Tichys Einblick
Das »Falsche« ist oft nur das früh Richtige

Das Konservative und seine Lücken

Am vergangenen Wochenende haben sich Promis unter anderem aus den Öffentlich-Rechtlichen und Politik für eine Kundgebung mit dem Titel »ausgehetzt« stark gemacht. Es ist eine interessante Wortwahl, dieses »ausgehetzt«.

Sebastian Widmann/Getty Images

In der DDR hatte man Abweichler noch aufgrund von §106 Staatsfeindliche Hetze verfolgt. Prominenter Fall ist etwa die Sängerin Bettina Wegner, die bis zu ihrer Ausweisung 1983 von der Stasi als »feindlich-negative Person« beobachtet wurde. Schon 1934 zog die NSDAP gegen »Miesmacher und Kritikaster« zu Felde, und befand, dass es verbrecherisch sei, anderen den Mut zu nehmen, und wer das täte, sei ein »Hetzer«.

Letztes Jahr dann brachte der umstrittene deutsche Politiker Heiko Maas ein unter Juristen fragwürdiges Zensurgesetz nach eigenen Worten »gegen Hass und Hetze« in den Bundestag ein (siehe z.B. faz.net, 19.5.2017). Der Geist ist jedes Mal derselbe: Kritik ist schnell Hetze, und Hetze ist heute das meiste, das sich nicht dem linksgrünen Bauchgefühl unterwirft. Und so demonstrierte man mit Parolen wie »FickDichCSU« (siehe @fwhfreising) und mit diversen Anspielungen aufs Dritte Reich gegen die »Verrohung der Sprache« – nein, es ist nicht böse, wenn die Guten es tun, wissen Sie das denn nicht?

Das größte Absurdum an der ausgehetzt-Demonstration war, dass sie sich wahrscheinlich zuerst de facto gegen einen missglückten Witz richtete: als Seehofer festgestellt hatte, dass am Tag seines 69. Geburtstag tatsächlich 69 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben worden waren. Man protestierte, sagte man, gegen eine »Politik der Kälte«. Man trug Transparente verschiedener Gedankentiefe. Ein besonders idiotisches Transparent stach heraus. Darauf stand: »Wir wollen kein 4. Reich – Herr Seehofer und Herr Söder« (Quelle: Internet), das »S« zu Beginn der beiden Namen war im Stil der Runen der mörderischen SS gezeichnet. Man hat den Eindruck, die Leute, die gegen die vermeintliche »Hetze« demonstrieren, wissen auch sonst nicht viel über die Geschichte.

Bei der Abschlussveranstaltung traten diverse Musik-Bands auf und Comedians aus dem GEZ-TV (es ist schon auffällig, wie viele GEZ-Comedians sich wie neue Propagandisten betätigen).

Zigtausende Menschen werden von politiknahen Promis aufgerufen. Sie protestierten gegen eine »Politik der Angst«, sagten sie. Die Grünen hatten schon im Vorfeld ihre »Mut geben«-Slogans verbreitet. Man warf der CSU vor, sie habe »Gift ins Land gebracht«. Wer keine Argumente vorweisen kann, der wirft eben Vergiftung vor – und protestiert zugleich gegen eine »Verrohung der Sprache«. Das eine Kuriosum ist, dass Zigtausende Linke gegen Formulierungen, die ihnen nicht gefallen, demonstrieren. Gegen Formulierungen! Aus der Sprachpolizei wurde die Spracharmee. Das andere Kuriosum ist, dass Linke beim Protest gegen die Verrohung der Sprache auf altes und sehr altes Vokabular zurückgreifen, und zwar mit demselben Ziel! Menschen, welche nicht genug »Mut« aufweisen, die vorgegebene Meinung zu bejubeln, als »Hetzer« zu diffamieren. Ich befürchte, dass manche Mutmach-Passage von früher wortgleich heute auf links-gutmenschlichen Demos stürmischen Applaus ernten würde. Kritik ist Hetze – Mut ist erste Bürgerpflicht! (Nachtrag: Mir fällt eben ein, dass es zumindest auf Englisch so ähnlich schon gemacht wurde, mit bitter-lustigem Erfolg – hier der YouTube-Link!)

