Eigentlich ist es ziemlich fraglich, wie dieser Tag, der scheinbar so viele Gemüter erhitzt, an mir vorbeigehen konnte. Ganz recht: ich wusste nicht, dass es einen Tag gibt, an dem man dem Kopftuch, dem Hijab, huldigt, geschweige denn, dass junge Mädchen und Frauen unabhängig davon, ob sie Muslima sind oder nicht, nun auch in den Sozialen Medien ihre Solidarität mit den Kopftuch tragenden Frauen mit einem Hashtag unter Beweis stellen.
Ich habe mich bewusst nicht in das Thema eingelesen, damit ich nicht wieder anfange, all die verschiedenen Positionen nachvollziehen zu wollen, was bei diesem Thema ohnehin zu lange dauern würde, weil ich vor lauter Kopfschütteln zu viele Pausen einlegen müsste. Und mich danach vermutlich von einem Schleudertrauma über das viele Kopfschütteln erholen müsste.
Mein erster und natürlicher Impuls ist ein innerer Wiederstand.
Trotzdem bin ich verständnisvoll und respektiere jede Religion, sofern sie auch mich (ohne Kopftuch) respektiert. Und hier sind wir auch schon direkt bei einem der vielen „kleinen“ Probleme angekommen, die der World Hijab Day zu verschleiern versucht.
Ich mache es kurz: Das Thema ist ein sehr persönliches, weshalb es mir erstens sehr schwer fallen würde, mich „neutral“ dazu zu äußern oder viel mehr, mich nicht in das Fadenkreuz der Diskriminierung zu begeben. Aber selbst wenn man mir dies unterstellen wollen würde – ich habe ein Recht auf freie Meinungsäußerung und bestehe darauf.
Deswegen habe ich mich dazu entschieden, jemand anderes zu befragen, dessen Meinung ich für viel interessanter halte als die meine. Es handelt sich um eine über 50-jährige türkische Frau, die in jungen Jahren nach Deutschland kam und die ich nun hier zu diesem Thema wiedergeben möchte:
„Ich lebe nun über 40 Jahre in Deutschland und hatte bisher eigentlich keine Probleme mit dem Kopftuch. Ich war es gewöhnt von meiner Mutter, aber wir – ihre 3 Töchter mussten nie eines tragen und haben es auch nie getan. Ich habe von diesem „World Hijab Day“ noch nie gehört – wer hat sowas erfunden?
Ich persönlich denke, es kommt immer auf die Art und Weise an wie man ein Kopftuch trägt. Ich denke, es ist nicht notwendig. Aber ich weiß auch, es gibt sie wirklich, die Frauen, die es selbst wollen. Komischerweise reden die nie über Religion oder versuchen auch nie einen zu missionieren. Generell sind diese Frauen meist sehr unauffällig und in sich gekehrt. Sie leben ein Leben mit ihrem Gott und legen keinen Wert darauf, was andere über sie denken. Nehmen blöde Blicke gelassen in Kauf und sehen sich nicht als Opfer, eher im Gegenteil.
Wir, also ich und meine Geschwister, sind aufgewachsen mit dem Glauben, das man nur Gott selbst beweisen muss, dass man an ihn glaubt und nicht der Gesellschaft durch ein Kopftuch. Seinen Glauben hat man im Herzen zu tragen und nicht plakativ nach außen. Uns wurde beigebracht, dass man Religionen und gläubige Menschen respektieren muss und das Religion ein besonders großes Konfliktpotenzial hat, wenn man sie öffentlich zur Schau stellt. Deswegen sollten wir das immer mit uns selbst ausmachen. Damals war es sogar so, dass unter den liberalen Türken immer der Verdacht im Raum stand, dass, wenn sich eine Frau verhüllt, auch etwas zu verbergen hat. Es wurde – da bin ehrlich – etwas geächtet. Noch schlimmer war es, wenn eine Frau erst offen herumgelaufen ist und dann plötzlich mit Kopftuch, das war wie eine Art Resignation – zeugte von schwachem Charakter. Diese Frau hatte es also nicht aus eigener Kraft geschafft, ihren Glauben zu verinnerlichen, sondern braucht scheinbar von außen diese Regeln und Grenzen.
Es waren die starken Frauen bei uns, die modern und offen waren und trotzdem im Inneren integer geblieben sind. Das heißt, trotzdem sie nicht verschleiert waren, ihr Ansehen und ihren Glauben zu schützen wussten. Also nicht vom Glauben abfielen oder zur „Hure“ wurden.
Dass wir europäisch und modern lebten, aber trotzdem nicht unsere Herkunft vergessen hatten. Das hat aber dazu geführt, dass wir unter großem Druck lebten – insofern wäre ein Kopftuch wahrscheinlich sogar entlastend gewesen. Aber wir wollten uns eben emanzipieren und taten es auch. Ich brauche kein Tuch, das mich schützt.
