Faktenchecks, Fake News, Desinformation – spätestens mit der Correctiv-Affäre dürfte die Deutungshoheit über diese Begriffe erodiert sein. Zwar ist die Diskussionen nunmehr Jahre alt und hatte bereits ihren ersten Höhepunkt unter Donald Trump erreicht; nicht minder kurios mutet es an, dass ausgerechnet am Wahltag Correctiv-Gründer David Schraven einen amüsanten wie entlarvenden Bock schoss, als er den Wahlsieg von Hillary Clinton verkündete.
Spätestens da war klar: bei Correctiv ist oftmals der Wunsch Vater des Gedankens, und was nicht realiter passiert, kann man zumindest mit Gedanken richten. Oder, indem man die Gedanken anderer, meist missliebiger politischer Gegner insinuiert. Der Leser des legendären „Geheimplans gegen Deutschland“ bekommt deswegen auch so gut wie nie Aussagen zu lesen. Sondern vielmehr die Gedanken der Correctivler, die sich wiederum Gedanken darüber machen, was dieses oder jenes zu bedeuten habe: der Platz der Veranstaltung, die Hintergedanken von Martin Sellner oder die wahren (gedachten) Absichten der Verschwörer.
Müßig, aufzuführen, dass es keinen Geheimplan gab; denn zur Abstimmung stand nichts, gab es auch keine Exekutoren, nicht einmal eine homogene AfD-Elite; und geheim war an einem Privattreffen auch nichts, Sellners Äußerungen schon in Buchform erschienen und die Veranstaltung in einem Hotel, in dem auch andere Gäste anwesend waren.
Ansonsten fiel bei Correctiv in den letzten Tagen auf, dass es sich selbst korrigierte: ob nun beim Begriff „Deportationen“, von denen die stellvertretende Chefredakteurin Anette Dowideit behauptete, man habe den Begriff nie verwendet oder nunmehr bei der erfolgreichen Unterlassungsklage von Staatsrechtler Ulrich Vosgerau. De facto musste Correctiv eingestehen, dass seine Berichterstattung nicht auf Tatsachen, sondern auf Behauptungen fußte. Soweit zu der millionenfachen herbeifantasierten Deportation von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund.
In einem Interview mit der FAZ setzt allerdings Schraven trotz dieses Drucks seinen Feldzug fort. Er kann darauf spekulieren, dass die Massenmedien mittlerweile ihr Interesse an der Geschichte verloren haben – denn sollte sich diese journalistische Seifenblase eben als das entpuppen, was sie ist, wären Medien und Politik gleichsam mitzerplatzt. Da man nicht zurückweichen kann, hilft nur schweigen.
Schraven jedoch, der seine Leser seit Wochen an der Nase herumgeführt hat, nimmt von derselben Methode des diffusen Nebeljournalismus keinen Abstand, wenn er gegenüber der FAZ behauptet: „Das Gericht hat mehrmals gesagt, dass das, was von uns vorgetragen worden ist, die ‚prozessuale Wahrheit‘ ist.“ Dabei hat das Landgericht Hamburg gerade in dem Verfahren ja eben nicht die Kernbehauptungen der Correctiv-Berichterstattung bewertet, weil es darum in der Sache nicht ging.
Carsten Brennecke, der Vosgerau in der Causa anwaltlich vertreten hat, sagt dazu: „Das Einzige, das das Landgericht Hamburg als prozessual wahrheitsgemäß bezeichnet hat, ist ein Zitat Vosgeraus im Bericht. Auf die widerlegte Kernlegende des Berichts bezieht sich diese Passage nicht. Dazu hat das Landgericht gar keine Entscheidung getroffen, weil die manipulativen Wertungen als Meinungsäußerungen nicht Gegenstand des Verfahrens sind.“
Brennecke hängt auch die Pressemitteilung des Gerichts an:
„Alle weiteren Inhalte der Correctiv-Berichterstattung, insbesondere ob, durch wen und in welchem Umfang die in dem Artikel thematisierte „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Aufenthaltsstatus oder die deutsche Staatsbürgerschaft haben, auf der Veranstaltung in Potsdam diskutiert wurde, sind nicht Gegenstand der Entscheidung. Für keinen der äußerungsrechtlichen Angriffe des Antragstellers kam es darauf an.“
Doch um Wahrheit, um Fakten geht es nicht. Das, was geschehen ist, ist ein fait accompli. Aus der Tatsachenbehauptung wurde eine vollendete Tatsache. Hunderttausende sind auf die Straße gegangen und Medien und Politik konnten beschwingt und rücksichtslos gegen die Opposition hetzen. Die Jagd war eröffnet wie einst bei den Ungeimpften in Corona-Zeiten. Unmenschen muss man eben verunmenschlichen. Der Kanzler selbst fügte der Gruselgeschichte höchstselbst Erzählungen hinzu, die sich in verschiedenen Facetten immer wieder fanden, und in die Köpfe der Menschen drangen:
„Familien, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten hier leben. Unsere Nachbarinnen und Nachbarn, Arbeitskolleginnen und Schulfreunde, Frauen und Männer, die in unseren Krankenhäusern und Pflegeheimen arbeiten, denen das Restaurant oder die Bäckerei an der Ecke gehört, die an unseren Schulen unterrichten und unseren Universitäten forschen. Bei diesem Gedanken läuft es einem eiskalt den Rücken runter.“
Olaf Scholz hat damit nicht nur ein Narrativ gesponnen. Er hat plastischen Bezug auf Bilder im Kulturgedächtnis genommen. Ob fiktive Filmszenen wie „Schindlers Liste“ oder nicht-fiktive Berichterstattungen über die Gräuel der Nationalsozialisten. Er fügte hinzu:
„Und ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl den mehr als 20 Millionen Bürgern geht, die eine Migrationsgeschichte haben. Sie wissen: Diese Rechtsextremisten meinen uns. Wir wären von diesem teuflischen Pakt direkt betroffen. Manche von ihnen fragen sich, ob sie hier in Deutschland noch eine Zukunft haben. Das ist fürchterlich.“
Hier zeigt sich der eigentliche Adressat der Correctiv-Inszenierung für Journal, Politik und Bühne. Die Erzählung zielte auf potenzielle Wähler der AfD – vornehmlich unter solchen mit Migrationshintergrund. Der türkische Taxifahrer oder der arabische Frisör, die am selben Stammtisch wie mancher Funktionär der Alternativen rumpeln konnten, und ihr Kreuz bei den Wahlen an der falschen Stelle machen könnten, sind die Zielgruppe einer Aktion, die nebenbei die Union eingehegt und die Linksradikalen mobilisiert hat.
