Tichys Einblick
Linksintellektueller Wortschaum: 

Corona und angebliche „Menschenopfer für den Kapitalismus“

Antikapitalistische Intellektuelle berauschen sich am Traum vom bevorstehenden Untergang des „Kapitalismus mit tödlichem Antlitz“, der in der Corona-Krise „Menschenopfer“ fordere. Dabei ist die These vom Tod bringenden Kapitalismus absurd.

Antikapitalistische Demonstration in Stuttgart am 7.12.2019

imago images / Arnulf Hettrich

„Menschenopfer für den Kapitalismus“, so überschreibt Die Zeit einen Artikel. Allein die Aneinanderreihung von Schreckensworten wie „Börsenkurse“, „Markt“, „Preissignale“. „Kapitalismus“, „Reiche“ und „Geld“ sorgt beim Linksintellektuellen schon für Ekel oder ein gruseliges Schaudern. Zerlegen wir deshalb einmal den Wortschaum in seine einzelnen Blasen. In dem erwähnten Zeit-Artikel heißt es:
„Im Up and Down der Konjunkturen und Börsenkurse tritt der Gott der Ökonomie aus dem Dunkel seiner Unerkennbarkeit ins Licht der Welt, und niemals wird das menschliche Wissen ausreichen, um das Mysterium des Marktes zu verstehen.“ Immerhin gibt der Autor zu, dass der Markt für ihn ein „Mysterium“ ist, das er nicht versteht. Er setzt allerdings sein eigenes begrenztes Wissen mit dem „menschlichen Wissen“ gleich und gelangt so zu der Folgerung, „niemals“ werde das „menschliche Wissen“ ausreichen, den Markt zu verstehen. Und es geht weiter: „Das Einzige, was der Gegenwartsmensch noch tun kann, ist es, den Allmächtigen nach antikem Muster gnädig zu stimmen. So wäre dann das Opfer der Alten, Unproduktiven und Unnützen, das Opfer der systemisch Irrelevanten, die sich weder für Leistungsanreize noch für Preissignale empfänglich zeigen, jene fällige Gegengabe, die den wankelmütigen kapitalistischen Gott bei Laune und seinen numinosen Markt am Laufen hält. Für alle reicht es nicht…. Die kapitalistische Kultreligion feiert die blinde Akkumulation, sie feiert die Selbstbereicherung der bereits unendlich Reichen und die Verwandlung von Geld in noch mehr Geld. Im kapitalistischen Kult besteht der Sinn des Lebens in der Anpassung ans Tote.“

„Unser schicker Kapitalismus mit tödlichem Antlitz“

Kapitalismus wird mit „Tod“ in Verbindung gebracht, und die Coronakrise soll dies bestätigen. Ein anderer Zeit-Artikel, ebenfalls zum Thema Corona und Kapitalismus, ist überschrieben mit: „Unser schicker Kapitalismus mit tödlichem Antlitz“.

Darin lesen wir: „Leider ist die Hoffnung auf Änderung gering, denn der tiefere Grund für die ständige Expansion des Kapitals in alle Länder und Lebensbereiche ist, nein, nicht die menschliche Gier, sondern ein strukturelles Verhängnis, das dem Kapitalismus gewissermaßen eingenäht ist.“

Die immer wiederkehrende Verbindung von „Kapitalismus“ und „Tod“ soll suggerieren, dass der Kapitalismus ein tödliches System ist. Im Rausch der Worte gehen dabei einige störende Fakten vergessen, beispielsweise jene, die man im Schwarzbuch des Kommunismus lesen kann: Sozialistische Experimente forderten in 100 Jahren mehr als 100 Millionen Tote.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Das größte sozialistische Experiment war Maos „Großer Sprung nach vorne“ Ende der 50er-Jahre. Der Historiker Frank Dikötter kommt auf Basis einer Auswertung von Analysen des chinesischen Sicherheitsdienstes sowie der umfangreichen Geheimberichte, die in den letzten Monaten des „Großen Sprungs“ von Parteikomitees verfasst wurden, zu dem Ergebnis: Mindestens 45 Millionen Menschen starben in den Jahren 1958 bis 1962 einen unnötigen Tod. Die meisten verhungerten, während etwa 2,5 Millionen starben, weil sie zu Tode gefoltert oder erschlagen wurden – oder weil man ihnen gezielt jegliche Nahrung verweigerte, damit sie verhungerten. „Menschen wurden zur Tötung ausgewählt, weil sie wohlhabend waren, weil sie trödelten, weil sie ihre Meinung sagten oder weil die Person, die in der Volksküche das Essen ausgab, aus irgendeinem Grund eine Abneigung gegen sie hatte“. Doch Sozialismus wird selten mit dem Begriff „Tod“ in Verbindung gebracht. Aber über den Kapitalismus heißt es, er sei „menschenverachtend“.
„Gegensatz von Kapitalismus und gutem Leben“?

