Die „Kartoffel“-Rhetorik ist nur ein Argument gegen die neue Antidiskriminierungsbeauftragte – und noch nicht einmal das stärkste. Die knapp gewählte Leiterin der Stabsstelle gehört zu einem weitgespannten Netzwerk, das den politischen Islam seit Jahren verharmlost und den Einfluss radikaler Aktivisten stärkt.
In den Wochen von ihrer Nominierung bis zu ihrer Wahl als neue Antidiskriminierungsbeauftragte mit 376 von 671 abgegebenen Stimmen konzentrierte sich die öffentliche Kritik an Ferda Ataman auf ihre früheren Twitter-Äußerungen (die sie fast komplett löschte), und ihre Texte auf Spiegel Online. In einer Kurznachricht hatte sie 2020 darüber spekuliert, dass, falls wegen Corona Beatmungsgeräte in Krankenhäusern knapp würden, Deutsche ohne Migrationshintergrund bevorzugt behandelt würden.
Ebenfalls auf Twitter, aber auch im Spiegel verteidigte sie die Bezeichnung „Kartoffeln“ für Herkunftsdeutsche mit dem Argument, die Formulierung sei nicht diskriminierend. Die von ihr gegründete und lange geleitete Organisation „Neue Deutsche Medienmacher“ (NDM) verleiht regelmäßig den Negativpreis „Goldene Kartoffel“ an Medien, die aus Sicht der NDM nicht angemessen berichten, im Jahr 2020 beispielsweise an Spiegel-TV für dessen Berichterstattung über Clankriminalität in Deutschland. Schon die Bezeichnung „Clankriminalität“ stellt aus Sicht der NDM, anders als ‚Kartoffeln‘, eine Diskriminierung dar. Zur Doktrin der Organisation gehört, dass Weiße grundsätzlich keine Opfer von Rassismus werden können.
Neben der identitätspolitischen Agenda gibt es in Atamans Arbeit als Autorin, Organisationsfunktionärin und politische Zuarbeiterin – als Redenschreiber von Armin Laschet – noch eine andere Ebene, weniger leicht nachzuverfolgen im Vergleich zu Twitteräußerungen und Kolumnen, aber sehr viel wichtiger als ihr Rassismusdiskurs: Sie gehört zu einem gut organisierten Geflecht von Organisationen und Personen, das gleichzeitig den politischen Islam verharmlost, seine Kritiker unter Druck setzt und sich bemüht, Protagonisten der islamischen Überlegenheitsideologie in einflussreiche Positionen zu bringen. Ataman zählt in diesem weitgespannten Netz zu den erfolgreichsten Figuren. Kaum jemand aus diesem Kreis bewegt sich so virtuos auf dem Feld von Medien, Politik und steuergeldgestützten Organisationen. Das folgende Dossier versucht einen Überblick über die wichtigsten Akteure und Zusammenhänge zu geben.
Die „neuen deutschen organisationen“ (ndo) bilden ein organisatorisches Dach für etliche Vereine mit zweifelhafter demokratischer Qualifikation. Etliche davon zeigen keine Berührungsprobleme mit einem aggressiv vorgetragenen Machtanspruch des Islam, zur Delegitimation Israels und allgemein zu antisemitischen Inhalten. Trotzdem erhalten viele der Mitgliederorganisationen staatliche Gelder; etliche Protagonisten, die bei ihnen auftreten, finden sich in Medien und verfügen über gute Kontakte zu staatlichen Stellen und zu Parteien, wobei eine Partei besonders heraussticht – die Grünen. Den Bundeskongress der ndo unterstützt die dem Innenministerium unterstehende Bundeszentrale für politische Bildung.
Die von Ferda Ataman gegründeten und lange Zeit geleiteten „Neuen Deutschen Medienmacher“ zählen wegen ihrer Außenwirkung zu den wichtigsten Vereinen innerhalb der ndo – aber um die herum existieren unter dem gleichen Dach etliche weniger bekannte Gruppen mit einer sehr ähnlichen Agenda.
Zu den Mitgliedern im ndo-Netzwerk gehört beispielsweise die Gruppe „i,Slam“, die nach eigener Definition „eine Bühne für die kritischen, poetischen und politischen Texte junger Muslime“ bietet. Dort trat beispielsweise Feyza-Yasmin Ayhan auf, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Yasmin Poesy, die mehrfach mit antisemitischen und israelfeindlichen Kommentaren auffiel – und heute zu einem Autorenteam gehört, das in der TV-Firma Studio71 eine Fernsehserie im Auftrag des ZDF produziert. Nach Zeugenaussagen gehörten antisemitische Kommentare auf der Bühne zum guten Ton bei den Veranstaltungen von „i,Slam“.
Trotzdem konnte der Verein öffentliche Gebäude nutzen, etwa das Rote Rathaus in Berlin. Und er bekam reichlich Fördergelder sowohl über das Programm „Demokratie leben!“ der Bundesregierung als auch vom Bundesfamilienministerium. Deren Signets fanden sich bei der „i,Slam“-Veranstaltung auf der Sponsorenwand zusammen mit dem Symbol von „Islamic Relief“, einem weiteren Förderer.
