„Shangri-La, Shangri-La — so heißt die Insel. Dort sind die Menschen so glücklich und frei. Shangri-La, Shangri-La — mein grünes Traumland. Ich weiß, das wäre ein Platz für uns zwei.“ (Costa Cordalis, 1975)
Prolog
Nichts wird mehr so sein, wie es war. Das ist die Parole der Stunde. Ach was, des Jahres. Des Jahrzehnts. Des Jahrhunderts. Wobei, halt: Gab es die Parole nach dem 11. September 2001 nicht schon mal? Gut, zumindest in diesem Jahrhundert ist sie also nicht einzigartig.
Möglicherweise, nur vielleicht, ist sie auch leicht übertrieben. Schon nach 9/11 änderten sich langfristig vor allem die Sicherheitskontrollen an Flughäfen. Das restliche Leben, wenn man es nüchtern sieht, blieb langfristig dann doch relativ gleich. Das könnte jetzt wieder so sein.
Aber unabhängig von deren Dauer, erzeugt das Corona-Virus (wie damals die Anschläge von New York auch) jedenfalls drei Arten von langfristigen Änderungen: sichere, mögliche – und erträumte.
Sichere Änderungen gibt es in der Arbeitswelt. Das Homeoffice wird keine vorübergehende Erscheinung bleiben, für diese Prognose muss man kein mutiger Prophet sein. Neben der reduzierten Ansteckungsgefahr hat die Arbeit am heimischen Schreib-, Ess- oder Gartentisch für viele Unternehmen viele Vorteile.
Als erster Konzern von Weltgeltung stellt es der Kurznachrichtendienst Twitter den meisten seiner Mitarbeiter jetzt frei, ob sie nach der Krise wieder ins Büro kommen. Homeoffice soll uneingeschränkt möglich bleiben.
Mögliche Änderungen gibt es in so einigen Wirtschaftsbranchen. Fluggesellschaften antworten Passagieren, die nach der Abflugzeit fragen, derzeit mit: „Wann würde es Ihnen denn passen?“ Wie die Luftfahrtindustrie künftig aussehen könnte, weiß derzeit noch niemand.
Dasselbe gilt für den Tourismus. Das internationale Reisegeschäft wird 2020 gegenüber dem Vorjahr wohl um bis zu 80% einbrechen. Dadurch sind weltweit mindestens 100 Millionen Arbeitsplätze bedroht – die weitaus meisten davon in Regionen, für die der Tourismus nicht selten die einzige relevante Einkommensquelle ist.
Und dann sind da die erträumten Änderungen.
Der globale Markt als Hassobjekt
„Die turbobeschleunigte Globalisierung hat ausgedient. Sie ist nicht mehr krisenfest und nicht mehr zukunftsfähig, wenn sie es denn überhaupt je war.“
Das sagt Svenja Flaßpöhler. Sie ist studierte Philosophin (wie der Autor, der die Leser an dieser Stelle für seine Kollegin um Entschuldigung bitten möchte). Außerdem ist sie eine Art exklusives It-Girl der linken Schickeria.
Ihr Wunsch, den sie als Botschaft verkauft, ist: Alles wird anders, es kommt die De-Globalisierung.
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„Deswegen müssen wir umdenken und können nicht einfach zur Normalität der Globalisierung zurückkehren.“
Das sagt Gerd Müller. Er ist studierter Politologe und Mitglied der CSU (kein Schreibfehler). Außerdem wird er seit 1989 (also mittlerweile seit 31 Jahren) von allen deutschen Steuerbürgern als Abgeordneter und inzwischen auch als Entwicklungshilfeminister dafür bezahlt, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen und dessen Nutzen zu mehren.
Sein Wunsch, den er als Botschaft verkauft, ist: Alles wird anders, es kommt die De-Globalisierung.
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„Dass es sich bei der Corona-Krise um einen weiteren Nagel im Sarg der ökonomischen Globalisierung handelt, (…) steht hingegen fest.“
Das sagt Jan Moldenhauer. Er ist studierter Ökonom und Mitglied der AfD. Außerdem wird er von allen Steuerbürgern in Sachsen-Anhalt als Referent der Landtagsfraktion seiner Partei bezahlt. Da scheint er recht viel Freizeit zu haben, jedenfalls arbeitet er nebenbei im Vorstand von gleich zwei politischen Stiftungen mit.
Sein Wunsch, den er als Botschaft verkauft, ist: Alles wird anders, es kommt die De-Globalisierung.