Wolfgang Welsch, emeritierter Professor der Philosophie, schreibt im „Cicero“: „Das ist die Weise, wie unter Corona-Bedingungen ein Konflikt zutage tritt, der die Gesellschaft in normalen Zeiten auf umgekehrte Weise bestimmt: Der Gegensatz zwischen der kapitalistischen Wirtschaftsweise und dem guten Leben. Wir wissen, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise unserem Leben nicht zuträglich ist. Sie zerstört nicht nur die Natur, sondern auch unsere Gesundheit und die humanen Beziehungen. …. Kapitalismus und Neoliberalismus müssen zurückgedrängt werden. So könnte Corona, wenigstens in the long run, auch eine positive Auswirkung haben.“

Der „Gegensatz zwischen der kapitalistischen Wirtschaftsweise“ und dem „guten“ Leben wird zur unumstößlichen Gewissheit („wir wissen“), denn der Kapitalismus zerstöre „unsere Gesundheit“ und die „humanen Beziehungen“.

Wirklich? Antikapitalisten sollten Steven Pinker lesen, der in „Aufklärung jetzt!“ Fakten und Statistiken statt gruseligem Wortschaum präsentiert. Zum Beispiel: In den letzten 200 Jahren ist die Rate der extremen Armut in der Welt von 90 auf 10 Prozent zurückgegangen, wobei fast die Hälfte in den letzten 35 Jahren erfolgt ist. Die kapitalistische Globalisierung und die Etablierung von Privateigentum und Markt haben allein in China den Prozentsatz der Menschen, die in extremer Armut leben, von 88 Prozent (Mao-Zeit) auf unter ein Prozent gedrückt.

Linke Rezepte gegen Corona
Befehlen, beschlagnahmen, Kapitalismus abschaffen
Vom Beginn des kapitalistischen Zeitalters bis heute sank die Müttersterblichkeit um das Dreihundertfache, von 1,2 auf 0,0004 Prozent. Die Rückgänge haben sich im Verlauf der kapitalistischen Globalisierung auf den Rest der Welt ausgeweitet, die ärmsten Länder eingeschlossen, wo die Sterberate sogar noch schneller gefallen ist. Im Jahr 1845 wäre ein britisches Baby, das das gefahrvolle erste Lebensjahr überlebt hatte, 47 Jahre alt geworden, 2011 waren es 81 Jahre. Und das gilt nicht nur für das Mutterland des Kapitalismus, sondern weltweit stieg die Lebenserwartung in den 200 Jahren, seit der Kapitalismus mit seiner Ausbreitung begann, so schnell wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.

Antikapitalistische Intellektuelle gefallen sich darin, den Kapitalismus für alle Übel der Welt verantwortlich zu machen und rufen nach einer Alternative. Zwar sind ausnahmslos alle antikapitalistischen Experimente der vergangenen 100 Jahre ohne Ausnahme gescheitert – zuletzt in Venezuela -, doch das stört die Antikapitalisten nicht. Wie die Alternative zum Kapitalismus aussehen soll, bleibt unklar, nur eines ist sicher:

Vergötterung des Staates

Der Markt soll zu Grabe getragen oder in engste Schranken verwiesen werden, alle Hoffnungen ruhen auf dem Staat. Ulrike Herrmann, Verfasserin mehrere Kapitalismus-kritischer Bücher und Redakteurin der taz sieht – so wie viele andere Intellektuelle – die Lösung für alle Probleme in noch mehr Staat. „Die Coronakrise“, so schreibt sie, „hat auch ihre Vorteile. Sie dürfte die neoliberalen Ideologie beerdigen, die die westliche Welt seit 1980 dominiert hat…. Die ‚Märkte’ versagen, weil sie nur funktionieren könnten, wenn sich die Zukunft verlässlich berechnen ließe. Aktienkurse preisen die Gewinne von morgen ein. Doch wie spätestens in Krisenzeiten auffällt, ist die Zukunft prinzipiell nicht planbar. Daher gibt es keine Alternative zur Solidarität. Also zum Staat.“

Vom eingestandenen Nicht-Verstehen der Funktionsweise der Märkte – es sei an den anfangs zitierten Zeit-Artikel erinnert – bis zur Vergötterung des Staates als vermeintliche Lösung für alle Probleme dieser Welt ist es nur ein kurzer Weg.

Anzeige

Die mobile Version verlassen