Bei „Islamic Relief“ handelt es sich nach Einschätzung der israelischen Regierung vor allem um eine Spendensammelorganisation für die radikalislamische Hamas – was „Islamic Relief“ bestreitet. Außerdem steht zwischen „Islamic Relief“ und der radikalen Muslimbrüderschaft eine personelle Verflechtung. „Nach Kenntnis der Bundesregierung verfügen sowohl ‚Islamic Relief Worldwide‘ (IRW) als auch ‚Relief Deutschland e.V.‘ (IRD) über signifikante personelle Verbindungen zur ‚Muslimbruderschaft‘ oder ihr nahestehende Organisationen“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung vom 13. November 2020 auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion. Umso bemerkenswerter mutet es an, dass die gleiche Bundesregierung eine Veranstaltung mit antisemitischen Ausfällen mitfinanzierte, die auch „Islamic Relief“ förderte. Und dass „Islamic Relief Deutschland“ zumindest bis 2020 Gelder des Auswärtigen Amtes erhielt.
Für Feyza-Yasmin Ayhan stellte der Auftritt bei „i,Slam“ keine einmalige Abirrung dar. Im Jahr 2012 war sie bei der „YouCon“ aufgetreten, der „Islamischen Jugendkonferenz“, organisiert von der Deutschen Muslimischen Gemeinschaft, der DMG, über die es regierungsoffiziell (in einer Antwort auf eine Anfrage der AfD-Fraktion) heißt: „Die DMG ist die zentrale Organisation der Muslimbruderschaft in Deutschland.“ Drei Jahre später, 2015, trat Ayhan beim „Jerusalemtag“ der Hamas-nahen „Deutsche Jugend für Palästina“ auf, wo sie Verse vortrug, mit denen sie Israel faktisch das Existenzrecht absprach („was Israel in Palästina errichtet, wird keinen Tag leben“). Auf Instagram verbreitete Ayhan außerdem eine Karikatur eines Juden mit Hakennase, die suggerierte: Juden sind selbst schuld, wenn sie Gewalt erleben.
In einem Instagram-Video sinnierte sie über „zionistische Medien wie im Großteil dieses Landes“ – gemeint war Deutschland – und brachte sie mit „einem Batzen Geld“ in Verbindung. Trotz dieser Biografie verteidigte das ZDF seine Zusammenarbeit mit Ayhan; sie habe, so der Sender, sich „glaubwürdig“ von ihren früheren antisemitischen Aussagen distanziert. Außerdem arbeite sie nicht für das ZDF direkt, sondern nur für eine Produktionsfirma im Auftrag des Mainzer Senders.
So glatt verlief die Karriere einer anderen Journalistin nicht, die ebenfalls sehr früh an einer „i,Slam“-Veranstaltung teilnahm, und deren Ansichten denen von Ayhan stark ähneln: Nemi El-Hassan. Die in Brandenburg geborene Tochter von libanesischen Einwanderern besuchte als Jugendliche die „Blaue Moschee“ in Hamburg, getragen vom „Islamischen Zentrum Hamburg“, (IHZ), nach Verfassungsschutzerkenntnissen die wichtigste Außenstelle des iranischen Regimes in Deutschland. Im Jahr 2014 nahm El-Hassan an der „Al-Quds“-Demonstration in Berlin teil. Initiiert wurden die weltweit stattfindenden Al-Quds-Demonstrationen ebenfalls von der geistlichen Führung des Iran; das Ziel der Veranstaltungen besteht darin, den muslimischen Totalanspruch auf Jerusalem (Al-Quds) zu begründen und dem Staat Israel grundsätzlich die Existenzberechtigung abzusprechen.
Als El-Hassan 2021 beim WDR einen Moderatorinnenposten bei der Sendung „quarks“ bekommen sollte, recherchierten einige Journalisten zu ihrer Vergangenheit, vor allem Zara Riffler für Tichys Einblick. El-Hassan verteidigte sich: Über die Blaue Moschee in Hamburg habe sie nicht Bescheid gewusst, sie habe eben keine Verfassungsschutzberichte gelesen. Und für ihre Teilnahme an dem Al-Quds-Marsch schäme sie sich heute. Den Hintergrund der Demo habe sie ebenfalls nicht gekannt. Von ihren israelfeindlichen Ansichten habe sie sich längst gelöst. Dann stellte sich allerdings heraus, dass El-Hassan noch im Sommer 2021 einen Post auf Instagram gelikt hatte, in dem der Ausbruch palästinensischer Insassen aus einem israelischen Gefängnis als „unglaubliche Heldentat“ gefeiert wurde. Zu den Ausbrechern gehörten Mitglieder der „Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden“ und des „Islamistischen Dschihad in Palästina“, einer von ihnen saß im Gefängnis, weil er 2006 einen israelischen Jugendlichen entführt und mit Kopfschuss hingerichtet hatte.
Nachdem die Distanzierungs- und Reuebeteuerungen El-Hassans ihre Glaubwürdigkeit verloren hatten, zog der WDR seine Zusage zurück, sie als „quarks“-Moderatorin zu beschäftigen. Atamans „Neue Deutsche Medienmacher“ stellten sich massiv hinter El-Hassan und versuchten, die Kritik an ihr und ihren Ansichten als „rechte“ und „rassistische Kampagne“ rhetorisch niederzuschlagen.