Religion ist ein Spielzeug geworden – schlimmer sogar, das alles ist keine Religion mehr, sondern pure Politik.
Ich werde wütend, denn ich spüre nur noch Widerstand, wenn ich höre, dass man tatsächlich versucht, mit einem Kopftuch Freiheit zu propagieren. Für mich ist das Kopftuch ein Zeichen von Unterdrückung und das bleibt es auch.
Die Frau ist doch kein Objekt. Fleisch, das man bedecken und schützen muss vor dem Verlangen der Männer. Als wären alle Männer Tiere. Ganz besonders schlimm fühle ich mich, wenn ich Kinder sehe, die bedeckt sind. Was hat dieses Kind überhaupt eine Ahnung von Gott, Religion, geschweige denn von Erotik?
Es wird erotisiert, indem man es bedeckt und das zeigt in meinen Augen den wahren Charakter der Verschleierung – oder eher gesagt: den derjenigen, die Verschleierung versuchen als etwas zu verkaufen, was sie einfach nicht ist: Freiheit und Reinheit!
Es ist pervers, Kinder zu bedecken. Nein, perverser sind diejenigen, die meinen, dass man diese unschuldigen Wesen bedecken muss.
Wenn ich mir nur anschaue, wie die Frauen sich heutzutage verschleiern – selbst das ist mir neu. Diese Frauen, die teilweise so sehr geschminkt, eng bekleidet sind und das Kopftuch so binden, dass man nicht anders kann als hingucken. Ich selbst muss hingucken als Frau, denn diese Frauen ziehen weitaus mehr Aufmerksamkeit auf sich, als wenn ich einen Minirock und Top tragen würde im Winter oder meine Töchter.
Das ist der größte Widerspruch – aber ich oder andere Frauen sind dann diejenigen, die man leichtfertiger als „keine gute Frauen“ bezeichnen würde in diesen Kreisen, weil – „nicht gottesfürchtig“ – denn „kein Kopftuch.“
Ich verstehe, warum die sagen, es sei Freiheit: Denn unter diesem Schleier leben sie ihre Freiheit aus – ihre unterdrückten Gelüste. Ich will das gar nicht vertiefen, denn es geht wirklich in Bereiche, für die eine nicht bedeckte, liberale Frau nicht mal in der Lage wäre.
Viele bedeckte sind oberflächlich ehrenvoll, gottesfürchtig und rein – aber darunter?
Das sind mit Abstand sie schlimmsten!
Aber es ist weitaus schwerer, eine Frau mit Kopftuch der „Hurerei“ zu bezichtigen, als all die anderen offenes Haar tragende Frauen aus muslimisch geprägten Nationen.
Das sagen sogar viele muslimische Männer. Es gibt sogar welche, die fürchten sich vor diesen Frauen, weil sie ihnen gerade deswegen, also dem Kopftuch, nicht trauen.
Ich kenne verheiratete und verschleierte Frauen, die ihre Männer betrügen und kein Mensch bei diesen Frauen auf die Idee käme, das auch nur im Ansatz zu vermuten.
Aber bei mir als geschiedener Frau ohne Kopftuch hatte man Angst, wenn ich einen Raum betrat, ich könnte ihre Männer verführen. Das Kopftuch gibt ihnen genau diese „Freiheit“ und diesen „Schutz“. Dass niemand schlecht über einen reden kann – nicht darf, denn es sind gläubige, also gute Frauen. Um mehr „Freiheit“ geht es nicht. Sie verstecken sich dahinter, verstecken ihr wahres Wesen.
Insofern verstehe ich, wie der Begriff „Freiheit“ überhaupt mit dem Kopftuch in Verbindung stehen kann, während Frauen wie ich, die einfach sind, was sie sind, offen sind, aufrichtig aber im stillen an Gott glauben, sich nicht öffentlich damit brüsten durch Verschleierung leichtfertig als schlechte Frauen betitelt zu werden.
Das ist heuchlerisch und verlogen, und wir alle wissen es.
Aber der Schein zählt. Nicht bei allen, aber bei wirklich vielen.
