Beim Integrationsgipfel am 2. März 2020 in Berlin betritt Angela Merkel den Saal, geht ganz selbstverständlich zu ihrem Innenminister Horst Seehofer und reicht ihm die Hand. Er lehnt ab, mit Verweis auf Corona. Der Saal lacht, Merkel hebt belustigt die Arme – die Medien spekulieren, ob das Ausdruck einer neuen Krise zwischen den beiden Politikern ist.
Es ist die Zeit, als Angela Merkel noch salopp ankündigt, dass sich ja ohnehin ein Großteil der Deutschen infizieren wird, Söder warnt vor den ökonomischen Folgen der Krise, das RKI schätzt die Gefahr des Corona-Virus als „mäßig“ ein. Eine Maskenpflicht wird abgelehnt. Zuvor sagte Christian Drosten: „Nach all den Daten, die ich kenne, bin ich überzeugt davon, dass dieses Virus den Einzelbürger nicht so stark befassen muss wie zum Beispiel das Sars-Virus.“
9. März: Unter dem Eindruck der Bilder der Lage in Bergamo erklärt Italien das ganze Land zur Sperrzone.
11. März: Die WHO ruft Corona zur Pandemie aus.
13. März: Zahlreiche Europäische Staaten riegeln sich ab. US-Präsident Donald Trump ruft den nationalen Notstand aus und verhängt strikte Einreisebeschränkungen. Nach Deutschland wird man dagegen noch wochenlang unter anderem aus dem Iran einreisen können.
22. März: Nun tritt schließlich auch in Deutschland der erste Lockdown in Kraft, Merkel spricht von der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch dieser Lockdown kommt so gesehen zu spät: Nur wenige Tage nach dem Inkrafttreten beginnen die Infektionszahlen zu sinken, zu einem Zeitpunkt, als die Maßnahmen noch kaum Wirkung haben konnten. Deutschland kommt im europäischen Vergleich sehr gut weg, die späten Maßnahmen der Bundesregierung können kaum die Ursache sein. Dennoch schießt die CDU in Umfragen durch die Decke, Merkel scheint so beliebt wie nie zuvor. Die anscheinend kühle Lenkerin in der Krise, Mutti ist wieder da.
27. April: In allen deutschen Bundesländern gilt eine Maskenpflicht. Es beginnen Lockerungen.
Der ruhige Sommer und die Vorboten der nächsten Panik-Welle
Im Sommer wird langsam wieder gelockert, es beginnt die Aufarbeitung. Erste Studien stellen die Wirksamkeit des Lockdowns infrage, insgesamt fordert die erste Welle in Deutschland nicht mehr Todesopfer als eine herkömmliche Grippewelle, es gibt sogar eine Untersterblichkeit. Spahn sagt am 02. September: „Man würde mit dem Wissen von heute, das kann ich ihnen sagen, keine Friseure mehr schließen und keinen Einzelhandel mehr schließen. Das wird nicht noch einmal passieren. Wir werden nicht noch einmal Besuchsverbote in den Pflegeeinrichtungen brauchen. Wir haben doch etwas dazugelernt in den letzten Monaten, wie wir uns schützen können, ohne dass es diese Maßnahmen braucht.“
Vor allem wird eines über die Statistik der Neuinfektionen klar: Wie unsinnig sie ist. Deutschland testet im internationalen Vergleich sehr wenig, eine Studie der Universität München stellt eine Dunkelziffer von bis zu 75 Prozent für die erste Welle fest. Das heißt auch für die Zukunft: Wenn man mehr testet, wird man auch mehr Fälle finden. Damit ist die Inzidenz in der Hand der Politik.