Das ganze Leben abbilden

Das große Problem, das bei solchen Party-Demos deutlich wird, ist der sich darin manifestierende Kult des Nichtdenkens. Ich gebe zu, dass ich gehofft hatte, mit ausreichend Abstand zur Bahnhofs-Teddybär-Mania von 2015 würden Zeitgenossen beginnen, über die Folgen ihrer Haltung nachzudenken. Bei den Zehntausenden von München lag ich falsch. Man setzt die alten Vokabeln der NS-Zeit und der DDR ein, und man wirft seinem Gegner vor, wie die Nazis zu sein, und man ist auch sonst verwirrt, doch bei und in allem fühlt man sich als »die Guten« – und alle anderen sind »die Hetzer«.

Im Text »Die Schuld der Gutmenschen« habe ich argumentiert, dass die »Guten« sich bei genauerem Hinsehen als Gesinnungsethiker entpuppen, während jene, die im Heute als die »Bösen« dastehen, in Wahrheit Verantwortungsethiker sind.

Die Demonstration »ausgehetzt« war ein Aufmarsch der Gesinnungsethiker. Man verbrachte den Sonntag damit, einander zu versichern und von den GEZ-Comedians versichert zu bekommen, dass es okay ist, den Verstand dem Bauchgefühl hintan zu stellen, und dass jeder, der dazu nicht genug Mut aufbringt, ein besorgter Bürger und Hetzer sei. Der »Mut« der Gutmenschen ist der »Mut«, den Verstand auszuschalten und dem Land das eigene Bauchgefühl aufzudrücken.

Doch, was kann man tun? Was soll man tun, wenn man Verantwortungsethiker ist, und nicht bereit ist, die Zukunft dahinzugeben, damit sich ein paar Grüne und Gute für den Moment »moralisch« fühlen können?

Ein Kulturpessimist könnte zynisch dahinwerfen, dass die Deutschen eben die Eigenschaften haben, alle so und so viele Jahrzehnte blind einer Ideologie zu folgen, und danach liegt alles in Trümmern – das ist eben so.

Vielleicht hätte ein solcher Zyniker auch recht, doch ich will es hier nicht weiter als Denkmöglichkeit verfolgen; es bringt ja nichts. Es gibt immer eine Alternative, wenn die Wahrscheinlichkeit ihres Erfolgs auch je nach Lage verschieden groß sein mag.

Erlauben Sie mir, ein paar Gedanken hierzu mit Ihnen zu teilen!

Thesen zu konservativ-liberalen Medien

Die in diesem Anschnitt nun formulierten Gedanken sind allesamt als Thesen zu verstehen.

Die erste These ist noch wenig kontrovers, aber sie ist doch der Ausgangspunkt: Die deutsche Debatte wird von radikal-linksgrünen Positionen dominiert; diese sind in der Tendenz anti-deutsch bis globalistisch, und da sie auf spontanen Bauchgefühlen statt auf ethischen Modellen aufbauen, sind sie inkohärent (teils individualistisch, teils paternalistisch) und ermangeln praktischer Nachhaltigkeit.

Für einen postdemokratischen Konzernchef, dem die Demokratie sowieso mehr Ärgernis als Wert an sich ist, für den wäre linksgrüne Bauchgefühl-Politik der systemgewordene Traum. Wer sein Land zu hassen gelernt hat und spontane Empörung über Verantwortung und Vernunft setzt, der ist das perfekte Konsum- und Manipulationsopfer.

Zweite These: Eine politische Gegenposition zum paternalistischen Linksgrünen vertritt der aufgeklärte, liberale Konservative (in Folge einfach nur: der Konservative). So wie ich ihn hier zeichne, ist der Konservative ein Verantwortungsethiker, welcher Werte wie Wohlstand, Gleichberechtigung, Heimat, Eigentum und Freiheit bewahren möchte.

Dritte These: Es gibt viel mehr Menschen, die sich als »Konservative« bezeichnen würden, als die aktuelle Debatte vermuten lässt. (Was natürlich die Frage anschließt: Warum ist das so?)

Vierte These (welche wiederum de facto fast common knowledge ist): Konservative haben derzeit praktisch keine mediale Repräsentanz. Viele Bürger werden – seien wir realistisch – aus dem politischen Menü wählen, das ihnen angeboten wird, selbst wenn es nicht genau das ist, was ihnen schmecken würde, und es steht derzeit wenig Konservatives auf der medialen Haupt-Speisekarte.