Unter der Überschrift „Debatte statt Kampagne“ erklärten Atamans „Neue Deutsche Medienmacher“ in einer öffentlichen Stellungnahme, ihre Teilnahme an der Al-Quds-Demonstration sei zwar ein Fehler gewesen (das hatte sie schließlich selbst eingeräumt). Aber dann folgen Vorwürfe gegenüber den Medien, die zu El-Hassans Vergangenheit recherchiert hatten: „‚Bild‘ und ‚Welt‘ (suggerieren) in der Berichterstattung der letzten Tage, dass Nemi El-Hassan Islamistin sei und den gewaltbereiten Islamismus verharmlose. Für diese Vorwürfe liefern sie nicht annähernd ausreichende Belege. Stattdessen sind die Anschuldigungen irrational und durchdrungen von Rassismus.“ Die Thematisierung ihrer Islamismus-Nähe, so die NDM ohne nähere Erklärung, gefährde auch andere Medienmitarbeiter: „Der Hass und das Misstrauen, die Nemi El-Hassan und anderen Kolleg*innen of Color daraufhin entgegenschlagen, sind besorgniserregend.“
In dem gleichen Text liefern die NDM ein Meisterstück propagandistischer Verdrehung, indem sie behaupten, gerade Medien, die zu Antisemitismus und islamistischen Verbindungen bei einer Nachwuchsjournalistin recherchierten, würden dem Antisemitismus Vorschub leisten: „Die ‚Islamismus-Kampagne‘ einzelner Medien führte dazu, dass eine notwendige gesamtgesellschaftliche Debatte über Antisemitismus im Keim erstickt wurde. Eine Gelegenheit für Aufklärung geht verloren.“
Durch den massiven Einsatz erreichten die NDM immerhin einen Teilerfolg: Das ZDF entschied, El-Hassan trotz allem weiter als Moderatorin auf „funk“ zu beschäftigen, einer Gemeinschaftsplattform von ARD und ZDF. Ein Sprecher des Mainzer Senders erklärte, das ZDF habe „keinen Anlass, an ihrer journalistischen Professionalität zu zweifeln“.
Bei beiden – Ayhan und El-Hassan – bestand eine Verbindung zu einer der „neuen deutschen organisationen“, nämlich I,Slam; El-Hassan trat außerdem 2019 bei einer gemeinsamen Veranstaltung von „Neue Deutsche Medienmacher“ und „NoHate Speech“ auf, passenderweise zum Thema „Hass im Netz“.
— Mediendienst Integration (@MDIntegration) July 19, 2019
Das Muster wiederholt sich: Junge medienaffine Frau mit starken und mehrfachen Verbindungen zu den ndo und zum politischen Islam schaffen es auf Positionen in reichweitenstarken Medien oder deren Umfeld. Auch im Lebenslauf der Journalistin Büsra Delikaya finden sich ganz ähnliche Stationen, mit der kleinen Nuance, dass er bisher nicht zum Fernsehen, sondern zu einer Hauptstadtzeitung führte: Im Jahr 2018 trat Delikaya bei der „YouCon“ auf, der von der deutschen Niederlassung der Muslimbrüderschaft organisierten Jugendkonferenz, vom November 2021 bis April 2022 absolvierte die eine Fellowship bei den „Neuen Deutschen Medienmachern“, seit Juli 2022 arbeitet sie als Volontärin beim Tagesspiegel.
Die enge Verflechtung zwischen Mitgliedern der ndo mit Berührungspunkten zum politischen Islam und zur antiisraelischen Propaganda und großen Medien lässt sich auch bei „Datteltäter e. V.“ und der ARD-ZDF-Plattform „funk“ beobachten. „Datteltäter e. V.“ gehört zu den „neuen deutschen organisationen“. Nach eigenem Verständnis handelt es sich um eine Satiregruppe; sie betreibt eine gleichnamige Sendereihe auf „funk“. Über sich selbst erklären die Datteltäter-Funker, ihre Beiträge befassten sich mit dem „deutsch-muslimischen Selbstverständnis und Vorurteilen gegen Muslime in Deutschland“.
Wer die Videos ansieht, die auf der öffentlich-rechtlichen Internetplattform laufen, kann schnell zu einem anderen Schluss kommen: Transportiert werden dort eher Klischees über Deutsche ohne Migrationshintergrund, auf „funk“ auch oft „Almans“ genannt. Diese Almans treten in den didaktisch angelegten Spielszenen meist als einfältige, begriffsstutzige Figuren voller Vorurteile auf, während Figuren mit Migrationsgeschichte fast immer arabisch-türkische Wurzeln haben – Migranten mit ostasiatischen Wurzeln kommen praktisch nicht vor – und als abgeklärt und überlegen dargestellt werden:
Screenshot: ARD und ZDF / Funk
Was die „funk“-Macher als „deutsch-muslimisches Selbstverständnis“ definieren, zeigt sich beispielhaft in einem Film vom 14. Januar 2022 mit dem Titel: „Mein Hijab ist … Ich bin mehr als meine Kopfbedeckung und das ist MEIN Video!“, oder in dem ganz ähnlichen Beitrag „Mein Kopftuch, meine Wahl“. In dem Video „Mein Hijab…“ treten Rollenmodelle vor die Kamera und sprechen Sätze wie: „Mein Hijab ist Feminismus, der für Freiheit und Würde steht“; „mein Hijab ist Antirassismus, weil mein Hijab nicht aussucht nach Sprache, Hautfarbe oder Herkunft“, und: „mein Hijab ist Glaube, Disziplin, Schutz, Gottesdienst“.
