„Politikwechsel“. Das ist das Wort, mit dem die Union nach drei Jahren Pause zurück ins Kanzleramt kehren will. Eine Internet-Adresse mit diesem Namen hat sich ihr Spitzenkandidat Friedrich Merz gesichert. Dort finden die Nutzer vor allem das Grundsatzprogramm, das sich seine Partei in einem langatmigen Prozess abgerungen hat. „Politikwechsel“ ist das Buzzwort, das den Sound einer neuen Äre einläuten soll. Und es stellt Deutschland vor eine spannende Frage: Wer ist mehr überfordert? Kanzlerkandidat Friedrich Merz oder sein Buzzwort vom „Politikwechsel“?
Auf der Klausurtagung der CSU im Kloster Seeon geht unterdessen die Angst um. Die Angst vor einer erstarkenden AfD, die eigentlich gar nichts tun muss. Die am stärksten ist, wenn ihr die Ampelparteien und die farblose Union die unzufriedenen Wähler zutreiben. Die Erkenntnis, dass sich dem deutschen Michel die Brandmauer immer schlechter erklären lässt, während in den USA, in Kanada, Frankreich, den Niederlanden oder Österreich diese Mauern gerade in sich zusammenbrechen. Und das bittere Wissen der Christdemokraten, einer solchen Situation intellektuell wehrlos gegenüber zu stehen. Weil sie das selbstständige, vernünftige und sachorientierte Denken verlernt haben. Nach 16 Jahren Angela Merkel und drei Jahren permanentem Zurückrudern unter Merz.
Die Union scheitert an einem Paradox, das sie selbst gesetzt hat. Einerseits will sie einen „Politikwechsel“ zum Mittelpunkt ihres Wahlkampfs machen. Andererseits sprechen ihre Vertreter davon, dass in Deutschland nur die vier Parteien regieren dürften, die in der Bundesrepublik schon immer regiert haben, sonst sei „unsere Demokratie“ in Gefahr. CSU-Chef Markus Söder schließt dabei sogar noch die Grünen aus. CDU-Chef Friedrich Merz ist schlau genug, zu wissen, dass dann nur noch die Truppe um Saskia Esken, Lars Klingbeil, Rolf Mützenich und Karl Lauterbach übrigbleibt. Das ist kein Politikwechsel, das ist aufgewärmter Wirsing.
Zwei Dinge prägen den Wahlkampf 2025. Zum einen das Müntefering-Theorem: Der ehemalige SPD-Chef hat einst geklagt, es sei unfair, Politiker an dem zu messen, was sie vor der Wahl gesagt hätten. Der Wähler hat Müntefering zugehört und daraus seine Lehre gezogen: Es ist schwachsinnig, Politiker vor der Wahl ernst zu nehmen. Deswegen greifen all die Versprechen der Wahlkämpfer ins Leere. Etwa wenn die Merkel-CDU und die Faeser-SPD plötzlich und angeblich gegen illegale Einwanderung vorgehen wollen.
Zum anderen prägt diesen Wahlkampf, dass die PR-Berater der Union durchaus recht haben: Die Menschen wünschen sich einen Politikwechsel in Deutschland. Doch einen richtigen Wechsel mit den vier Parteien, die schon immer regiert haben, wird es nicht geben. So viel hat der Wähler eben auch verstanden. Zumal drei der vier Parteien mit Spitzenkandidaten antreten, die gerade die Bundesregierung, die Wirtschaft und das Land an die Wand gefahren haben. Die FDP hat sogar noch den geschassten Justizminister Marco Buschmann zum Generalsekretär ernannt, trotz all seiner Peinlichkeiten wie Selbstbestimmungsgesetz, „Wir werden die Nordstream-Saboteure jagen“ oder die überflüssige Verlängerung der Pandemie-Maßnahmen. Mehr Verweigerung eines Politikwechsel als von den drei ehemaligen Ampel-Parteien geht gar nicht.
Und die Union? Die tritt mit dem „Spitzenkandidaten“ Friedrich Merz an. Ein 69-Jähriger, dessen einzige Regierungserfahrung das Amt des Brexit-Beauftragten in Nordrhein-Westfalen ist. Einer, der erkannt hat, dass ihm Angela Merkel machtstrategisch turmhoch überlegen ist und sie dann zwei Jahrzehnte lang ausgesessen hat. Friedrich Merz ist kein Politikwechsel. Er ist Kohl. Aber nicht Helmut. Sondern Merz ist Grünkohl, der 36 Stunden gekocht, sieben Tage stehen gelassen und dann in der Mikrowelle aufgewärmt worden ist.