Fünfte These (jetzt wird es haarig): Es gibt kleine, freie konservative Medien, wie Tichys Einblick und die Achse des Guten, doch sie leiden alle am selben Mangel: sie bilden nicht das gesamte Leben ab. Familien vertrauen ihre Kinder etwa der Sendung mit der Maus an, sie schauen später den Tatort – wenn man nun seine Kinder dem Sender anvertraut und seine Abendunterhaltung ebenso, dann wird man auch die Nachrichten und deren Deutung wahrscheinlich aus derselben Quelle zapfen, und dieser Effekt geht über den rechtlichen Begriff des »Vollprogramms« hinaus. Ebenso verhält es sich mit der BILD-Zeitung, ZEIT oder SPIEGEL. Jede dieser Publikationen bildet auf ihre Weise »das gesamte Leben« ihrer Zielkundschaft ab, sei es mit Sex-Tipps, edlen Reise-Ideen oder Tipps für den Alltag im Büro.

Der linksgrüne Informationskonsument kauft eine politische Lebensphilosophie, die seine Community und das Land samt Kontinent auf Jahrzehnte oder sogar ein Jahrhundert beschädigt und seine Kinder heimatlos machen könnte, und vielleicht ahnt er das auch, doch für den Moment verdrängt er es, denn immerhin erhält ein ganzes Lebenskonzept, und das Vollständige fühlt sich immer besser an als bloßes Stückwerk.

Die politischen Haltungen, die von linksgrünen Medien transportiert werden, mögen gefährlich und anti-nachhaltig sein, doch sie bilden genug Aspekte des Lebens ab, um gefühlt ein ausreichend vollständiges Lebenskonzept zu transportieren.

Konservative Medien sind derzeit weit davon entfernt, die Spannbreite eines konservativen Lebens abzubilden. Da vielen  von ihnen schlicht die finanziellen Ressourcen der staatsnahen Anstalten und etablierten Konzerne fehlen, sind sie zu oft beschränkt darauf, den politischen Teil der anderen zu kommentieren. Konservative Medien müssen dem Leser sagen: »Hier sind einige Anmerkungen zur politischen Debatte, doch für den Rest müssen wir dich, lieber Leser, zurück zu den Linksgrünen schicken.« – Da kleine konservative Medien frei und ehrlich sein können, und die Denker zudem gewohnt sind, zu Ende zu denken, können sie Debatten skizzieren, die erst später in Leitmedien auftauchen werden, doch Konservative bleiben derzeit Kommentierer, Mahner und Vordenker, und das ist etwas anderes als Rundherum-Anbieter von Lebenskonzepten.

Das »Falsche« ist oft nur das frühe Richtige

Sicher, viele Blogs der Freien Denker werden von Berliner Entscheidungsträgern bzw. deren Presseleuten gelesen. Vielen ist bewusst, dass die Themen, die dort angestoßen werden, oft später im Mainstream auftauchen. Die Realität ist eben konservativ und so zwingt sie auch dem Linksgrünen irgendwann ihre Themen auf, wie sehr er sich auch bemüht, sie zu ignorieren mit den Worten, man dürfe nicht »den Falschen« in die Hände spielen – manchmal liegen die Falschen nur dadurch und darin »falsch«, dass sie unangenehm früh das Richtige sagen.

Ich habe Zweifel, ob sich in Deutschland ein wirklich konservatives mediales Vollprogramm aufziehen lässt. Man hat Konzerne und Anstalten gegen sich, die einerseits sehr tiefe Taschen besitzen, andererseits ein großes Interesse daran zu haben scheinen, den linksgrünen Konsumenten affekt- und bauchgetrieben zu halten.

Ich fürchte, ich und die Kollegen Freie Denker sind im Moment dazu verdammt, politische Kommentare zu geben und Korrekturen. Wir stellen Dinge vom Kopf auf die Füße, wir ordnen, wo interessierte Instanzen lieber Chaos sähen.

Nein, niemand von uns kann derzeit ein inhaltliches Vollprogramm bieten. Ja, wir schreiben derzeit Fußnoten. Doch, verdammt nochmal: Lasst uns die besten Fußnoten schreiben, die wir schreiben können! Wenn wir schon nicht das ganze Leben abbilden können, so wollen wir doch den Aspekt bedienen, der am dringlichsten erscheint.

Heute als Konservativer zu schreiben bedeutet auch und wesentlich, seinen Lesern ein Vademekum gegen den Wahnsinn an die Hand zu geben. Und, nicht wahnsinnig zu werden, wenn sie zu Zehntausenden für den Wahnsinn demonstrieren, das scheint mir ein Wert an sich zu sein. Nicht wahnsinnig zu werden, höre ich, kann tatsächlich das ganze, vollständige Leben positiv beeinflussen!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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