Nirgends kommt eine Frau zu Wort, die das Tragen einer Kopfbedeckung kritisch sieht, obwohl es diese Stimmen unter Muslimas durchaus gibt. An keiner Stelle thematisieren die „Datteltäter“ den Druck auf muslimische Mädchen in der Familie und in Schulen, sich auf eine bestimmte Art zu kleiden. Welche Moralvorstellungen hinter der Forderung stehen, Frauen müssten sich züchtig kleiden, während muslimischen Männern völlige Freizügigkeit erlaubt ist – auch dazu gibt es in den Beiträgen kein Wort. Die „funk“-Hijab-Videos entsprechen ziemlich genau den Ansichten, die alle konservativen Islamverbände in Deutschland (und in anderen Ländern) verbreiten.
Wie bei fast allen „neuen deutschen organisationen“ flossen auch hier reichlich staatliche Gelder. Die „Datteltäter-Akademie“, die „Nachwuchskünstler aus der muslimischen Community“ zu einem sensiblen multimedialen Umgang mit Islam-Themen befähigen und sie mit den Anforderungen medienpädagogischer Bildungsstandards vertraut machen soll, erhielten über das Programm „Demokratie leben!“ vom Bundesfamilienministerium von 2020 bis 2022 insgesamt 509.218,02 Euro Förderung. Zusätzlich zahlte nach Angaben der Bundesregierung (auf Anfrage der AfD-Fraktion, beantwortet am 23. Juni 2022) im Jahr 2020 auch die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) an „Datteltäter‘ und die ‚Datteltäter-Akademie‘ zwischen 2012 und 2020 „für Tätigkeiten wie Panel-Moderation, Input, Workshopbetreuung im Rahmen von Veranstaltungen und Videoprojekten“ Honorare von insgesamt 3300 Euro.
Auf der ARD-ZDF-Plattform „funk“ arbeiten mehrere Medienmacher mit Verbindungen zu den „neuen deutschen organisationen“. Zu den wichtigsten Köpfen der Plattform zählt Younes Al-Amayra, einer der beiden Gründer der Veranstaltungsreihe i,Slam. Zu den „funk“-Moderatorinnen gehört die schon oben erwähnte Nemi El-Hassan. Mit seinem Kanal „Kanackische Welle“ trägt auch Malcolm Ohanwe wesentlich zum „funk“-Angebot bei. Ohanwe tritt häufig als Gast bei Veranstaltungen der „Neuen Deutschen Medienmacher“ auf; als Journalist arbeitet er auch für den Bayerischen Rundfunk.
Auf Twitter machte Ohanwe seine Sympathie für die in der EU als Terrororganisation eingestufte Hamas deutlich: Deren Raketenbeschuss vom Gazastreifen aus auf israelische Wohnhäuser sei gerechtfertigt und nötig, um auf das „nie endende Leid der Palästinensischen Menschen“ hinzuweisen.
In einer „funk“-Sendung über „Palästina – eine Heimat, viele Schicksale“ im Juni 2021 mit Younes Al-Amayra sprach der 1993 in München geborene Ohanwe von seinen „palästinensischen Wurzeln“ (seine Mutter bezeichnete sich als Palästinenserin), und beklagte, in Deutschland würden Palästinenser oft mit Terror in Verbindung gebracht. Das sei diskriminierend.
Auf die antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland kurze Zeit vor der Sendung – etwa vor der Synagoge in Gelsenkirchen, wo ein Mob arabischstämmiger Demonstranten „Scheiß Juden“ rief – geht der Begleittext der Sendung nur mit dem apologetischen Satz ein: „Mit der aktuellen Lage in Israel und Palästina, dem sogenannten ‚Nahost-Konflikt‘, sind sehr viele palästinensische Menschen in ganz Deutschland wieder emotional an ihren Grenzen.“ An der gleichen „funk“-Sendung nahm auch Nemi El-Hassan teil. (Nicht alle Teilnehmer an antisemitischen Kundgebungen dieser Art sind zwangsläufig muslimisch; es gibt in Deutschland auch Menschen, die sich als palästinensisch empfinden und aus arabisch-christlichen oder säkularen Familien stammen, und sich bei Demonstrationen wie in Gelsenkirchen vor allem über den gemeinsamen Feind definieren.)
Zu dem weitverzweigten Netz der „neuen deutschen organisationen“ zählen außerdem das von Ali Aslan Gümüşay begründete „Zahnräder“-Netzwerk, das sich mit Projektförderung befasst, und das „Center for Intersectional Justice“, deren Aktivisten in Frankreich und Belgien die anti-israelische Boykottbewegung BDS unterstützen. Nicht als formelles Mitglied, aber beispielsweise als Teilnehmer der ndo-Konferenz 2016 locker angebunden, gehört auch der deutsche Ableger des türkischen Unternehmerverbandes Young MÜSIAD zu dem Kreis. MÜSIAD zählt in der Türkei zu den Vorfeldorganisationen der Regierungspartei AKP; MÜSIAD-Funktionäre fielen mehrmals durch antisemitische Wortmeldungen auf, ohne dass sich der Verband von ihnen distanzierte.
