Tichys Einblick
Konflikt zwischen EuGH und BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hat eine rote Linie gezogen: Richtig so

Die politische Elite der EU ist über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts so verärgert, weil sie die EU als „ein politisches Projekt“ auf dem Weg zu einem eigenständigen Bundesstaat versteht. Von Markus C. Kerber und Derk Jan Eppink

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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Herrscher in Brüssel in Wut versetzt. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, erwägt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Ganz offensichtlich sind ihre Kenntnisse über europäisches Recht sehr beschränkt. Denn gemäß Art. 4 Abs. 2 des EUV ist die Europäische Union verpflichtet, die grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen der „Mitgliedsstaaten“ zu respektieren. Das Bundesverfassungsgericht ist ein wesentlicher Bestandteil dieser deutschen Rechtsordnung. Die Niederlande im Unterschied hierzu haben kein Verfassungsgericht. Ihre Verfassung erkennt den Vorrang des internationalen und europäischen Rechtes gegenüber nationalem Recht an.

Warum ist die politische Elite der EU so verärgert? Sie betrachtet die EU als „ein politisches Projekt“ auf dem Weg zu einem eigenständigen Bundesstaat. Der europäische Gerichtshof im Luxemburg ist bei dieser Sichtweise der einzige und ausschließliche Interpret europäischen Rechts. Wie der Gerichtshof in der Pressemitteilung vom 05.05.2020 feststellte:

„Um sicherzustellen, dass EU Recht einheitlich angewandt wird, ist der Europäische Gerichtshof die einzige rechtsprechende Instanz, die berechtigt ist, festzustellen, dass der Rechtsakt einer EU- Institution mit europäischem Recht nicht vereinbar ist.“

Die EU-Richter in Luxemburg sollten indessen ihren Ärger schnell in den Griff bekommen. Ähnliches gilt für Guy Verhofstadt, den früheren belgischen Ministerpräsidenten, z.Z. Mitglied des europäischen Parlaments. Er sandte noch am selben Tag einen Tweet heraus: „Wenn jedes Verfassungsgericht jedes Mitgliedsstaats seine eigene Interpretation davon gibt, was Europa kann und nicht kann, ist das der Anfang vom Ende. Der Verfassungshüter der EU ist der Europäische Gerichtshof und das muss so bleiben!“ 

Verhofstadt ist ein Super-Förderalist. Für ihn sind Mitgliedsstaaten nichts weiter als Provinzen der Europäischen Union, die der zentralen Herrschaft unterworfen sind.

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Dementgegen ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofs in Karlsruhe von unschätzbarer Bedeutung für Deutschland und die Niederlande als den wesentlichen wirtschaftlichen Garanten der massiven Schuldenaufkäufe durch die EZB. Sie haben einen ganzen Satz von Bedingungen gefordert, den die unterschiedlichen Aufkäufe sowohl im PSPP- als auch im PEPP-Programm unterworfen werden sollen. Aber diese Bedingungen sind von der EZB allmählich unterlaufen worden, um die italienische Staatsschuld erträglich zu halten. Am Ende, wenn dieser Trend weitergeht, befinden wir uns in der monetären Staatsfinanzierung, die nach Art. 123 des AEUV verboten ist.

Die Eurozone befindet sich somit auf einem Schlingerpfad. Dessen ist sich der Europäische Gerichtshof vollständig bewusst. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich an die Richter in Luxemburg eine Ermahnung gesandt. Luxemburg liegt nicht weit entfernt von Karlsruhe, aber die Mentalität zwischen beiden Gerichten scheint fundamental unterschiedlich. Die Richter in Luxemburg konzentrieren sich auf die Legalisierung des EZB-Kaufrausches, nicht auf das juristische Rahmenwerk und seine Bedingungen. Auf diese Weise legitimieren sie die Erosion des Verbots der monetären Staatsfinanzierung, welches die Regierungen und Parlamente der Niederlande und Deutschlands besonders fürchten.

Glücklicherweise hat Deutschland einen Verteidigungsmechanismus, der den Niederländern fehlt: Das Verfassungsgericht. Es bindet nicht den Europäischen Gerichtshof, auch nicht die EZB, aber die Bundesbank. Wenn das Kaufprogramm teilweise oder insgesamt mit der deutschen Verfassung unvereinbar ist, ist das Verfassungsgericht verpflichtet, dies aufzuzeigen. Dies bringt Brüssel zum Wahnsinn, denn die dortige Elite weiß, ohne die Bundesbank gibt es kein Kaufprogramm. Ohne Deutschland keinen Euro.

Gut für Deutschland, ein Sicherheitssystem in seiner Rechtsordnung zu haben, welches es in der Geschichte nicht immer hatte: Der Schutz der Verfassung. Die Niederländer, denen eine solche Institution fehlt, sind leider allen Formen internationaler Gesetzgebung unterworfen. Jetzt gilt es, sich ganz schnell bei Deutschland einzuhaken. Wir sind sicher, dass die niederländische Regierung sehr viel dankbarer für das Urteil ist, als sie nach außen zeigt. Ihre finanziellen Interessen werden gesichert durch: das Bundesverfassungsgericht.


Autoren:

Derk Jan Eppink ist Mitglied des Europäischen Parlaments als Abgeordneter der Niederlande.
Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin.

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