Tichys Einblick
Lauterbach würzt nach

Das Infektionsschutzgesetz macht den Ausnahmezustand zum Normalfall

Die Corona-Pandemie geht zu Ende. In anderen Ländern bedeutet das: der Ausnahmezustand ist vorbei. In Deutschland verstetigt die Bundesregierung den Ausnahmezustand – und löst ihn von der Pandemie.

PK zum neuen Infektionsschutzgesetz am Mittwoch (24.08.2022) mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP, li.) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, re.) in Berlin, 24.02.2022

IMAGO / epd

Als Justizminister Marco Buschmann (FDP) das Infektionsschutzgesetz vorstellte, wurde er nicht müde zu betonen, dass es ja mit einigen „Vorhängeschlössern“ versehen sei. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kommentierte: „Ohne die Freien Demokraten wäre das #IfSG (Infektionsschutzgesetz) verdammt strikt ausgefallen.“ Buschmann habe Schlimmeres verhindert. FDP-Chef Christian Lindner hat es gänzlich vermieden, mit dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung gebracht zu werden. Abtauchen, Schlimmeres verhindert, kommt ja vielleicht gar nicht. Liberaler Stolz auf ein Gesetz sieht anders aus. Doch so problematisch schon der Entwurf des Infektionsschutzgesetz für die FDP ist – es kommt für die Partei noch schlimmer.

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Als Buschmann mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Pressekonferenz saß, hatte dessen Haus schon gehandelt und eine Liste verschickt: an die Fraktionen der SPD, der Grünen und auch der FDP. Die sollen nun mit Änderungsanträgen den Entwurf nachwürzen. Die Texte zu den Änderungsanträgen hat das Bundesgesundheitsministerium formuliert. Besonders im Fokus steht der Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetz. Der regelt zum einen die Isolationspflicht nach einer festgestellten Infektion und zum anderen Einschnitte in die Grundrechte: „Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten.“ Per Änderungsantrag sollen die Fraktionen nun durchsetzen, dass mit dem Infektionsschutzgesetz „die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Versammlungsfreiheit, der Freizügigkeit und der Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt“ werden können.

Was das bedeutet, war bereits in diesem Winter zu erleben: Während Demonstrationen für Klimaschutz und das Recht auf sexuelle Identität akzeptiert wurden, verfolgte der Staat Demonstrationen gegen seine Corona-Politik rigoros: Mehrfach haben Städte solche Demonstrationen verboten; mehrfach wurden „Spaziergänge“ unter dem Einsatz von Gewalt durch die Polizei aufgelöst. Dieses Instrument belässt Lauterbachs Gesetz in der Hand der Kommunen – und dieses Instrument trägt die Freie Demokratische Partei mit.

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Diese Eingriffe in die Grundrechte löst die Bundesregierung mit Lauterbachs und Buschmanns Gesetz nun von Corona ab. Zwar werden die Vermeidung von Infektionen und schweren Krankheitsverläufen immer noch als Begründung genannt, doch sie werden um einen Punkt ergänzt: Die Maßnahmen seien auch möglich „unabhängig von einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bei saisonal hoher Dynamik“. Schon eine Grippewelle kann zum Ausnahmezustand führen. Zudem gilt: „Sofern ein Landesparlament für das gesamte Bundesland oder eine oder mehrere konkret zu benennende Gebietskörperschaften eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastruktur feststellt, können weitere Schutzmaßnahmen angeordnet werden.“

Dieser Punkt ist schwammig. Die „Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems“ ist nicht nur durch die Corona-Pandemie gefährdet. Berichte über einen Ärztemangel, gibt es seit Jahren. Auch dass dieser sich dadurch verstärkt, dass Rentenwellen anstehen. Den gleichen Mangel gibt es in der Pflege – sowohl in der Alten- als auch in der Krankenpflege. Schon vor Corona konnten, weil Kräfte fehlten, nicht mehr alle nachgefragten Dienste angeboten werden. Zudem sind die deutschen Krankenhäuser unterfinanziert. Schon vor der Pandemie drohten Schließungen. In der Pandemie verschlechterte sich die finanzielle Situation einiger Häuser. Entsprechend kam es trotz Pandemie zu Schließungen.

Weder Lauterbachs und Buschmanns Entwurf noch die Änderungsanträge sehen eine Abgrenzung vor. Es ist egal, ob eine Notlage in der Gesundheitsversorgung durch Corona oder durch andere Faktoren ausgelöst wird – die Notlage kann zu den Notstandszenarien des Infektionsschutzgesetzes führen. Ein Ministerpräsident kann in letzter Konsequenz Krankenhäuser schließen lassen, um Geld im Haushalt zu sparen – und den Protest gegen die Schließung verbieten lassen, indem er darauf verweist, dass die Gesundheitsversorgung gefährdet sei.

Die Gesundheitsversorgung als Joker ermächtigt die Länder auch, wieder zu weiteren Maßnahmen zu greifen: Neben der FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen und bei Veranstaltungen draußen, muss ein Mindestabstand von anderthalb Metern eingehalten werden. Veranstalter müssen Hygienekonzepte entwerfen. Und die Besucherzahl von Veranstaltungen kann begrenzt werden.

Dann gibt es noch einen Punkt in den Änderungsanträgen, der die Optionen von Karl Lauterbach mehrt. Darin heißt es, dass die Bundesregierung vorbei an den Ländern im Bundesrat entscheiden kann, wie lange die letzte Einzelimpfung höchstens zurückliegen darf. In letzter Konsequenz würde also Lauterbach bestimmen, wie oft sich ein Bürger impfen lassen muss. Kommt es zudem zu den Änderungsanträgen, die sein Haus verschickt hat, dann können die Länder alle von der Maskenpflicht befreien, deren letzte Impfung weniger als drei Monate zurückliegt. Dass dies ein Anreiz sei, sich vierteljährlich impfen zu lassen, bestreitet Lauterbach. Die Regelung könnte aber dennoch per Änderungsantrag ins Gesetz kommen – formuliert durch sein Haus.


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