Tichys Einblick
Beweis-Laptops aus Tresor verschwunden

Cum-Ex: Das Watergate des Olaf Scholz

Ein führender Hamburger SPD-Mann versteckt Computer mit 700.000 heiklen E-Mails. Um Olaf Scholz zu schützen und die Aufklärung des größten Steuerskandals der deutschen Geschichte zu behindern, ist den Vertrauten des Bundeskanzlers inzwischen offenbar jedes Mittel recht.

IMAGO / IPON

Der Hamburger Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren Cum-Ex-Steuerskandal ist im Moment eher ein Such-Ausschuss.

Gesucht werden zwei Beweis-Laptops mit 700.000 potenziell belastenden E-Mails. Die Geräte sollten dort sein, wo sich alle heiklen Dokumente rund um jene Affäre befinden, die Bundeskanzler Olaf Scholz immer gefährlicher wird: in einem knapp zwei Meter großen Tresor. Der steht in Hamburg in einem schwer bewachten und mehrfach gesicherten Raum ohne Fenster. Nur wenige Menschen mit besonderer Sicherheitsfreigabe haben Zugang zu dem Material, das aus dem Tresor nur entnommen werden darf, damit Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses es sich – beaufsichtigt und nur in einem extra eingerichteten Lesesaal nebenan – ansehen können.

Wenn die Abgeordneten fertiggelesen haben, kommen die Beweismittel sofort wieder in den Tresor ein paar Meter weiter. Eigentlich. Seit vergangener Woche fehlen aber zwei Laptops. Heikle Korrespondenz der Büroleiterin von Olaf Scholz, des Hamburger Bürgermeisters und von vielen Top-Beamten sind jetzt, nun ja: weg.

Nach Recherchen des Stern und der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung hat ein führender Sozialdemokrat der Hansestadt die Geräte in der vergangenen Woche aus dem Tresor entfernt – und versteckt sie seitdem. Steffen Jänicke heißt der Mann, er ist Leiter des Arbeitsstabs des U-Ausschusses – sozusagen dessen Chefermittler.

Zwar sind in den Steuerskandal zahlreiche aktive und ehemalige SPD-Politiker verstrickt. Dank der Geschäftsordnung des Hamburger Stadtparlaments – der Bürgerschaft – darf die Partei dennoch nicht nur den Vorsitzenden des U-Ausschusses bestimmen, sondern auch den Leiter des Arbeitsstabs (und sogar noch dessen Stellvertreter).

In Sachen Cum-Ex ermittelt die Hamburger SPD also sozusagen gegen sich selbst. So richtig verwundert es da auch niemanden, dass es mit der Aufklärung nicht so recht vorangeht.

Den Obleuten der Fraktionen im U-Ausschuss hat Jänicke mitgeteilt, er habe „verfügt, dass die Akteneinsicht sowie die Arbeit des Arbeitsstabes mit den Asservaten zunächst ausgesetzt wird“. Dass er selbst die wichtigen Laptops aus dem Sicherheitsraum entfernt hat, erwähnt er nicht.

Die Bedeutung der Computer kann kaum überschätzt werden. Auf ihnen befinden sich etwa 700.000 E-Mails, die die Staatsanwaltschaft Köln beschlagnahmt hatte. Die Behörde ermittelt gegen eine Hamburger Finanzbeamtin und gegen zwei frühere Top-Größen der Hamburger SPD: den Ex-Innensenator Alfons Pawelczyk und den Ex-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs. Es geht um die Frage, warum die Hamburger Steuerbehörde 2016 von der Hamburger Privatbank M.M. Warburg deren Millionen-Beute aus Cum-Ex-Geschäften ursprünglich nicht zurückforderte – und welchen Einfluss die Hamburger Politik genommen hat.

Pawelczyk und Kahrs waren seinerzeit Berater der Bank. Direkt von dem Institut bzw. aus dessen Firmengeflecht flossen insgesamt über 100.000 Euro an Pawelczyk und an die Hamburger SPD – besonders im damaligen Wahlkreis von Kahrs. Beide vermittelten der Bank auch den Kontakt zum damaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg: Olaf Scholz. Der traf sich mehrfach mit den Bankiers und sprach mit ihnen über das Steuerverfahren. Davon will der Bundeskanzler heute nichts mehr wissen: Er könne sich an die Treffen nicht erinnern, hat er im U-Ausschuss erklärt.

Mehrere Monate lang überwachte die Staatsanwaltschaft die Kommunikation von Politikern und Beamten. 2021 dann wurden mehrere E-Mail-Postfächer beschlagnahmt – auch das von Jeanette Schwamberger, der Büroleiterin und engen Vertrauten von Olaf Scholz. Bei ihr fanden sie unter anderem dubiose E-Mails zu einer Anfrage des Hamburger U-Ausschusses. Der wollte Scholz’ Kalendereinträge zu Gesprächen mit Pawelczyk und Kahrs über die Cum-Ex-Affäre sehen.

