Politische Schlagworte haben eine höchst unterschiedliche Halbwertzeit. Unter dem Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ versammelte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) in den 50er Jahren die Deutschen hinter dem neuen System. Gut 70er Jahre später klingt „Soziale Marktwirtschaft immer noch gut und ist vielen noch ein Begriff. Nur sieben Tage danach haben selbst politische Beobachter vergessen, was „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) mit dem Deutschlandfonds oder der Investitionsprämie gemeint hat.
Wie würde sich die Investitionsprämie auf die deutsche Wirtschaft auswirken, will etwa ein Journalist von Martin Wansleben wissen. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer schaut irritiert. Na Habecks Idee, der Staat gebe zehn Prozent auf alles außer auf Tiernahrung, hilft ihm der Journalist auf die Sprünge. Das sei nur ein Adler am Horizont, antwortet Wansleben. Lass mich mit dem Mist in Ruhe, hätte er wohl abends beim Bierchen gesagt. Doch der Adler am Horizont ist zitierfähig.
Bis zu 500 Milliarden Euro an staatlichen Zuschüssen hat der zuständige Minister in einer Pressekonferenz versprochen. Eigentlich eine Mega-Schlagzeile. Doch schon am gleichen Tag wanderte diese Geschichte im Nachrichten-Angebot der staatlichen und staatsnahen Medien rasch nach unten oder hinten. Nie würden deren Journalisten die Politik eines Grünen in Frage stellen – damit würden sie schließlich sich selbst in Frage stellen. Wenn staatliche und staatsnahe Journalisten gar nichts mehr Gutes über die Politik von SPD und Grünen sagen können, dann nuscheln sie die Themen halt weg. In diesen Tagen müssen sie viel nuscheln. Über Iran, Israel, USA oder Georgien erfährt zum Beispiel der Hörer des Deutschlandfunks derzeit mehr als über Deutschland.
Die beiden „Wirtschaftsgipfel“ von Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) brachten anfangs noch große Schlagzeilen. Doch schon im Laufe des Dienstags wanderten sie rasch nach unten oder hinten. Lindners Gipfel war so belanglos und enttäuschend, dass manche Vertreter der Wirtschaft nicht mal bis zur anschließenden Pressekonferenz geblieben sind. Olaf Scholz‘ Ergebnis war noch belangloser.
Der „Industriegipfel“ des Kanzlers beschloss einen „Pakt für die Industrie“. Ein Arbeitskreis hat also einen Arbeitskreis beschlossen. Das ist das Simulieren von Politik. Im Staatsfernsehen gibt es zwar keine regierungskritische Satire mehr zu sehen – doch Olaf Scholz füllt diese Lücke mehr als ausreichend. Noch eine Kostprobe vom humoristischen Talent des Sozialdemokraten? Der Pakt für die Industrie werde „sehr konkrete Maßnahmen“ bringen. Eine Idee ist abstrakt, ein Stück Holz ist konkret. Wann ein Stück Holz „sehr konkret“ wird, kann nur beurteilen, wer die Welt aus den Augen des Kanzlers sieht.
Mit den Wirtschaftsgipfeln zeigt sich, dass der Kanzler das größte Problem dieser Regierung ist. Das bedeutet nicht wenig angesichts einer Konkurrenz von Nancy Faeser, Marco Buschmann, Robert Habeck, Annalena Baerbock, Karl Lauterbach… Doch die Wirtschaft ist das größte Problem Deutschlands. Schwindet der Wohlstand im Land, wird es auch in allen anderen Bereichen des Zusammenlebens hässlich. Und mit Scholz als Kanzler ist keine Besserung in Sicht. Aus mehreren Gründen.
Zum einen wegen seiner Führungsschwäche. Habeck geht ohne jede Absprache an die Presse und verspricht ohne jede Absprache Staatsausgaben von bis zu 500 Milliarden Euro. Scholz lässt sich das gefallen. Der Kanzler lädt zu einem Spitzentreffen mit der Wirtschaft, sein Finanzminister veranstaltet einen Parallel-Gipfel. Und Scholz lässt sich das gefallen. Vor der Sommerpause 2023 hat der Kanzler der Bundespressekonferenz offen gesagt, dass es nicht sein Stil sei, seine Minister einzuschränken. In der Wirtschaftskrise wirkt sich dieser Stil fatal aus.