Dieser Tag – „World Hijab Day“ ist für mich nichts anderes als eine Gehirnwäsche. Noch nie habe ich von so einem Tag gehört. Meine spontane Meinung dazu ist radikal, wie ich das Kopftuch selbst empfinde. Wie eine Droge betrachte ich das, einen Probiertag für alle Frauen, die noch nie ein Kopftuch auf den Haaren hatten. Die ersten kleinen Grenzen und inneren Widerstände werden an solch einem Tag von Frauen, die vielleicht gar nicht wissen, was es wirklich bedeutet, ein Kopftuch zu tragen, überwunden unter dem Deckmantel Solidarität. Die wissen gar nicht, was das bedeutet – wie auch? Selbst Kopftuchträgerinnen wissen teilweise nicht, was das bedeutet. Aufziehen und dann wieder Abnehmen, gehört sich eigentlich auch nicht. Wenn ich mich heute entscheiden würde, ein Kopftuch zu tragen, dann müsste ich es tragen und zwar konsequent. Alles andere wird in diesen Kreisen verachtet.
Wie gesagt, Religion ist doch kein Spielzeug – keine Modeshow, in der ich zeigen kann, wie modern ich religiös sein kann.
Erdogan würde sich über die Naivität der deutschen oder europäischen, vor allem eigentlich christlich geprägten Frauen, innerlich ins Fäustchen lachen. Tut er bestimmt auch. Und das tun die anderen meisten auch.
Das ist dasselbe wie diese Salafisten in den Innenstädten, die ihre Korane gratis verteilen und sagen : „Komm, lies, probiere es nur mal aus!“
Sie verführen so nun auch jetzt mehr die Frauen zum Islam und zwar zum strengen konservativen Islam.
Die sagen ja nicht mal, dass man den Glauben auch ohne Kopftuch leben kann. Nein, es wird direkt zum Kopftuch gegriffen, und das auch noch öffentlich im Internet gezeigt.
Ein deutsches Mädchen wird, sobald sie so ein Bild postet, mit enormer Bestätigung und Komplimenten überhäuft werden. Die konservativ muslimischen Freunde werden diesen Mädchen das Gefühl geben, als seien sie nun etwas ganz besonderes, vor allem die Männer werden ihnen schmeicheln und Komplimente machen, wie gut es ihnen steht und das nun „ihr wahres Wesen“ zum Vorschein kommt. Frauen, die eins tragen, werden ihnen das Gefühl geben, als hätten sie nun auch den Schlüssel zum inneren Zirkel der „reinen“ und „ehrbaren“ Frauen erlangt. Ist ja klar, was die im Umkehrschluss über offene oder nicht islamische Frauen denken. Nicht alle – aber die Mehrheit.
Das wird vielen naiven Mädchen, die noch jung und auf Selbstsuche sind, ein positives Gefühl über sich selbst geben. Die wirklich Gläubigen werden diese Mädchen versuchen auf diesem Weg zu unterstützen. Und zack, ein paar Muslime mehr.
Die anderen pseudo Muslime lachen über sie, verachtend – wie selbstleugnerisch und ehrenlos diese Frauen sind. Man nennt sie „leichte Frauen“. Einerseits, weil sie von dem was ihre eigene Kultur eigentlich hergibt, so schnell abweichen und die Werte der eigenen Familie verraten. Anderseits, weil es für sie ein innerer Triumph ist, jemanden mit der eigenen Kultur und Religion so dermaßen beeinflussen zu können und sich dadurch stärker fühlen.
Solidarität mit was eigentlich? Mit wem genau? Wieso hat sich keiner damals mit uns solidarisiert, als wir die Kopftücher ablegten und leben wollten wie Europäer, aber immer Angst haben mussten, weil es genau in diesen Kreisen als ehrenlos galt?
Ich habe vieles Schlimmes selbst erlebt und gesehen – was das Kopftuch sogar hätte verhindern können. Ich habe aber nichts verschleiert und habe offen dazu gestanden, wer ich bin und was ich will und ich habe auch darunter gelitten, aber blieb bis heute standhaft. Aber ich bin stark und auch eine Ausnahme- denn eine Bekannte von mir wurde ermordet, als sie sich von ihrem Mann trennte und das Kopftuch ablegte. Ihre Kinder, die nach der Grundschule nach Hause kamen, fanden sie erstochen in der Küche. Wer denkt heute noch an diese Frau? Wer hat sich mit diesen Frauen solidarisiert? Ganz zu schweigen von den Frauen, die gezwungen werden dieses Zeichen der Unterdrückung zu tragen – wer solidarisiert sich mit denen?
Sollen sie ihre Tücher tragen, das soll jeder machen wie er will. Aber dieser Tag ist ganz sicher kein Tag der Solidarität – sondern ein Tag, an dem mir einmal wieder bewusst wird, dass es sich längst um keine Religion mehr handelt, sondern nur um Macht und Unterdrückung – um Politik eben. Dieses Mal nur zusätzlich von Frauen über Frauen.
Liebe Leser, ich denke, ich werde zu diesem Kommentar nichts mehr hinzufügen können und wünsche in diesem Sinne einen #HappyHijabDay.