Heinrich-Böll-Stiftung
In der Heinrich-Böll-Stiftung, der parteinahen Stiftung der Grünen, sitzen sowohl Ferda Ataman als auch Kübra Gümüşay in der Mitgliederversammlung, dem laut Satzung höchsten Beschlussgremium der Organisation. Gümüşay trat öfter als Gast bei NDO-Veranstaltungen auf. Sie ist Ehefrau von Ali Aslan Gümüşay, Begründer des „zahnräder“-Netzwerks, mehrfach trat sie bei Veranstaltungen von Millî Görüş auf, einer Organisation, die laut Verfassungsschutz eine grundgesetzwidrige Agenda verfolgt.
In ihrem Buch „Sprache und Sein“ empfahl Gümüşay, die Werke des türkischen Autors Necip Fāzıl Kısakürek in die Lehrpläne deutscher Schulen aufzunehmen. Bei Kısakürek handelt es sich um einen Autor, der aus seinem Antisemitismus, seinem Hass gegen Jesiden und Aleviten keinen Hehl machte (die er an einer Stelle mit Unkraut vergleicht); auch nicht aus seinen Vorstellungen über das Verschleierungsgebot für Frauen und von Geschlechterrollen: „Eine unverschleierte Frau gleicht einem Haus ohne Vorhang. Ein Haus ohne Vorhang ist entweder zum Verkauf oder zur Miete ausgeschrieben“, heißt es beispielsweise bei ihm („Örtüsüz kadın perdesiz eve benzer. Perdesiz ev ya satılıktır ya da kiralık.“)
Als Kritik an dieser Empfehlung aufkam, verteidigte sich Gümüşay mit der Beteuerung, sie hätte von diesen Passagen in Kısaküreks Werk keine Ahnung gehabt – obwohl sie zwar nicht im deutschen, aber in dem englischen Wikipedia-Eintrag zu ihm nachzulesen sind – und entfernte die Empfehlung in einer Folgeauflage ihres Buchs.
Das Bundesfamilienministerium, zu dem Atamans Antidiskriminierungs-Stabstelle gehört, verantwortet schon seit Jahren auch das Programm „Demokratie leben“!, das zu den wichtigsten staatlichen Geldquellen für die „neuen deutschen organisationen“ zählt. Die verfügbaren Mittel in diesem Programm stiegen sehr schnell an. Im Jahr 2015 standen insgesamt 40,9 Millionen zur Verfügung, 2019 schon 115,5 Millionen. I, Slam e. V. beispielsweise erhielt aus diesem Topf von 2015 bis 2017 insgesamt 383.922 Euro, der ebenfalls zu den ndo zählende Verein Inssan. e.V. für das Projekt „Nicht ohne meinen Glauben“ insgesamt 284.164 Euro. Atamans „Neue Deutsche Medienmacher“ bekamen zum einen für die Umsetzung der „Nationalen Kampagne No Hate Speech“ von 2016 bis 2017 insgesamt 488.661 Euro, für die Betreuung des Programms „No Hate Speech“ von 2018 bis 2019 noch einmal insgesamt 281.000 Euro.
Aus dem Programm „Demokratie leben!“ überwies das Bundesfamilienministerium bis 2017 auch Geld an die DITIB Deutschland und die DITIB-Regionalorganisation Hamburg und Schleswig-Holstein, also die Dachorganisation der türkisch-muslimischen Gemeinden in Deutschland – was umso bemerkenswerter anmutet, als die DITIB dem türkischen Religionsministerium untersteht und aus dem türkischen Staatshaushalt ausreichende Finanzierung erhält. Ebenfalls erstaunlich wirkt die Zuwendung aus der gleichen Quelle an den Zentralrat der Muslime (ZdM), einen Dachverband, zu dessen Mitgliedern auch ein politischer Ableger der „Grauen Wölfe“ zählt. Von 2015 bis 2019 erhielt der ZdM über „Demokratie leben!“ insgesamt 635.105 Euro.
In einer kleinen Anfrage wollten FDP-Angeordnete 2021 wissen: „Liegen der Bundesregierung Hinweise, Informationen oder Berichte – auch aus den Bundesländern oder von Dritten – vor, dass über das Bundesprogramm ‚Demokratie leben!‘ möglicherweise oder bestätigt Projekte bzw. Maßnahmen von Vereinen, Verbänden, Organisationen oder NGOs gefördert wurden oder noch werden, die extremistischem Gedankengut nahestehen oder deren Mitglieder Verbindungen zu extremistischen Gruppierungen haben?“ Die Antwort der Bundesregierung, gegeben am 7. Juli 2021: „Die Bundesregierung führt keine Statistiken über diese Informationen.“
Verantwortlich für „Demokratie leben!“ zeichnet innerhalb des Ministeriums die Referentin Nilden Vardar. Vardar schrieb 2013 in einem Thesenpapier zusammen mit Hakan Tosuner, vorgestellt anlässlich des „Zukunftsforums Islam“ bei der Bundeszentrale für politische Bildung, „ein strukturelles Problem der ‚klassischen‘ muslimischen Jugendarbeit“ bestehe darin, „dass sie teilweise und gerade dort, wo sie gut aufgestellt ist, wie im Fall von IGMG-Jugend oder MJD e.V., vor dem Hintergrund ihrer sicherheitsbehördlichen Bewertung“ Probleme habe, Fördergelder zu bekommen oder Projektpartner zu finden.