Dem heutigen Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, einem anderen engen Scholz-Vertrauten, schlägt Schwamberger schriftlich vor, „mit Olaf zu diskutieren“, wie man die Termine „einsortieren“ wolle. Dabei setzt Schwamberger das Wort „einsortieren“ selbst in Anführungszeichen.

Die Computer mit der ganzen Korrespondenz forderte der U-Ausschuss schon 2022 von der Kölner Staatsanwaltschaft an. Doch Nordrhein-Westfalens grüner Justizminister Benjamin Limbach – dessen Partei bekanntlich mit Olaf Scholz in Berlin die Bundesregierung bildet – blockierte die Übergabe monatelang. Unter wachsendem öffentlichen Druck gab er dann doch nach: Im Oktober 2023 gingen die Laptops mit den E-Mails nach Hamburg.

Dort übernahm nun die örtliche SPD die Aufgabe, die Aufklärung zu behindern.

Keine zwei Tage, nachdem die Laptops endlich in Hamburg angekommen waren, forderten die Hamburger Genossen, dass sich niemand die Geräte ansehen dürfe. Denn darauf seien auch Mails ohne Bezug zum Untersuchungsauftrag, klagte Milas Pein, der SPD-Obmann im U-Ausschuss. Es gehe um vertrauliche politische Korrespondenz und persönliche Daten.

Nach den Recherchen von Stern und WAZ hat Scholz-Büroleiterin Schwamberger wohl auch private Bankgeschäfte über ihren dienstlichen Internetzugang abgewickelt. Deshalb will Hamburgs SPD jetzt gleich alle E-Mails – also zentrale Beweismittel – sperren, zumindest vorläufig. Der U-Ausschuss soll keinen Zugang mehr zu den Laptops haben, bis über den Umgang mit den Computern endgültig entschieden ist.

Da das eine politische Entscheidung ist, gegen die vermutlich dann auch noch irgendjemand vor Gericht zieht, kann das dauern. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Und damit sich auch ganz sicher niemand die heiklen E-Mails trotzdem ansieht, ist SPD-Mann Steffen Jänicke offenbar sozusagen vorsorglich aktiv geworden – und hat die Laptops kurzerhand aus dem Tresor entwendet. Einen Auftrag des U-Ausschusses dazu hatte er nicht, die Obleute im Ausschuss informiert hat er auch nicht. Und wo die Geräte jetzt sind, sagt er nicht, sondern lässt mitteilen, „aus dienstrechtlichen Gründen“ könne er auf diesbezügliche Fragen „weder antworten noch anderweitig eingehen“.

Der Hinweis auf das Dienstrecht kommt nicht von ungefähr. Natürlich kennt Jänicke die Regeln des U-Ausschusses zur Wahrung der Geheimhaltung. Da steht unter anderem: „Die Akten und sonstigen Unterlagen sind in vom Arbeitsstab zu bestimmenden Akten- und Leseräumen im jeweiligen Gebäude zu verwahren.“ Selbst Jänickes Büro ist in einem anderen Gebäude und auch nicht annähernd so gesichert wie der Aktenraum mit dem Tresor.

Die Grünen, immerhin Koalitionspartner der SPD in Hamburg, wollen von all dem am liebsten gar nichts wissen. Sie hätten von dem Vorgang keine Ahnung, lassen sie ausrichten – und geben den Schwarzen Peter elegant an die Sozialdemokraten weiter. Die CDU ist entsetzt und erklärt: „Wir wissen nicht, ob die Laptops zwischenzeitlich manipuliert oder ausgelesen wurden.“ Die AfD wird etwas deutlicher: „Es wird zu untersuchen sein, ob an den genannten Laptops in der Zwischenzeit Änderungen vorgenommen oder Kopien angefertigt wurden.“

Das Misstrauen der Opposition ist nachvollziehbar. Steffen Jänicke ist, gelinde gesagt, eine schillernde Figur. Er hat enge familiäre Bindungen nach Russland. Der Hamburger Verfassungsschutz war deshalb schon im Sommer 2022 dagegen, dass Jänicke überhaupt streng geheime Unterlagen einsehen dürfen soll. Über diese massiven Bedenken hatte sich die SPD-geführte Hamburger Bürgerschaftskanzlei dann einfach hinweggesetzt.

Das sollte nach dem Plan der Hamburger Genossen heimlich, still und leise geschehen – fand aber den Weg in die Medien und wurde zu einem kleinen Skandal. Damit alle irgendwie das Gesicht wahren konnten, fand man einen faulen Kompromiss: Jänicke durfte im Amt bleiben, aber er hatte keinen Zugang mehr zu sensiblen Daten oder zum Tresor.

Wie er jetzt trotzdem die Laptops beiseiteschaffen konnte, weiß niemand. Aber manche dürften sich darüber weniger ärgern als andere.

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