Tichys Einblick
Corona-Update 12. Juli 2021

Großbritannien zeigt, wie übertrieben Söders Delta-Alarmismus ist

Die Zahlen aus dem Vereinigten Königreich sind eindeutig: Inzidenz 322 – bei weniger als 30 Toten am Tag. Die Gefahr der Delta-Variante wird, wie die "britische Variante" zuvor, deutlich überschätzt. CSU-Chef Söder will dennoch seine parteipolitischen Manöver zulasten des Landes fahren.

IMAGO / Sven Simon

Im Vereinigten Königreich gehen über 98 Prozent der Corona-Neuinfektionen auf die Delta-Variante zurück, die Inzidenz liegt bei 322 – höher als sie in Deutschland jemals war. Aber die Regierung von Boris Johnson will dennoch die Corona-Politik lockern. Für Deutschlands politische Führung ist das vollkommen unvorstellbar.

Ein genauerer Blick auf die Lage zeigt aber, dass Johnson richtig liegt: Obwohl diese „Delta-Welle“ in Großbritannien seit mindestens anderthalb Monaten „wütet“, liegt der Siebentagesschnitt der Corona-Toten am Sonntag bei 29. Wohlgemerkt nicht relativ, sondern absolut, 29 Tote auf über 60 Millionen Einwohner. In Deutschland lag der Wert am Samstag ebenfalls bei 29 – ohne Delta-Welle. Auch die Hospitalisierungen steigen in Großbritannien kaum an. Es tritt das ein, was logisch ist und zahlreiche Medien u.a. TE schon seit Monaten schreiben: Das Virus wird mit jeder neuen Variante aller Wahrscheinlichkeit nach eher harmloser. Die Fallsterblichkeit in Delta-Britannien ist jedenfalls auf einem Rekordtief, den Daten von Public Health England zufolge ist Delta nicht einmal 20 Prozent so tödlich wie die Vorgängervarianten.

Unbeachteter Effekt
Ist die "gefährliche Mutante" nur eine Erfindung der Politik?
Angesichts dieser Entwicklungen gibt es keine Grundlage mehr, irgendetwas einzuschränken. Diese Todeszahlen sind weit unter dem, was selbst eine Grippe verursachen würde – die letzte Corona-Welle in Deutschland verursachte bereits insgesamt weniger Tote als mehrere Grippewellen der letzten Jahre. Diese offensichtliche Diskrepanz zwischen Inzidenz und tatsächlicher Gefahr für die Bevölkerung, kann auch in Deutschland nicht mehr völlig verleugnet werden. Wie die Bild-Zeitung berichtet, will das RKI die Inzidenz nun nicht mehr als alleiniges Kriterium verwenden. Ähnlich äußerte sich zuvor Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Einer aber spielt weiter eisern im von ihm selbst gegründeten „Team Vorsicht“: Bayern Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder. Er sagte jüngst beim Besuch eines Impfzentrums: „Wir sind im Wettlauf mit der Zeit – mit der Delta-Variante“. Und dann den denkwürdigen Satz: „Vollständige, unbeschwerte Freiheit gibt es nur mit Impfen. Ohne Impfen keine Freiheit – jedenfalls nicht so in der Form, wie wir es uns vorstellen.“

Wie ist das noch zu begründen? Wenn jeder ein Impfangebot erhalten hat, sind doch alle, die so geschützt werden wollen, geschützt? Angesichts einer Inzidenz von 7 aktuell in Deutschland, ist Söders Aussage mehr als eine Unverschämtheit.

Aber anscheinend hat Markus Söder Gefallen am Durchregieren gefunden. Nach seiner Niederlage gegen Armin Laschet ist Corona auch vorerst der einzige Weg, sich wieder in den bundespolitischen Vordergrund zu drängen. Laschet liegt gerade gut im Wind und ist schon auf der Zielgeraden ins Kanzleramt. Nur eines könnte ihm das noch vermiesen: Wenn die Achse Söder-Merkel angesichts einer zu erwartenden Delta-Welle, die in Deutschland ungefähr so wenig gefährlich sein wird wie in Großbritannien, einen neuen Lockdown erlässt. Dann wird Laschet schwer gegen seine eigene, regierende Partei Wahlkampf machen können. Söder scheint fest entschlossen, diese wahlstrategischen Tricks auf dem Rücken des Landes auszufechten – Kollateralschaden egal.

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