Sie identifizierten es also nicht als Problem, dass Organisationen des sogenannten legalistischen Islam, die von Sicherheitsbehörden als problematisch eingestuft werden, in Deutschland immer stärker Fuß fassen – sondern, dass sie kein oder nicht ausreichend staatliches Geld erhalten. Tosuner war früher bei der Muslimbrüder-nahen MJD aktiv, heute fungiert er als Geschäftsführer des Avicenna-Studienwerks, einer Organisation, die zu den Teilnehmern des ndo-Bundeskongresses gehörte. Vardar war zumindest selbst Mitglied einer Organisation innerhalb des udo-Netzwerks, nämlich des „Aktionsbündnis muslimischer Frauen“ (AmF).
Vollständig lautet der Titel des Programms: „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“.
Im Jahr 2016 stellte Nilden Vardar in einem Betrag für einen Newsletter der „Beobachtungsstelle für gesellschaftliche Entwicklungen in Europa“ die Erhöhung der Mittel speziell gegen „Islam- und Muslimfeindlichkeit“ in einen direkten Zusammenhang mit der verstärkten Einwanderung aus islamischen Ländern nach Deutschland. Dort heißt es: „An Bedeutung gewinnt die Arbeit gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit auch angesichts der zunehmenden islamfeindlichen Stimmung im Kontext der Fluchtmigration. Nicht zuletzt deshalb werden im Bereich Islam- und Muslimfeindlichkeit aktuell 14 Modellprojekte gefördert.“ Eine Verbindung der verstärkten muslimischen Migration mit der Gefahr eines steigenden Antisemitismus in Deutschland stellte sie in dem Beitrag nicht her.
Zu den größten Erfolgen des organisierten politischen Islam in Deutschland gehört es, den Kampfbegriff „antimuslimischer Rassismus“ im Familienministerium verankert zu haben, eine Weiterentwicklung des von Ajatollah Khomeini popularisierten Begriffs „Islamophobie“. Den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ benutzen radikale Organisationen heute routiniert, um jede Kritik am Machtanspruch des politischen Islam abzuwehren, und Kritikern pauschal Rassismus zu unterstellen.
Als beispielsweise die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter 2019 an der Goethe-Universität Frankfurt eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Das islamische Kopftuch. Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ organisierte – die paritätisch mit Kritikern und Befürwortern besetzt war –, warfen radikalisierte muslimische Studenten Schröter „antimuslimischen Rassismus“ vor, und forderten unter dem Motto „Schröter raus!“, ihr die Professur zu entziehen.
Islamismus-Verharmlosung
Sowohl bei den „Neuen Deutschen Medienmachern“ und seinem Umfeld auch speziell bei dem von Ataman mitgegründeten und längere Zeit geleiteten „Mediendienst Integration“ spielt die Weichzeichnung des politischen islamischen Machtanspruchs eine wichtige Rolle. Die NDM versuchten schon 2014, den Begriff „Islamismus“ (und die damit verbundene Ideologie) zu einer legitimen politischen Ansicht unter vielen zu erklären. „Ausweisung von Islamisten?“, hieß es in einem Tweet: „Islamismus ist nicht verboten & kein Synonym für Extremist oder Terrorist“.
Sehr viel umfassender geht das von dem „Mediendienst Integration“ herausgegebene „Handbuch Islam und Muslime“ vor, eine Art kurzer Abriss der Islamgeschichte – allerdings geprägt von extremer Einseitigkeit, stellenweise auch von Geschichtsfälschung. So wird beispielsweise ausschließlich dem christlichen Europa eine „Kreuzzugsideologie“ attestiert – während das Buch die muslimische Invasion Europas im 8. Jahrhundert gewissermaßen als natürliche Ausbreitung des Islam beschreibt: „Im Jahr 711 n. Chr. überquerte Tariq ibn Ziyad mit seinem Heer die Meerenge von Gibraltar und brachte die Iberische Halbinsel – und damit europäisches Territorium – unter seine Kontrolle“.
Das Kalifat in Spanien zeichnet das Handbuch als blühende, tolerante und multireligiöse Gesellschaft, ähnlich weichgezeichnet wird auch die islamische Herrschaft über den Balkan. Das Mittelmeer wird als „Kontaktzone“ zwischen dem christlichen Europa und dem Islam dargestellt, ohne darauf einzugehen, dass es über Jahrhunderte eine systematische Versklavung von Europäern durch muslimische Seefahrer gab. Den europäischen Kolonialismus erwähnt das Handbuch, zum Sklavenhandel durch islamische Länder verliert es kein Wort.
Über den osmanischen Vorstoß nach Mitteleuropa heißt es lapidar: „Zwei Mal (1529 und 1683) standen die ‚Türken vor Wien‘ – genauer gesagt, wurde die Hauptstadt der damaligen Habsburger Dynastie und Sitz des Deutschen Kaisers vom Osmanischen Heer belagert.“ Dass die Parole des osmanischen Heeres vor Wien „Konversion oder Tod“ lautete, lassen die Autoren weg, genauso wie die religiöse Begründung des Feldzugs überhaupt.