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„Die solidarische Gesellschaft sollte der Grundstein der kommenden Normalität werden.“
Das sagt Marina Weisband. Sie ist studierte Psychologin. Außerdem war sie Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei (die Älteren werden sich erinnern). Das war sie allerdings noch nicht mal ein ganzes Jahr lang und in der Zeit anerkannt erfolglos. Seitdem engagiert sie sich (Überraschung) bei den Grünen. Die Diskussionsbeiträge der wendigen Frau Weisband, genau wie ihre Parteiwechsel, lohnen sich fast immer – jedenfalls für sie.
Ihr Wunsch, den sie als Botschaft verkauft, ist: Alles wird anders, es kommt das Ende der Marktwirtschaft.
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„Der WWF schlägt vor, mindestens die Hälfte aller Corona-Konjunkturhilfen in umweltpolitisch sinnvolle Bereiche zu stecken.“
Das sagt Dirk Steffens. Er ist studierter Politologe. Außerdem ist er führender Aktivist beim World Wildlife Fund (WWF). Das kann man relativ bequem machen, wenn man seit zwölf Jahren von allen deutschen Haushalten via TV-Zwangsgebühr dafür bezahlt wird, dass man in der ZDF-Sendung „Terra X“ das Publikum darüber belehrt, wie die Menschen die Erde zerstören.
Nun ist es so, dass Autohändler und Warenhausverkäufer derzeit eher an Vereinsamung sterben als am Klima. Galeria-Kaufhof wird demnächst wohl die Hälfte seiner Filialen schließen und 5.000 Beschäftigte entlassen. Steffens dagegen sieht in der weltweiten Corona-Wirtschaftskrise eine einmalige Chance – für den Umweltschutz.
Sein Wunsch, den er als Botschaft verkauft, ist: Alles wird anders, es kommt die Herrschaft der Ökologie.
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Eine neue Welt wird geradezu herbeigefleht – maßgeblich von denen, die mit der alten Welt schon immer gefremdelt haben. Jetzt scheint die Pandemie endlich die Chance zu eröffnen, vor allem Globalisierung und Marktwirtschaft (von deren Verächtern angewidert als „Kapitalismus“ geschmäht) loszuwerden.
Stalin hätte dem Virus wohl den Ehrentitel „Held der Sowjetunion“ verliehen: für besondere Verdienste um die antikapitalistische Moral. Kaum etwas seit dem vergangenen Jahrhundert hat marktwirtschaftsfeindliche Träumer so motiviert wie COVID-19.
Was ist es nun, das die Feinde des globalen Marktes – um Begriffe aus der alten politischen Geografie zu bemühen: von ganz rechts bis ganz links – antreibt?
Der globale Markt als Zumutung
Veranstaltungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zeichnen sich regelmäßig durch besonders technische Titel in besonders blutleerem Bürokratendeutsch aus.
Und so ließ die DGAP in einer Podiums-, oder besser: Videodiskussion vor wenigen Tagen vier Experten das Thema „Die neuen Herausforderungen der Globalisierung nach der Corona-Krise“ erörtern.
Zwar wurde es leider nicht angesprochen, aber allein die Form dieser Veranstaltung war selbst schon ein handfestes Beispiel für solche Herausforderungen. Die Online-Debatte nutzte die technische Plattform der Firma „Zoom Video“. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber: Zoom ist inzwischen mehr wert als E.ON, die Deutsche Bank und die Lufthansa zusammen (in Marktkapitalisierung).
Die Globalisierung bringt neue Industrien an die Spitze – und alte an den Rand des Ruins (oder lässt sie ganz verschwinden). Das ist keine neue Entwicklung, die Pandemie beschleunigt sie nur im Moment.
Das ist aber kein Grund zur Klage. Denn es ist ja genau dieses Prinzip der Disruption, das die produktiven Potenziale der Menschen freisetzt. Wachsender Wohlstand hängt vom Fortschritt ab, und Fortschritt bedeutet: schöpferische Zerstörung.
Die wichtigste Erkenntnis der DGAP-Diskussion war denn auch, dass der Globalisierung Schwächen unterstellt werden, die in Wahrheit ihre Stärken sind.
Dass weltweit auf unterschiedlichste Weise versucht wird, mit der Virus-Krise umzugehen: Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke des globalen Markts. Wettbewerb bringt überall und immer für jedes Problem die beste Lösung (das gilt übrigens nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch).