Der Intensivbettenschwund
In diesem friedlichen Sommer werden allerdings bereits die Weichen gestellt. Und zwar bei den Intensivbetten, genauer: deren theoretischer Anzahl. Am 1. August hatte man den Personalschlüssel in der Intensivpflege wieder eingeführt, das heißt, dass Intensivbetten, für die nicht ein bestimmtes Mindestmaß an Pflegern zur Verfügung steht, „vom Netz gehen“ müssen. Zuvor hatte man diesen Schlüssel pauschal ausgeschaltet, um die allgemeine Überlastung des Gesundheitssystems durch Corona zu verhindern. Allerdings hat auch der wieder gültige Schlüssel eine entscheidende Einschränkung: Sobald das System überlastet ist, gilt er nicht mehr. Bedeutet: Solange ohnehin genug Pfleger und ausreichend wenig Patienten da sind, hat man eine theoretische Belastungsgrenze, sobald diese erreicht wird, gilt sie aber nicht mehr. In der Realität verändert diese Maßnahme also nichts, nur die Statistik eben. Nach dem 1. August fällt die Zahl der beim DIVI-Intensivregister gemeldeten, betreibaren Intensivbetten quasi über Nacht.
Nach langem Vorlauf tritt dann am 19. November ein neues Krankenhausfinanzierungsgesetz in Kraft, bei dem allerdings nur noch solche Krankenhäuser, deren Intensivstationen zu mehr als 75 Prozent ausgelastet sind, eine „Entschädigung“ bekommen. Wir wissen heute: Es begann damit eine massive Betrugwelle, die Krankenhäuser manipulierten ihre Kapazitäten nach unten.
Diese beiden Entwicklungen führten wohlgemerkt nicht zu einer faktischen Veränderung auf den Intensivstationen, sondern nur zu einer enormen Veränderung der Statistiken. Am 1. August hatte Deutschland eine 7-Tage-Inzidenz von sechs – am 24. Dezember, dem Höhepunkt der „zweiten Welle“, eine Inzidenz von 212. Im gleichen Zeitraum fiel die Zahl der insgesamt belegten Intensivbetten von 19.849 auf 19.745. Das heißt: Trotz enormer Infektionsraten stieg die Gesamtbelegung der Intensivstationen in Deutschland nicht an.
Wie ist das möglich? Die Gesamtbelegung hatte sich nicht verändert, später wird der Bundesrechnungshof feststellen, dass für das gesamte Jahr 2020 eine Unterbelegung stattgefunden hat. Vom August hat sich die Zahl der freien, verfügbaren Intensivbetten von 10.318 bis zum 24. Dezember auf 4.060 mehr als halbiert – und zwar allein deshalb, weil die Zahl der insgesamt gemeldeten Intensivbetten um ca. 6.000 Betten gesunken ist. Heute wissen wir, dass dieser Effekt im Wesentlichen aus den beiden genannten Prozessen resultierte. Beides sind aber Vorgänge, die nur auf dem Papier etwas verändern, weder wurden es dadurch weniger Betten noch weniger Pfleger. Dennoch stellt es die für die weitere Politik entscheidende Statistik quasi auf den Kopf.
28. Oktober: Angela Merkel verkündet den nächsten Lockdown mit den Worten: „Wenn es bei diesem hohen Tempo bleibt, dann kommen wir binnen Wochen an die Grenzen der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems“ Deshalb sei vollkommen klar: „Wir müssen handeln, und zwar jetzt! Wir müssen handeln, um eine akute nationale Gesundheitsnotlage zu vermeiden. Und dafür müssen wir Maßnahmen ergreifen.“ Eben erst habe die DIVI auf die sich zuspitzende Situation hingewiesen. Diese Lockdown sei allerdings auf den November „terminiert“, damit man dann an Weihnachten wieder beisammen sein könnte.
7. Dezember: Die „Gesellschaft für Aerosolforschung“ wendet sich in einem wenig beachteten Papier an die Öffentlichkeit. Aerosole, das sei wissenschaftlich belegt, seien der Hauptübertragungsweg des Corona-Virus. Daraus folgen wesentliche, bis heute politisch kaum registrierte Erkenntnisse: Infektionen im Außenbereich gibt es quasi nicht, Infektionen im Innenbereich kann man durch Luftzirkulation und Filteranlagen verhindern. Das beste Beispiel: das nahezu Infektionsfreie Flugzeug mit Druckkabine, in dem mehr als 180 Menschen risikoarm auf engstem Raum beieinander sitzen können.
8. Dezember: Die Leopoldina fordert Schulschließungen, die Krankenhäuser seien „bereits jetzt an der Grenze des Leistbaren“.
