Oscar Wilde ist bekannt für Zitate, deren Humor man heute wohl als kultivierte Schnoddrigkeit bezeichnen könnte. Eines davon ist, dass man Versuchungen nachgeben solle, da man nicht wisse, ob sie wiederkehren. Dieser Empfehlung möchte ich jetzt folgen und dem von der Bosheit des polemischen Schreibers getriebenen Impuls nachgeben, einen Vergleich zu ziehen zwischen seinem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ und der Politik unserer „Eliten“, insbesondere der Bundesregierung und der Europäischen Zentralbank.
Es ist bemerkenswert, dass gerade ein dem Hedonismus so zugeneigter Mensch wie Oscar Wilde dieses Sittengemälde des gesellschaftlichen Zerfalls so treffend zeichnen konnte.
Dorian Gray ist ein in vieler Hinsicht philosophisches Werk, in welchem der Protagonist seine Sterblichkeit und seine moralische Verkommenheit auf magische Weise auf sein Portrait überträgt, welches an seiner Stelle altert und für ihn auch den Ausdruck der Bosheit annimmt, die das Ergebnis seiner zahllosen Verfehlungen und anderen Menschen zugefügten Verletzungen sind.
Was Dorian Gray und unsere politischen und geldpolitischen Eliten vor allem gemeinsam haben, ist, dass beide von geborgter Zeit leben. Beide sparen den Verfall in Form sich aufstauender Ungleichgewichte auf. Die Droge, die diese Pfandleihe ermöglicht, heißt billiges Geld. Die Flutung der Wirtschaft mit Zentralbankgeld, geschaffen im Wege des QE, des „quantitative Easing“, erschafft eine Scheinblüte. Sie bewirkt vor allem zwei Dinge: Dass immer mehr Ressourcen in den Konsum fließen statt in die Investitionen, und dass zugleich immer mehr Investitionen zu Fehlinvestitionen werden, weil das vom manipulativen Nullzins gestörte Preisgefüge die falschen Knappheitssignale an die Unternehmen und Bürger sendet.
Die Fehlinvestitionen werden aber nicht mehr von den Kräften des Marktes und des Wettbewerbs aussortiert, weil der Nullzins sie als gigantische multimilliarden-Subvention am Leben erhält.
Gleichzeitig steuert der Staat immer mehr Mittel des zufließenden billigen Geldes in den Konsum. Das Ergebnis ist eine Verlotterung der Infrastruktur. Straßen, Schienen, Schulen, Brücken, wo man auch hinsieht: Die Zukunft wird systematisch zulasten des hedonistischen Konsums vernachlässigt. Die keynesianische Wirtschaftsidee dahinter erweist sich als ideologischer Überbau und Protagonist des Konsumterrors.
Weil aber das Gift schuldenfinanzierter Nachfrage, dem goldenen Kalb unserer Tage, die Kapazitäten auslastet, sehen die Zahlen – noch – hübsch aus. 2% Wachstum. 2% Beschäftigtenwachstum. Sehet und staunet, was unsere Druckerpresse bewirkt hat, ihr Kleingläubigen!
Dass es kein Produktivitätswachstum gegeben haben kann, wenn ich 2% mehr Beschäftigte brauche, um 2% mehr Güter und Dienstleistungen zu produzieren, fällt nur dem auf, der genauer hinschaut, der den Vorhang vor dem Porträt des alternden, verlebten, egoistischen und auf Kosten der anderen und der Zukunft im Dienste der Lust verbrauchten Dorian Gray lüftet.
Dass der immer weiter wachsende Schuldenberg Europas eine Megatonnen-Sprengladung ist, die sich bei einem Entzug der Droge Nullzins sofort entladen würde, hat sich schon herumgesprochen.
Dass unzählige Schulen nur noch einladend wirken, wenn man als Kind eine Sozialisierung der Straße erfährt und ihre schimmelbefallenen Hallen und stinkenden, heruntergekommenen Sanitärbereiche nur als Basislager halbkrimineller Gangstrukturen noch halbwegs wohlwollende Verwendung finden, wird einem nur klar, wenn man sie als Kind besuchen muss. Und Kinder, das weiß jeder, haben in diesem Land keine Wählerstimme und auch sonst keine Stimme.
Dass sich immer mehr Brücken nach Jahren der Vernachlässigung in einem Zustand befinden, der eine Gefahr für die sie benutzenden Autofahrer darstellt, wird den Leuten wahrscheinlich erst bewußt, wenn es die erste richtige Großkatastrophe gegeben haben wird. Die hedonistische Linke wendet sich gelangweilt ab: Wären sie halt Bahn gefahren … Als ob dieser Teil unserer Infrastruktur in wesentlich besserem Zustand wäre.
Dass unsere Landesverteidigung praktisch nicht mehr existent ist und die Verteidigungsministerin in ihrer Arroganz der Macht ihre vornehmste Aufgabe darin sieht, die verzweifelt um Standfestigkeit kämpfende Truppe mit Genderworkshops und Haltungsvorwürfen zu demütigen, wird ebenfalls erst deutlich werden, wenn jemand den Vorhang vor Dorians Bildnis lüftet und unserem Land ein militärisches Ultimatum in irgendeiner Frage konträrer Interessen stellt.
So hat die Hybris eines „wir schaffen das“ (gemeint war immer: „Wenn IHR das nicht schafft, seid ihr alle Nazis“) den Nährboden für eine neue Fremdenfeindlichkeit, einen neuen Rassismus und eine neue, tiefe Spaltung der Gesellschaft erzeugt. Sie hat sich so die Feindbilder selbst gebastelt und befeuert, die sie zur Rechtfertigung ihrer eigenen Intoleranz, der Einschränkungen der Freiheit, der Zensur und der gewalttätigen Antifa braucht, damit die Firnis nicht hier und heute von Dorian Grays Porträtbild springt und ihr Elitenversagen offenbar macht.
Aber wie Oscar Wilde in seiner Parabel vorausgesehen hat kann jedes Individuum und jede Gesellschaft innere Wiedersprüche nur bis zu einem gewissen Grade aushalten. Die Verlogenheit braucht ein Gefäß und wenn es überläuft, kommt es zur Katharsis.
Die Krise befällt die Gesellschaft, der Schleier vor dem hässlichen Bild der wahren Realität zerreißt, die Republik stürzt sich auf das eigene Bild des Abstiegs, den sie nicht mehr aushält. Dann stirbt Dorian Gray als Repräsentant einer alten, verkommenen Un-Ordnung, aber sein Bild ist wieder jung und strahlend. Man kann es wieder ins Wohnzimmer hängen. So wird es auch hier sein. Eine neue Ordnung der Freiheit, der wir uns nicht mehr zu schämen brauchen, eine Verfassung der Gesellschaft, auf die wir wieder stolz sein können, eine Revolution des Bürgers, der sich nicht mehr gängeln lassen wird, steht ins Haus.
Die Stunde der Wahrheit kommt. Deshalb müssen wir die Freiheit jetzt vordenken.