Wenn die Müller-Maßmanufaktur statt Hemden jetzt Schutzmasken herstellt, VW statt Autos jetzt Beatmungsgeräte baut und L’Oréal statt Shampoo jetzt Desinfektionsmittel produziert, dann ist das kein Zeichen von globalisierungsfremder „Solidarität“ – im Gegenteil:
„Wenn Menschen oder Firmen das tun und produzieren, was gerade gebraucht wird, statt das herzustellen, was ein zentraler Plan ihnen sagt, handelt es sich um klassische und funktionierende Marktwirtschaft.“ (Roger Letsch)
Dass die Weitsichtigen besser dastehen als die Kurzsichtigen: Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke des globalen Markts. Disziplinierte Vorsorge ist ein Konzept des Realismus, das bis vor kurzem als antiquierter Pessimismus galt. Dann kam das Virus.
Jetzt zeigt sich: Für mögliche künftige Durststrecken vorzubeugen, ist nicht alt, sondern erwachsen. Es ist nicht unzumutbar für Selbstständige und Unternehmen, für zwei oder drei Monate Rücklagen zu bilden: Es ist nötig.
Vorsorge und Sparsamkeit, die zwei vor allem bei hauptstädtischen Medienschaffenden so verhassten bürgerlichen Werte, erweisen sich jetzt in der Krise als das, was sie immer schon waren: als Basis jedes nachhaltigen Wirtschaftens. Eigenverantwortung ist die Grundlage für eigene Freiheit. Wer sich auf den Staat verlässt, ist auch von ihm abhängig.
Dass die Guten mehr bekommen als die weniger Guten: Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke des globalen Markts. Der Wettbewerb erzeugt Fleiß und Leistung, weil er Fleiß und Leistung belohnt.
Die Entkopplung von Leistung und Verdienst – Stichwort: Grundeinkommen – ist deshalb ein prinzipieller Irrweg. Die „Generation Hätschelbürger“ (Milosz Matuschek) hat Umverteilung als Programm. Die Folgen sind weder Gerechtigkeit noch ein besseres Leben, sondern Mittelmaß und Wohlstandsverlust – und zwar für alle.
Das ist ein Kernelement der Sehnsucht nach De-Globalisierung:
- Diejenigen, die jetzt dauernd davon reden, nichts werde mehr so sein wie bisher …
- Diejenigen, die sich geradezu hysterisch wünschen, die Welt nach dem Virus möge eine ganz andere sein als vorher …
- Diejenigen, die Covid-19 heimlich oder auch ganz offen für eine willkommene neue Waffe gegen die Globalisierung halten …
… das sind überwiegend solche, die von der Arbeit anderer Leute leben.
Die Legende vom globalen Marktversagen
Eine Sache verteidigen, heißt nicht, blind für ihre Schwächen zu sein.
Nein, Marktwirtschaft und Globalisierung sind beileibe nicht makellos. Aber es sind – anders, als die Kapitalismuskritiker uns glauben machen wollen – nicht vor allem systematische Fehler, die Probleme machen: Vor allem anderen sind es die externen Einflüsse einer fehlgeleiteten Politik.
Nicht Marx, Engels und Lenin haben recht – sondern Hayek, Schumpeter und Erhard.
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„Kolossales Marktversagen.“
Das diagnostiziert Noah Chomsky. Er ist emeritierter Professor für Linguistik. Außerdem ist er für Feinde der Marktwirtschaft ungefähr das, was der Dalai Lama für Buddhisten ist: also eine gottähnliche Lichtfigur, deren Lehren von echten Gläubigen nicht hinterfragt werden.
Sein Wunsch, den er als Botschaft verkauft: Konzerne seien „private Tyranneien“, und die Corona-Wirtschaftskrise zeige das Versagen von Marktwirtschaft und Globalisierung.
Das klingt knackig, eingängig und lässt sich in Streitgesprächen prima zitieren. Problem dabei: Es ist von vorne bis hinten falsch.
Der globale Markt hat, erstens, die Pandemie nicht verursacht (eher schon ein sehr lokaler „wet market“ im chinesischen Wuhan, aber das werden wir wohl nie so genau erfahren).
Zweitens: Wir erleben keine Wirtschaftskrise, sondern eine weltweite Gesundheitskrise, in deren Folge die Politik die Wirtschaft weitgehend stillgelegt hat. „Ob das in diesem Ausmaß wirklich notwendig war, werden wir erst später einmal wissen. Dass jetzt aber Kapitalismuskritiker und Globalisierungsgegner triumphieren, grenzt an Irrsinn.“ (Martin Rhonheimer)
Drittens: Die Krise zeigt nicht die Schwäche der Wirtschaft. Im Gegenteil – die unfassbar teuren staatlichen Unterstützungsprogramme überall gibt es überhaupt nur dank des ungeheuren Wertschöpfungspotenzials des globalen Marktes.