16. Dezember: Der „verschärfte“ Lockdown tritt in Kraft, Schulen und Einzelhandel werden geschlossen. Kurze Zeit später beginnen die Zahlen zu sinken, durch nicht vorhandene verlässliche Daten über Weihnachten ist unklar, wann genau.
Tatsächlich starben in dieser zweiten Welle deutlich über 40.000 Menschen an oder mit Corona, etwas mehr als bei den besonderen harten Grippe-Wellen in den Vorjahren. Bereits im November wies TE daraufhin: Es explodierten schlichtweg die Infektionen in den Hochrisikoaltersgruppen, die weitaus öfter infiziert waren als der Rest der Bevölkerung. In diesem Zeitraum kamen – von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich – bis zu 89 Prozent der Corona-Toten aus den Altersheimen. Dennoch schloss die Regierung Restaurants, Schulen, Clubs und den Einzelhandel, während man die personell völlig überlasteten Altersheime im Stich ließ, sich nicht um Schnelltestkonzepte und Anderes kümmerte.
11. Januar 2021: Wie wir heute wissen, vermutete das RKI hier gegenüber dem Gesundheitsministerium, „dass Krankenhäuser zum Teil weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze meldeten, als tatsächlich vorhanden waren“. Die Intensivstatistiken seien „nicht mehr für eine Bewertung der Situation geeignet“. Politisch geht es dennoch einfach weiter.
Der doppelte Turn-Around
1. Februar 2021: Die Infektionszahlen erreichen das Vor-Lockdown-Nivea. Lockern will man nicht, es komme schließlich die „britische Mutante“, von der sich später herausstellen wird, dass sie nicht tödlicher ist als der Ursprungstyp. Als die Infektionszahlen Anfang Februar wieder steigen, bleiben Todeszahlen auf niedrigem Niveau nahezu konstant. Dennoch verhängt man den nächsten Lockdown – man hatte den letzten nie wirklich aufgehoben.
16. März: Merkel sagt „Die Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen!“. Es beginnt die Diskussion über eine sogenannte Osterruhe, den Total-Lockdown, inklusive Schließung der Supermärkte.
24. März: Nachdem die Pläne der „Osterruhe“ öffentlich wurden, schmiert die Union in der Gunst der Wähler ab. Merkel muss den Plan zurücknehmen und entschuldigt sich öffentlich, sie sagt: „Um auch ein Zweites klipp und klar zu sagen: Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler; denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung – qua Amt ist das so – also auch für die am Montag getroffene Entscheidung zur sogenannten Osterruhe.“
21. April: Der Bundestag beschließt auf Drängen von Merkel die sogenannte Bundesnotbremse, den Einheitslockdown inklusive Ausgangssperren, die nach neustem wissenschaftlichen Stand kaum Wirkung haben, möglicherweise sogar kontraproduktiv sind.
Die Welle sinkt ab, sie wird deutlich weniger Tote fordern als eine herkömmliche Grippe-Welle. Alle Prognosen des RKI, nach denen diese Welle die schlimmste werden sollte, erweisen sich als falsch. Doch das ist kein Anlass zur politischen Einsicht.
9. Juni: Merkel sagt: „Sinkende Infektionsraten zeigen, wie sehr unsere Maßnahmen wirken“. Kurz vorher hatten Münchener Statistiker gezeigt, dass keiner der Lockdowns das Infektionsgeschehen substanziell verändern konnte.
Schweden ging einen anderen Weg, ohne Lockdown, genau wie viele US-Bundesstaaten – ohne dass die Totenzahlen dort überproportional hoch waren und sind. Die deutsche Politik hingegen fällt in allen Kategorien durch: Sie opferte viel und gewann wenig, sie war radikal, allerdings immer zu spät, sie ordnete der Gesundheit alles unter, ohne die Gesundheit effektiv zu schützen. Es ist eine Chronik der Irrtümer. Irrtümer, die man lange mit Unwissen entschuldigen konnte. Doch seit Monaten weiß man es eigentlich besser, man kann es jedenfalls wissen, wenn man es wissen will. Es ist nicht mehr nur der permanente Irrtum, der die Regierungspolitik zeichnete. Es sind Panik, Ignoranz, Arroganz und der Rausch der Macht, die dieses Land über ein Jahr ins Verderben ritten. Die Zeche zahlen die Bürger in den nächsten Jahren.