Tag eins nach Kevin Kühnerts Kakophonie zum Sozialismus-Revival. Das globale Automobil-Unternehmen aus Bayern ist auch noch nicht enteignet, im Gegenteil, die BMW-Karossen sind weltweit beliebt, und bremsten den Kevin gehörig aus – Kühnert starrte in Saarbrücken, beim gemeinsamen SPD-Europawahl-Auftakt, in die Bremslichter. Der Betriebsratschef bei BMW, Manfred Schoch, stellte Kühnert und seiner SPD ein verheerendes Zeugnis aus: „Unglaublich“, und Betriebsräte sind eigentlich den Sozialdemokraten oft wohlgesonnen, aber Schoch setzte da erst richtig an: „Für Arbeiter deutscher Unternehmen, ist diese SPD nicht mehr wählbar …“. Der saß wirklich tief, dieser Nackenschlag.
Eigentlich ein Knockout vor einer anstehenden Wahl, und wenn’s nur die EU-Wahl ist (hätte man früher gesagt).
Auf der großen SPD-Bühne in Saarbrücken, vor dem Staatstheater, wirkte der SPD Spitzenpersonal, irgendwie bedröppelt. Ja, wie? Rund 700 Besucher standen und saßen vor der schönen Kulisse des Saarbrücker Theaters, einige meinten, es seien nur 300 gewesen und darunter sehr viele Altersgenossen von der 60-Plus-Fraktion, aber der Funke sprang nicht wirklich über. Vom Spitzenpersonal, das für die EU einheizte, ins lethargische Publikum.
Wenn aber ein Genosse wirklich Theater spielen kann, dann ist es der SPD Bundesvorsitzende, Andrea Nahles. Nebenbei angemerkt, Kevin Kühnert wurde zwar warmherzig begrüßt, doch im Komödienstadl, mit dem Titel (weiß auf blau), „Kommt-zusammen-Tour / #EuropaistdieAntwort“, wurde Kevin Kühnert die Statistenrolle zugewiesen.
Aber auf Andrea Nahles ist Verlass. Besser gesagt, auf ihre peinliche Art, am Mikrophon noch einmal einen Tick lauter, aggressiver auf alles und jeden einzudreschen, und alles zig Mal verbal fett zu unterstreichen, „und die Sub-Sub-Sub-Unternehmer bei Hermes“, dem Kurierdienstleister, würde die SPD „sooo“ nicht mehr hinnehmen.
Es sei auch angemerkt, dass sich andere Genossinnen, wie zum Beispiel die saarländische Ministerin für Wirtschaft und Verkehr, sowie SPD-Vorsitzende im Saarland, Anke Rehlinger, der Andrea fast schon klonhaft anpassen. Manche würden auch sagen, so „prollig“ daherkommen, einen Tick zu burschikos und in der Gestik viel zu ausladend. Mit Verlaub, das ist weder schick noch trendy. Im Kegelclub oder in der Pinte, vielleicht.
Also, die Subsubsub-Unternehmen bei Hermes, mit dieser organisierten Verantwortungslosigkeit mache die SPD Schluss, Hubertus Heil habe ein Gesetzentwurf vorgelegt, aber der „Peter Altmaier, der kommt doch aus der Ecke hier“, und auch Frau Merkel, wollen nichts verändern. Da sind die Bösen. Denn, mit den Subsubsub-Unternehmen bei den Kurierdiensten, das sagt die kluge Darstellerin Nahles nicht, habe man einst selbst Politik gemacht. Und nicht zu knapp. Noch heute bekommen die Hartz-IV Aufstocker Angstschweiß, hören sie die Kürzel S-P-D.
Dann knöpft sich Andrea noch Google, Amazon und Facebook vor – auch die müssten härter angepackt werden. Und dann brüllt sie (mal wieder), und redet sich heißer: „Wir wollen ein Europa der Demokratie“, und kein Europa der Binnengrenzen, ein offenes Europa, und sie warnt alle in Saarbrücken, und zwar vor denen, die das Rad zurück drehen wollen. Nahles ballt die Fäuste wie ein unleidiges Kind, stampft dabei, und brüllt „Die wollen ein Europa der Schlagbäume, es sind Geisterfahrer, man darf ihnen nicht das Steuer überlassen …“. Sie, die SPD, werde darum kämpfen. Einen Augenblick lang weiß man nicht, weint Nahles, oder ist das Gesicht schon hassverzerrt, oder hat sie sich nur verausgabt? Klar, es geht auch um ihre Zukunft.
Olaf Scholz und Heiko Maas sind dran, auch sie sprechen von einer neuen Europapolitik, bei der es nun um Alles gehe. Heiko Maas zitiert sogar Jaques Delors, hört, hört, in einen Binnenmarkt habe sich noch keiner verliebt.
Über den Islam lässt sich Maas ungern aus. Die eigenen Werte schützen? Die kennen weder Scholz noch Maas. Stets Rassisten und Antisemiten sehen, aber Israel in den Rücken fallen. Doch wir schweifen gerade etwas ab.
Kevin Kühnert darf dann doch noch etwas zu den Jugendlichen von Fridays for future sagen, klar, müsse man diese unterstützen. Ach, könnten die Streikkinder doch alle nur wählen, denken sich die Genossen, und biedern sich weiterhin an.
Irgendwann, ja irgendwann, waren dann auch die Spitzenkandidatin Barley und, EU-Methusalem, Udo Bullmann dran. Seit fast 20 Jahren sitzt Bullmann im Parlament der EU. Ein ganz gradliniger sozialistischer Genosse. So gesehen, sitzt er noch dort, wo ein Martin Schulz sicher gern wieder wäre. Vom EU-Martin keine Spur weit und breit.
Aber, egal ob Barley oder Bullmann, sie streuen bewusst Ängste, vor den Populisten. Sie selbst, so ihre tiefe Überzeugung, sind natürlich keine.
Katarina Barley warnt, wie schon Tage zuvor in Mainz, eindringlich vor den Nationalisten. Allein, die demokratische Bürgerschaft durchschaut die billige Rhetorik. Angst soll die Seelen anderer fressen.
Barley breitet ihre europäische Vita aus, wie viele Großeltern, aus wie vielen Ländern, ihre Kinder haben – und auch sonst erzählt sie sehr lang und ausgiebig aus ihrer Patchworkfamilie. Der große und etwas tapsige Moderator auf der Bühne, lässt sie reden. Es ist der SPD Generalsekretär Lars Klingbeil, der währenddessen immer wieder versucht, sein Hemd in die Hose zu stopfen. In der Tat, diese EU befindet sich am Scheideweg. Die SPD noch mehr.
Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist, ist seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.