Dass es trotz Corona überhaupt Hoffnung auf wirtschaftliche Gesundung gibt, liegt allein am globalen Markt – nicht an dessen Versagen, und schon gar nicht an der Politik.
„Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt.“ (Günter Rexrodt, Gott hab‘ ihn selig)
Der globale Markt als Anti-Nation
„Wir müssen die Einheit der Europäischen Union für den Wiederaufbau sichern.“
Das sagt Claudia Schmucker. Sie ist studierte Wirtschaftswissenschaftlerin. Außerdem leitet sie das Programm „Globalisierung und Weltwirtschaft“ bei der DGAP.
Ihr Wunsch, den sie als Botschaft verkauft, ist: Der internationale Handel ist ein Instrument zur Erreichung einer internationalen Gemeinschaft.
Auch dieses Problem ist älter und hat mit Corona nichts zu tun: Der globale Markt wird verwechselt mit einer globalen Politik. Entsprechend wird (unnützerweise) im Namen des globalen Marktes nationale Souveränität aufgeweicht – und mit ihr Bürgerrechte und Demokratie: Denn die hängen untrennbar am Nationalstaat.
In der Folge dieser Verwechslung sind – als politische Trittbrettfahrer der ökonomischen Globalisierung – impotente, abgehobene und teilweise schlicht korrupte internationale Organisationen entstanden: UN, IOM, WHO, WTO, …
Prominentes Beispiel auf dem alten Kontinent ist die EU – jener Club, der erst kürzlich eine internationale Corona-Spendenkonferenz so ausrichtete, als sei es der Eurovision Song Contest („Germany: 525 million euros“).
Die Europäische Union stellt sich Wissenschaft offenbar als zentralistische, planbare Veranstaltung vor, in die man vorne Geld reinsteckt – und hinten kommt dann ein Impfstoff raus. Und je mehr man vorne reinsteckt, desto schneller kommt hinten was raus.
Das ist in Etwa so sinnvoll wie die Ansicht: Wenn eine Frau neun Monate braucht, um ein Kind zur Welt zu bringen – dann schaffen es neun Frauen in einem Monat.
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Die ökonomische Globalisierung wird als politische De-Nationalisierung missverstanden.
DGAP-Frau Schmucker erliegt genau diesem Irrtum, wenn sie fordert: „Globale Probleme brauchen globale Antworten.“ Das klingt zwar vordergründig plausibel. Allerdings bleibt Schmucker jede Antwort auf die naheliegende Frage schuldig: Warum eigentlich?
Bei der bekennenden Internationalistin Schmucker führt der Irrglaube nun nicht dazu, dass sie die Globalisierung ablehnt. Sie stellt nur eine angeblich zwangsläufige Verbindung zu internationaler Politik her, die es so gar nicht gibt.
Anders ist das bei AfD-Mann Moldenhauer. Er fordert:
„… die Renationalisierung von Lieferketten sowie die Renationalisierung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen der nationalen Sicherheit zu gewährleisten und wirtschaftliche Konzentrationsprozesse zugunsten von Großkonzernen zu verhindern.“
Hier führt der Irrglaube, globaler Markt und nationale Politik würden einander ausschließen, also zu einer heftigen Globalisierungsallergie.
Und so finden sich Feinde des globalen Marktes überall auf dem Hufeisen.
Epilog
Im Mittelalter, in einer wenig bis gar nicht vernetzten Welt, haben Epidemien Abermillionen Tote gefordert. Ganze Landstriche wurden fast komplett entvölkert.
In der Moderne hat die weltweite Arbeitsteilung den Menschen weltweit dann nicht mehr Armut, sondern mehr Wohlstand gebracht; nicht mehr Krankheit, sondern bessere Gesundheit; nicht mehr Tod, sondern ein längeres Leben.
Marktwirtschaft und Globalisierung haben die Welt überhaupt erst in einen Zustand gebracht, der jetzt dazu führt, dass COVID-19 (anders als im Mittelalter die Pest) Europa eben nicht leerfegt und dass diese Seuche (anders als noch in den 1920er-Jahren die Spanische Grippe) eben nicht ein Prozent der Weltbevölkerung dahinrafft.
Der globale Markt ist nicht das Problem, sondern die Lösung.