Doch sind zwar Lindner und Habeck ausgeschert. Aber ihnen ist zugute zu halten, dass ihnen bei diesem uneinsichtigen Kanzler nichts anderes übrigbleibt. Bereits im Frühjahr haben die beiden Minister auf die Gefahren hingewiesen, denen die deutsche Wirtschaft ausgesetzt ist. Ihr Regierungschef wollte davon nichts wissen, meinte, der Wirtschaft gehe es gut und alles andere sei Miesmacherei. Olaf Scholz ist in Sachen politischer Verantwortung so kurzsichtig, dass er den Bus erst sieht, wenn der ihn zum dritten Mal überfahren hat.
Zum anderen spricht gegen den Kanzler das Wirtschaftsverständnis des Sozialdemokraten. Scholz ist der Anti-Erhard. Soziale Marktwirtschaft führt er als Wort nur im Mund, weil es nach Erfolg klingt. Doch in Wirklichkeit steuert Deutschland unter Scholz auf Planwirtschaft zu. Wenn es unter ihm tatsächlich „sehr konkrete“ Maßnahmen geben wird, dann werden das staatliche Subventionen sein, die daran gekoppelt sein werden, dass die Staatsvertreter mit den daraus folgenden Investitionen einverstanden sind.
Außerdem hat Scholz nur – wie einst die Führung der DDR – die Hochindustrie im Blick. Den Mittelstand hat der Kanzler zu seinem Gipfel nicht eingeladen. Deutlicher könnte er seine Ignoranz gegenüber dem Teil der Wirtschaft nicht ausdrücken, der den deutschen Wohlstand im Wesentlichen erwirtschaftet. Die ganze Politik der Ampel war von dieser Ignoranz geprägt: Die vielen Auflagen und Berichtspflichten in ihren Gesetzen hat die Bürokratie aufgebläht, das trifft kleinere Unternehmen härter als größere, die dafür eigens Personal abstellen können. Die Investitionen des Bundes gingen in einzelne Großprojekte. Dass die berühmtesten in Magdeburg und bei Saarlouis bereits im Vorfeld gescheitert sind, zeigt nur, wie kurzsichtig Scholz in seiner politischen Verantwortung ist.
Den Mittelstand hat Scholz bei seinem Gipfel ausgespart. Die Gewerkschaften waren da. Warum? Was sollen sie fordern? Mehr Geld. Das ist auch ok. Aus Sicht der Gewerkschaften. Mehr Geld zu fordern ist ihr Job. Doch geht es um höhere Löhne, ist das ein Fall für die Tarifverhandlungen und nicht für irgendeinen Arbeitskreis, welchen Namen der auch immer vom PR-Team Scholz‘ erhält. Also bleibt den Gewerkschaften die Aufgabe, einen höheren Mindestlohn zu fordern. Eine Forderung, mit der Scholz und sein Arbeitsminister Hubertus Heil bereits Wahlkampf für die SPD machen. Also sind weder der „Industriegipfel“ noch der „Pakt für die Industrie“ die Suche nach politischen Inhalten. Sie sind das Simulieren von Politik. PR.
Scholz und sein Team versuchen ebenfalls politische Begriffe zu prägen. Doch wie im Fall von Robert Habeck ist auch hier die Halbwertzeit kurz. Ganz am Anfang wollte der Kanzler für „Respekt“ stehen, dann rief er die „Zeitenwende“ aus oder sprach vom „Unterhaken“ und versucht es sogar mit englische Fußballlyrik: „You‘ ll never walk alone“. Doch Scholz‘ Regierung steht für eine Innenpolitik, die ihre bürgerliche Mitte als anschlussfähig für Rechtsextremismus diskreditiert. Mit deren Verantwortlichen wollen sich die Bürger nicht unterhaken und dann doch lieber allein gehen.
Wenn die Ampel aber nur Pech mit ihren Schlagwörtern hätte, wäre die Welt in Ordnung. Staatliche oder staatsnahe Journalisten würden es schon schönreden. Doch die inhaltliche Bilanz der Bundesregierung ist so verheerend, dass nicht mal mehr wohlgeneigte Medien darüber reden wollen – und sie letztlich wegmuss. Allein schon, weil bereits ihr Haupt das eigentliche Problem ist: Olaf Scholz.