haus mitnimmt, sondern ihn in einer Herberge abgibt – ans solchen „Feinheiten“ im Bibeltext hat Frau Behnken keinerlei Interessse. Denn damit würde der Bibeltext ja ihrer eigenen Ideologie widersprechen. Und das kann und darf ja nicht sein, denn sonst wäre ja die Bibel selber „neofaschistisch“.
Fünf fundamentale Einwände gegen das „Unwort zum Sonntag“ vom 7.3.2020, das in meinen Augen eine christliche Bankrotterklärung ist:
Undemokratisch, unmenschlich, unvernünftig, unevangelisch, unbiblisch.
Und das ganze öffentlich-rechtlich hinausposaunt in alle deutschen Wohnzimmer.
Wo bleibt der Aufschrei der Christen?
Wo bleibt der Aufschrei der Kirchenleitungen?
Wo bleibt der Aufschrei der Demokraten?
Oder nimmt etwa keiner mehr das „Wort zum Sonntag“ ernst?!
Das wäre in diesem Fall vielleicht nicht das Schlechteste!
Pfarrer Achijah Zorn