In 2023 mehrten sich zunehmend Artikel wie dieser in der FAZ, die oftmals zwischen Verwunderung und faszinierter Unverständnis der jeweiligen Journalisten changierend, konstatierten, dass sich zunehmend Menschen mit Migrationshintergrund, auch muslimischem, für die Wahl der AfD aussprachen:
„Den etablierten Parteien vertraut er nicht mehr, er will die AfD wählen, sagt ein Mann. Er läuft vor wenigen Wochen an einer SPD-Veranstaltung in Frankfurt vorbei. Wer Wahlkämpfer begleitet, sieht das seit Jahren: Für die AfD stimmen zu wollen wird den Parteien der Mitte als Drohung entgegen geschleudert. Gefragt, warum er für die Partei stimmen wolle, sagt er: „Weil die hier mal aufräumen“.
Ihn stören Zuwanderung und Kriminalität, die aus seiner Sicht beide zu hoch sind. Dass der Mann sich selbst als „Araber“ bezeichnet, der vor Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sei, ist das Ungewöhnliche.“
„Muslimische Einwanderer neigen zunehmend zu rechtem Wahlverhalten. Das rot-grüne Buhlen um die Gunst ihrer liebsten „unterdrückten Minderheit“ erweist sich als unerwiderte Liebe. Deutschlands Muslime brauchen ein konservatives Angebot – unter Wahrung roter Linien.“, berichtete der Cicero.
Am 24.01.24 – also inmitten der explodierenden Aufregung um das angebliche Geheimtreffen in Potsdam – berichtet der Focus: „Es klingt paradox, aber auch das gehört zur politischen Realität in Deutschland: Migranten, die schon vor vielen Jahren in die Bundesrepublik gekommen sind und sich hier eine erfolgreiche Existenz aufgebaut haben, wählen die AfD. Hauptgrund: Sie sind hochgradig unzufrieden mit der Ampelregierung, vor allem mit deren Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik. Diese Unzufriedenheit ist bei einem Teil der hier lebenden Menschen mit ausländischen Wurzeln offenbar größer als die Furcht vor der AfD.“
Bei Potsdam ging es mitunter auch darum, gezielt eine potenzielle Wählerschicht der AfD zu demobilisieren. Der Deutsche mit Migrationshintergrund hat sich auch vorher nicht sonderlich für Alice Weidel erwärmt. Ob er nun verunsichert oder permanent abgeschreckt wurde, wird sich bei den nächsten Wahlen zeigen. Stimmen gewinnen die Ampelparteien damit freilich nicht zurück. Wie bereits vor Potsdam prognostiziert, deckt sich der Schwund der AfD in den Umfragen ziemlich exakt mit dem Zuwachs Bündnis Sahra Wagenknecht.
In der deutschen Mehrheitsbevölkerung wird massiv unterschätzt, wie stark die Abwehrgefühle gegen die Grünen in dieser Gruppe sind; und wie sehr auch die über Jahre mühsam aufgestiegenen Familienväter und -mütter sehen, wie plötzlich fremde Menschen kommen, und gratis das erhalten, was sie sich selbst unter großem Fleiß jahrzehntelang erarbeiten mussten. Ebenfalls wird deutlich unterschätzt oder verdrängt, wie groß die Unzufriedenheit und Verunsicherung auch unter Zugewanderten angewachsen ist. Prekäre Stadtteile waren mit die ersten und sind weiterhin vorne dabei, wenn es darum geht, dass eine ohnehin angespannte Lage mit noch mehr Geflüchteten strapaziert wird. Wer irgendwie kann, zieht so schnell wie möglich weg.
Seitdem auch die Kinder von Zugewanderten häufiger Opfer von teils schweren und mitunter auch tödlichen Angriffen werden wie in Illerkirchberg, beschleunigt sich die Abkehr von Zuwandern und bis dahin sehr gut Integrierten. Ein Verbrechen wie das von Illerkirchberg verbreitet sich kommunikativ sehr stark in Zuwandererkreisen, und die Bewertung unterscheidet sich dort maßgeblich von der politmedialen.
Wie tief die Verunsicherung nach Potsdam, dem Trommelfeuer von Politik und Medien also tatsächlich geht, wird man in den nächsten Monaten sehen. Da die unkontrollierte Zuwanderung in großem Umfang weiter geht, bleiben die Probleme vor der Haustüre und im realen Leben bestehen, werden nicht gelöst und verschärfen sich mit jedem Tag, der vergeht, weiter.