Tichys Einblick

CSU zurück auf dem Weg in die Zukunft – begrenzte Zuwanderung

Plötzlich erinnert sich die CSU an frühere Forderungen: Begrenzung auf 200.000 Zuwanderer jährlich. Offen bleibt die Frage: Wer darf kommen. Und die Merkel-CDU kämpft schon mal gegen jede Begrenzung. Wer setzt sich diesmal durch?

IMAGO / Sven Simon

Wenige Tage nach den Ausschreitungen von überwiegend migrantischen Randalierern in Berlin fällt der CSU wieder ein, dass sie einmal für eine Begrenzung der Zuwanderung auf 200.000 pro Jahr war. Anlässlich der aktuellen Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im Bundestag warnt sie vor einer „unkontrollierten Zuwanderung“. In einem Beschlusspapier kritisiert die CSU, die Bundesregierung schaffe mit ihrer Politik neue Anreize für illegale Migration. Wörtlich heißt es in dem Papier: „Die Vorhaben der Ampelregierung, jedem den Weg in ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu ebnen, der es geschafft hat, sich trotz illegaler Einreise, erfolglosem Asylverfahren und Identitätsverschleierung lange genug in Deutschland aufzuhalten, lehnen wir ab.“

Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz, ergänzt: „Die Zahl der Asylerstanträge hat sich seit dem August fast verdoppelt und im Vergleich zum April fast verdreifacht. Jetzt ist klar: Zusätzlich zu den 1,1 Millionen ukrainischen Kriegsflüchtlingen werden in diesem Jahr deutlich mehr als 200.000 Asylbewerber nach Deutschland kommen. Die Kommunen sind vielerorts schon seit Wochen und Monaten am Limit. Wie Frau Faeser angesichts dieser Dynamik noch vor zwei Wochen im Bundestag sagen kann, dass wir ‚keine große Migrationskrise haben‘, ist schleierhaft. Die Ministerin verschließt offenbar die Augen vor der Wirklichkeit. Es braucht jetzt ein Umsteuern in der Migrationspolitik der Ampel. Die Signale, die SPD, Grüne und Linke mit ihren Migrationsgesetzen senden, sind gerade in dieser Lage grundfalsch.“

Ralf Schuler, vormals Parlamentsredakteur von „Bild“, jetzt bei „pleiteticker.de“, hat den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann in diesem Zusammenhang gefragt, ob er die von Seehofer im Jahr 2016 genannte Zahl für die Aufnahme von maximal 200 000 Migranten pro Jahr favorisiere. Herrmanns Antwort war eindeutig: „Ich glaube in der Tat, dass das eine Zahl ist, wo man eindeutig sieht: Wenn es mehr werden, wissen wir schon allein räumlich nicht mehr wohin. (…) Wir müssen genau definieren, was wir verkraften.“ Zudem kritisiert Herrmann die „Glorifizierung“ von Zuwanderung.

Bundesagentur für Arbeit
„Spirit Einwanderungsland“: Nahles wärmt die Willkommenskultur auf
Wir erinnern uns: Da war doch was! Aber es ist in langen Merkel-Jahren offenbar in Vergessenheit geraten oder verschwiegen worden. Anfang Januar 2016 hatte Bayerns damaliger Ministerpräsident Horst Seehofer eine konkrete Obergrenze von „maximal 200 000″ Flüchtlingen pro Jahr gefordert. Wörtlich: „Alles was darüber hinaus geht, halte ich für zu viel.“ Seehofer drohte unter Berufung auf ein externes Gutachten des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht Udo Di Fabio gar mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Merkels Flüchtlingspolitik.

Vorausgegangen war im November 2015 eine 13-Minuten-Standpauke, die Seehofer Kanzlerin Merkel auf offener CSU-Bühne wegen ihrer Willkommenskulturs behalten hatte.

In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse legt Seehofer im Februar 2016 nach: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“ Der Titel „Herrschaft des Unrechts“ stammt übrigens von dem Verfassungsrechtler und TE-Autor Ulrich Vosgerau. Unter diesem Titel hatte Vosgerau im Herbst 2015 einen Aufsatz im Magazin „Cicero“ veröffentlicht, der mit Merkels Grenzöffnungspolitik hart ins Gericht ging. Vosgerau hat danach ein Buch mit diesem Titel geschrieben.

Was aber sagt die Zahl 200.000?

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellten im Jahr 2022 (ohne Dezember 2022) 214.253 Bewerber einen Asylantrag. Darunter machten 61.720 Syrer und 36.238 Afghanen fast die Hälfte aus. Gegenüber den Jahren 2020 (122.170) und 2021 (190.816) war das eine deutliche Zunahme der Gesamtzahl. Von den 214.253 Bewerbern wurden 37.408 (entsprechend 17,3 Prozent) als Flüchtlinge, 1.811 (0,9 Prozent) als Asylberechtigte entsprechend Grundgesetz Artikel 16a eingestuft.