An anderer Stelle heißt es: „Im Zweiten Weltkrieg versuchten auch die Nationalsozialisten, erneut die ‚islamische Karte‘ zu spielen“, und später: „Sie planten, den Mufti von Jerusalem für sich zu gewinnen […]“ Dass sie das nicht nur planten, sondern dass der Großmufti Mohammed Amin el-Husseini sich längere Zeit im nationalsozialistischen Deutschland aufhielt, mit Hitler und Himmler konferierte und bei der Aufstellung der muslimischen „Handschar“-SS-Division tatkräftig mithalf – darüber verliert das Handbuch kein Wort.
Mit einem ganz ähnlich einseitigen, apologetischen und harmonieorientierten Blick schildert das Handbuch auch die Gegenwart, speziell in Deutschland. „Die grundsätzliche Vereinbarkeit von demokratischer Meinungsbildung, Parlamentarismus und dem Islam wird in der islamischen Welt weitgehend akzeptiert“, behauptet etwa ein Mitautor des Handbuchs. Ruud Koopmans weist in „Das verfallene Haus des Islam“ darauf hin, dass 53 Prozent der islamischen Staaten weltweit autoritär regiert werden, nur vier Prozent demokratisch, und dass sich der Rest in einem Stadium dazwischen befindet.
Auch das Thema Muslime und Antisemitismus handelt das Islam-Handbuch rosig ab. Es gebe dazu mit Blick auf Deutschland wenig Erkenntnisse. Und falls es unter Muslimen doch eine etwas höhere Zustimmung zu antisemitischen Parolen gäbe, dann liege das am „Gefühl von Benachteiligung […], bei dem die eigenen Erfahrungen von Diskriminierung und Abwertung mit dem Leid der Muslime weltweit verknüpft werden. Daraus entstehe das Gefühl einer ‚gedemütigten Schicksalsgemeinschaft‘.“ Auch die Haltung der Muslime zur Homosexualität, beruhigt das Handbuch, habe sich „im Laufe der Zeit gewandelt“. Der Text erwähnt, es gebe homoerotische Gedichte in der arabischen, persischen und osmanischen Literatur – ohne zu erwähnen, dass diese Verse für die Rechtswirklichkeit in den meisten muslimischen Ländern keine Rolle spielen: In 61 muslimischen Ländern wird Homosexualität verfolgt, in einigen mit der Todesstrafe belegt.
Zusammengefasst lautet die Botschaft des Handbuchs: Muslime, speziell in Europa, stehen der Demokratie offen gegenüber, zeigen Toleranz gegenüber Schwulen und neigen nicht besonders zum Antisemitismus (und falls doch, dann liegt es an ihrer Diskriminierung). Der Frage, warum es sich dann bei der Mehrheit der islamischen Länder um Autokratien handelt, in denen Minderheiten unterdrückt werden und in denen Antisemitismus zum mehrheitlichen Überzeugungsbestand gehört, nähern sich die Handbuch-Autoren gar nicht erst.
Von der ausschließlich positiven Berichterstattung über den Gesichtsschleier bei „funk“ über die Verharmlosung des Begriffs Islamismus durch die „Neuen Deutschen Medienmacher“ bis zu der blumigen Schilderung der muslimischen Gemeinschaft als offen und tolerant zieht sich ein roter Faden. Die zentralen Botschaften lauten: Es gibt kein Problem mit muslimischer Einwanderung, auch nicht mit dem Machtanspruch des politischen Islam in europäischen Ländern. Falls es doch irgendwo zu Friktionen kommt, liegt es an der rassistischen Diskriminierung von Muslimen durch die Mehrheitsgesellschaft – wobei Muslime selbst per Definition nie rassistisch sein können.
Zum anderen fällt die besondere Bemühung auf, etwa die Verschleierung von Frauen wie bei „funk“ als Ausdruck von „Emanzipation“ und „Antirassismus“ zu deuten, die Offenheit einer muslimischen Mehrheit für Homosexuelle zu imaginieren und den Antisemitismus kleinzureden. Anders ließe sich der wachsende Einfluss einer im Kern klerikal-reaktionären Ideologie vor allem linken Parteien und progressiven Journalisten kaum schmackhaft machen.
Einschüchterung von Kritikern und gemäßigten Muslimen
Zur Strategie von Organisationen mit einer autoritären Agenda, die ihre Macht ausbauen wollen, gehört die Stigmatisierung und Einschüchterung von Kritikern, aber auch generell von allen, die eine Alternative zum eigenen ideologischen Angebot darstellen könnten. An Ferda Ataman, den „Neuen Deutschen Medienmachern“ und ihrer Umgebung fällt auf, dass sie Personen, die ihre Sicht der Dinge in Frage stellen oder schlicht ein liberales, problembewusstes Islamverständnis verkörpern, immer wieder attackieren und aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen versuchen.
Das trifft vor allem den Autor und Psychologen Ahmad Mansour, der Probleme wie den muslimischen Antisemitismus zum Thema macht, aber auch das traditionelle Geschlechterverständnis im Islam; es trifft die Publizistin Necla Kelek, die Anwältin und Gründerin der liberalen Ibn Rushd Goethe-Moschee in Berlin Seyran Ateş und einige andere. Genau diesen Personenkreis verhöhnte Ataman auf Twitter als „Kronzeug*innen der ‚Islamkritik‘, die sich unter Nichtmuslimen über Muslime aufregen“.
Screenshot: Ferda Ataman via Twitter
Die Botschaft lautet: Die Genannten sind Verräter an der eigenen Gruppe. Besonders toxisch wirkt das in Anführungszeichen gesetzte „mutig“ in Bezug auf Seyran Ateş, die mit dauerhaftem Personenschutz durch das LKA Berlin leben muss.