Es ist die begrenzte Auswahl an Koalitionspartnern, die den Wahlkampf 2025 in die Stagnation treibt. Die ihn an der „Brandmauer“ gegen die AfD ausbremst. Das lässt die PR-Strategen der vier Dauerregierenden verzweifeln. Und diese Verzweiflung treibt mittlerweile bunte Blüten. Olaf Scholz bringt im Stern allen Ernstes eine Koalition seiner SPD mit der FDP ins Gespräch. Fehlende „sittliche Reife“ hat der Kanzler den Liberalen noch vor zwei Monaten unterstellt. Passt gut zu meinem schlechten Gedächtnis, scheint er sich jetzt zu denken. Wobei… Denken… Im Stern sagt Scholz: „Ich habe nichts Generelles gegen die FDP. Das Tolle an der Demokratie ist die Demokratie… Wahlen sind Wahlen. Die Bürger entscheiden, und wir Politiker müssen mit dem Ergebnis umgehen.“ So formuliert kein kluger Stratege, so rhabarbert ein Stammgast, wenn er nach dem 20. Bier die Wirtin anbaggert.
Derzeit stagniert der Wahlkampf. Die Parteien stehen in den Umfragen auch nach Weihnachten in etwa dort, wo sie vor der Adventszeit bereits gestanden haben. Einen Politikwechsel propagiert die Union zwar. Aber eigentlich ist ihr die aktuelle Stagnation ganz recht. Denn besser als die 30 Prozent und ein kleines X in den Umfragen wird es mit Friedrich Merz nicht. Das ist eine Erkenntnis, die sich allmählich in der Partei Helmut Kohls, Konrad Adenauers und Franz Josef Strauß‘ breit macht. Nicht erst seit dem Klausurtreffen der CSU von Seeon.
Es rächt sich, dass Merz nichts aufgearbeitet hat. Er hat sich gegen die Merkelianer Hendrik Wüst, Daniel Günther oder Tobias Hans so wenig gerüstet, wie er es einst gegen die leibhaftige Merkel getan hat. Sie haben immer noch das Sagen in der Partei. Das geht so weit, dass Merz als Parteichef an Personal festgehalten und es sogar befördert hat, dass diesen Merkelianern angehört und ihn früher öffentlich bekämpft und sogar diffamiert hat. Selbst wenn Merz tatsächlich einen Politikwechsel wollte, er könnte ihn nicht durchsetzen. Wegen der einzig verbliebenen Koalitionspartner SPD und Grüne zum einen, wegen der fehlenden Mehrheit in der eigenen Partei zum anderen.
In der CSU ballen sie jetzt die Fäuste. Doch es ist nicht der Geist von Franz Josef Strauß, der in Seeon weht – eher der Geist von Horst Seehofer. Der hat gegen Merkel seinerzeit mal lauter, mal leiser gemaunzt. Aber wenn es ernst wurde, hat er sich nicht an die Schalthebel der Macht getraut, sondern sich an die Führungsleiste seiner Spielzeug-Eisenbahn zurückgezogen. Die CSU-Führung mag die Gefahr spüren, die sich anbahnt. Doch ihre Verantwortlichen stemmen sich ihr nicht entgegen. Sie hätten auch gar nicht die Kraft dafür.
Justin Trudeau kann sich in Kanada nicht mehr halten. Emmanuel Macron muss in Frankreich immer mehr Bauernopfer vom Brett lassen, um sein eigenes Schachmatt noch ein wenig heraus zu zögern. Und der grüne Präsident Alexander Van der Bellen muss in Österreich jetzt der FPÖ den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Das woke Zeitalter geht zu Ende. Die Union hat sich unter Merkel zu diesem Lager geschlagen. Die meisten Konservativen in der Partei haben es mitgemacht. Aus Opportunismus zwar, aber gegen ihre Überzeugung. Jetzt sagen Opportunismus und Überzeugung das Gleiche: Verlasst das woke Lager, bevor es zu spät ist. Doch die Konservativen finden den Weg nicht mehr.
Die Konservativen in der Union, vor allem in der CSU stehen mit dem Rücken zur Brandmauer. Sie trauen sich nicht, sich umzudrehen. Ihre Phantasie reicht nicht mehr über diese Mauer hinaus. Also bleibt ihnen auf der anderen Seite nur der Weg zu einer Weiterarbeit mit der halbwoken SPD und den ganz woken Grünen. Ein Politikwechsel ist das nun wirklich nicht. Den mag die Union zwar propagieren. Doch mehr als Stagnation darf sie sich von dieser Wahl nicht erhoffen. Und nach abgestandenem Grünkohl stinkende Angst. Immerhin die hat sie im Überfluss.