Ergrünter CDU-Genosse
Daniel Günther für „liberalere Haltung“ der Union bei Zuwanderungsfragen
Aber mit diesen Zahlen allein lässt sich die Forderung nach einem Limit von 200.000 schlecht begründen. Es kamen nämlich erheblich mehr als 214.253 Asylbewerber ins Land. Das Statistische Bundesamt geht für 2022 von 1,3 Millionen Zuzügen und 1,0 Million Fortzügen, konkret von einem Saldo von 329.163 aus. Anders ist es nicht zu erklären, dass Deutschland von 2021 auf 2022 von 83,2 auf 84,3 Millionen Bevölkerung wuchs, zumal in den Jahren 2021 und 2022 jeweils rund 200.000 Menschen mehr starben als geboren wurden. 2021 waren es bei je 1,0 Millionen Sterbefälle 795.500 Geburten. Kanzler Scholz geht seit Dezember 2022 gar davon aus, dass Deutschland auf 90 Millionen Wohnbevölkerung wachsen werde.

Zurück zur Zahl 200.000: Die CSU müsste einmal deutlich sagen, wen sie mit den 200.000 meint. Gewiss ist eine Begrenzung der Zuwanderung überfällig, weil dieses Land die Zuzüge der letzten Jahre nicht mehr schultern kann. Der Wohnungsmarkt reicht dafür nicht hin, die Akzeptanz der Mehrheitsbevölkerung nimmt ab, die Aufnahmeeinrichtungen der Kommunen sind am Limit, wie erst kürzlich der Präsident des Städte- und Gemeindebundes Uwe Brandl sagte.

Wie Innenministerin Faeser (SPD) trickst

Die Anzahl der Asylbewerber ist dramatisch nach oben gegangen. Faeser konterkariert währenddessen die Zahlen der Bundespolizei. Konkret: Laut „Migrationsanalyse-Bericht“ des BMI wurden etwa im September 12 701 illegal Eingereiste von der Bundespolizei aufgegriffen. Die Bundespolizei hat dagegen andere Zahlen: 20 000. Diese Diskrepanzen ziehen sich das ganze Jahr 2022 hindurch: Die Bundespolizei hat von Januar bis inklusive September 2022 allein in den vier Direktionen Berlin, München, Pirna und Stuttgart 101 900 illegal eingereiste Ausländer erfasst. Faeser indes spricht nur von 57 647. Das sind rund 43 Prozent weniger, als die Bundespolizei ausweist. Noch gravierender: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zählte seit Jahresbeginn 154 557 Menschen, die einen Asylantrag stellten. Das heißt: Faesers „Migrationsanalyse-Bericht“ weist nur rund 37 Prozent der BAMF-Zahlen aus.

Mit anderen Worten: Faeser legt allen „Zugewanderten“ nahe, rasch ins Landesinnere zu gelangen, denn dort belasten sie nicht Faesers Statistik. Überflüssig zu erwähnen, dass Faeser keinerlei Rückführungen will. Wiewohl etwa Schweden und Dänemark hier restriktiv vorgehen. Dort wird gezielt abgeschoben, und Asylverfahren werden territorial extern geprüft.

Wird sich die CSU innerhalb der Union durchsetzen?

Die CSU wird für ihre restriktive Zuwanderungspolitik jetzt erst einmal eine Mehrheit in der Union schaffen müssen. Nicht wenige, sich besonders progressiv, liberal und grün gebende CDU-Leute stützen hier aktiv oder stillschweigend nämlich die Politik der offenen Tore – vormals einer Kanzlerin Merkel, jetzt der „Ampel“. Schleswig-Holsteins wendiger Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wirbt für eine liberalere Zuwanderungspolitik seitens der Union.

Ende November hatten 19 CDU-Bundestagabgeordnete ihrem Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz die Gefolgschaft verweigert und sich der Stimme enthalten, als Merz die Zuwanderungspolitik und die neuen Regelungen des Staatangehörigkeitsrechts der „Ampel“ zu Fall bringen wollte.

Unter den 19 waren Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet und sein Schützling Serap Güler (beide CDU). In einem Interview mit dem „Spiegel“ mit Blick auf die Silvester-Randale von Berlin treuherzig sagte Güler: „Mein Vater hätte denen die Leviten gelesen.“ Und weiter: Bei den Ausschreitungen in der Silvesternacht gehe es eher um misslungene Sozialisation als um Integration …. Nötig sei eine „Allianz der Anständigen“. Was immer das heißen mag.

Jedenfalls ist all dies Wasser auf die Mühlen einer wieder erstarkten AfD. Die CSU, die im Herbst 2023 schwierige Landtagswahlen vor sich hat, wird das wissen, sonst käme sie jetzt nicht mit der Zahl 200.000.

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