Als die FAZ eine Autorin beauftragte, die Probleme wie Zwangsheiraten und Identitätspolitik zur Sprache brachte, kanzelte Ataman das als „Flashback in die 90er“ ab. Es handelt sich um ein beliebtes Argument: Wer nicht der identitätspolitischen Linie folgt, die Ataman und andere vorgeben, „fällt zurück“ und verkennt, was der Fortschritt gebietet.
Screenshot: Ferda Ataman via Twitter
Dieses identitäre Gruppendenken zeigte sich besonders deutlich am stigmatisierenden Begriff „Haustürken“, abgeleitet von „Hausjude“ und angelehnt an die Wendung „token“, also Werkzeug, die Gruppen wie Black Lives Matter in den USA schon länger gegen Farbige verwenden, die ihrer Ideologie nicht folgen und deshalb von ihnen als zu „weiß“ und konziliant etikettiert werden. Im Jahr 2013 verfasste Kübra Gümüşay in der taz den Artikel „Die deutschen Haustürken“, der vor allem auf Necla Kelek zielte.
Screenshot: taz
Bei einer Veranstaltung am 26. Juli 2019 in der Kalkscheune in Berlin fragte eine Frau aus dem Publikum, ob Gümüşay an der Bezeichnung „Haustürke“ für Kelek festhalte. Darauf antwortete sie: „Ich habe das mit der ‚Haustürkin‘ übrigens nochmal in einem längeren Text sozusagen kontextualisiert.“ Die Frau aus dem Publikum: „Könnten Sie sich auch weniger vage ausdrücken? Was soll das bedeuten, ‚sozusagen kontextualisiert‘? Haben Sie es zurückgenommen, sich entschuldigt?“
Gümüşay: „Nein, das habe ich nicht, ich stehe ja immer noch dazu! Aber ich habe es kontextualisiert.“ Dann wünschte sie der Nachfragerin noch einen „angenehmen Lebensvortrag“. Was wollte Frau Gümüşay damit zum Ausdruck bringen?
Gümüşay: „Dass Sie Ihr Leben weiter vortragen können, mit weniger Aggression.“
Auch die Religionslehrerin Lamya Kaddor – in Medien oft als sehr liberale Muslima beschrieben – verbreitete über Kelek jahrelang die gleiche Falschbehauptung wie Gümüşay, Kelek habe muslimischen Männern einen Hang zu Sex mit Tieren unterstellt. Es handelte sich um ein immer wieder aufgekochtes Falschzitat; Kaddor verlor schließlich den Prozess gegen Kelek, auch dank der beharrlichen Recherchen des Journalisten Jörg Metes. Kaddors Karriere schadete das nicht: Sie sitzt seit 2021 für die Grünen im Bundestag, außerdem qua Parlamentsmandat auch im Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung.
Zwei Schritt vorwärts, einen zurück
Zu den Mustern, welche sich durch die Arbeit von Ataman und anderen in ihrem Umfeld ziehen, gehört auch das Prinzip des kurzen taktischen Rückzugs. Ob bei Ataman die Religion eine wichtige Rolle spielt, oder ob sie nur ein Element in ihrer identitätspolitischen Agenda darstellt, bleibt offen. In der Praxis dürfte das allerdings keinen großen Unterschied ergeben. Bei Feyza-Yasmin Ayhan und Nemi El-Hassan war es die Beteuerung, ihre antisemitischen Aktivitäten seien Jugendsünden – in ihrem Fall ebnete die formelhafte Erklärung den Weg in die öffentlich-rechtlichen Medien.
Gümüşay erklärte, sie habe eben die antisemitischen und islamistischen Positionen des von ihr empfohlenen Autors nicht gekannt, und sie entfernte sie auch aus ihrem Buch. Ataman löschte gut 12.000 ihrer Tweets, als ihre Nominierung für den Posten der Antidiskriminierungsbeauftragten öffentlich wurde, und versicherte bei ihrer Vorstellung vor der FDP-Fraktion, sie würde heute etliche Äußerungen von ihr bedauern.
Der eine Schritt zurück gilt den meisten Entscheidungsträgern in der Politik und vielen Journalisten als Beweis für Selbstkritik und Konzilianz der Betreffenden. Dafür helfen sie dann umso lieber bei den nächsten zwei Schritt nach vorn – etwa bei der Wahl Atamans auf ihren Posten, und bei der Bewilligung von Geldern für Organisationen des legalistischen Islam.
Um eine Verschwörung – da flugs gegen jeden, der sich mit den aufgeführten Zusammenhängen beschäftigt, der Begriff „Verschwörungstheorie“ in Stellung gebracht wird – handelt es sich nicht, da das zentrale Element von Verschwörungen fehlt: die Heimlichkeit. Alle aufgeführten Fakten, Äußerungen, Zusammenhänge und Geldflüsse lassen sich öffentlich zugängigen Quellen entnehmen, auch wenn es Mühe kostet, sie zusammenzustellen.
Mit ihrer Wahl zur Beauftragten hat Ataman einen großen Schritt vollzogen – von der Funktionärin in einem Netz von Empfängern staatlicher Gelder zu einer Regierungsangestellten, die über Gelder verfügt.