Von den Leitmedien wurde Michael Ballweg zum Feindbild in der Corona-Bewegung aufgebaut. Für die Maßnahmengegner ist er ein Held. Der Gründer der Querdenken-Bewegung erhält Standing Ovations, als er den Veranstaltungssaal betritt, als Dank und Respekt für seinen Einsatz. Der Ort des Treffens wurde geheim gehalten und erst kurz vor Beginn mitgeteilt. Wer eine Veranstaltung mit vom Regierungskurs abweichenden Meinungen durchführt, ist in Deutschland zu konspirativem Verhalten gezwungen: Es drohen Schlägertrupps der politischen Vorfeldorganisationen, die das grundgesetzliche Recht auf Versammlungsfreiheit aushebeln.
Überleben in der Haft
Das und ein mehrmonatiger Freiheitsentzug zeichnen jeden Menschen – so sollte man meinen. Doch Ballweg wirkt an dem Abend ruhig, ausgeglichen, zufrieden, er strahlt Optimismus aus. Im Gespräch mit dem Fondsmanager und Buchautor Max Otte erzählt er über seine Festnahme und seine Zeit im Gefängnis sowie die Zeit davor: den Beginn der Querdenken-Initiative und ihre Entwicklung.
Die Dinge, die einem im Leben begegnen, könne man als Herausforderung und Chance betrachten – oder als Strafe und sich selbst als Opfer, so Ballweg. Er habe sich für den ersten Weg entschieden. Er sei gestärkt aus der Haft herausgekommen, geholfen habe ihm vor allem das Meditieren. Und der Zuspruch, den er erhielt: Über 8000 Briefe hat er während seiner Haft bekommen. Er hat viel gelesen, nachgedacht, sich das Rauchen abgewöhnt. Ballweg: „Man kann auch im Gefängnis glücklich sein.“
„Die ersten zwei Wochen waren am brutalsten“
„Die ersten zwei Wochen waren am brutalsten“, so Ballweg. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt, er habe mit 300 Euro in der JVA „eingecheckt“, sich eine Telefonkarte gekauft, die allerdings erst nach anderthalb Wochen freigeschaltet wurde. Die größte Herausforderung sei die Ungewissheit gewesen, wie lange die Haft dauern würde. Aber er hätte ein tolles Team an seiner Seite gehabt, unter anderem den Anwalt Ralf Ludwig. Geholfen habe ihm der Glaube daran, dass alles gut gehen würde, und das Wissen, dass die Haft endlich ist. Schnell stellte sich heraus, dass die Vorwürfe gegen ihn absurd und nicht haltbar waren, so Ballweg. Der Vorwurf des Betrugs wurde abgemildert zu „versuchter Betrug“. Die Demonstrationen seien als kommerzielle Veranstaltung steuerpflichtig gewesen, so der Vorwurf. Ein Steuerermittlungsverfahren wurde eingeleitet wegen einer nicht gemachten Steuererklärung, die er aber nicht machen konnte, weil er in Haft saß. Man unterstellte ihm, Querdenken habe er im April 2020 gegründet, um Geld damit zu verdienen.
Irgendwann war ihm klar, dass es länger dauern würde
Die meisten in diesem Land hatten sicherlich nicht damit gerechnet, dass die Regierung so weit und in dieser Härte vorgehen würde mit ihrer Corona-Politik. Auch Ballweg nicht: Er habe an die Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht, das Rechtssystem geglaubt. „Ich dachte, wir machen zwei Demos, die Zeitungen fangen an zu schreiben, die Oppositionsparteien machen wieder Opposition, und dann ist es vorbei.“ Irgendwann wurde ihm klar, dass es länger dauern würde.
Als die Demonstration in Stuttgart verboten wurde, zog Ballweg mit dem Anwalt Ralf Ludwig vor das Bundesverfassungsgericht – und hatte Erfolg: Das Versammlungsverbot wurde gekippt. Doch die Behörden spielten bei jeder Anmeldung auf Zeit: Bescheide wurden erst Freitagnacht für am Samstag stattfindende Demos ausgestellt. Die Demonstranten wurden von der Polizei umstellt und eingekesselt, es gab Platzverweise wegen nicht eingehaltener Abstandsgebote. Die Menschen kamen trotzdem, „und es wurden immer mehr, zuerst 150, dann 500 bis hin zu 7.500 und sogar 20.000 Teilnehmern, die sich am Schlossplatz in Stuttgart versammelten“.
„Es waren viele, sehr viele vor Ort, die die Wahrheit kennen“
In der Tat berichtete etwa die Tagesschau damals von rund 12.000 Demonstranten und berief sich dabei auf Schätzungen des RBB-Reporters Olaf Sundermeyer. „Auf der Straße zum 17. Juni seien es dann gut 20.000 gewesen, möglicherweise etwas mehr, sagte Sundermeyer.“ Doch Video-Aufnahmen vermitteln ein anderes Bild: Laut Querdenken-Website befanden sich am 1. August 800.000 Menschen in Berlin, die demonstrierten. Diese Angaben sollen durch die Polizei bestätigt worden sein, melden die Organisationen. Nach wie vor wird über die genauen Zahlen gestritten. Festhalten lässt sich, dass die Menschen an diesem 1. August aus allen Teilen Deutschlands angereist waren, um an der Demo und der daran anschließenden Kundgebung auf der Straße des 17. Juni teilzunehmen.
Am 29. August waren dann noch viel mehr Menschen gekommen, diesmal auch aus anderen europäischen Ländern. Der Berliner Innensenator Andreas Geisel hatte die Demonstration im Vorfeld verboten, Gegendemonstrationen allerdings waren erlaubt. Erst einen Tag vor Demonstrationsbeginn wurde das Verbot dann doch aufgehoben. Der RBB berichtete diesmal immerhin von rund 30.000 Teilnehmern auf der Kundgebung. Auch das „Rechte“-, „Reichsbürger“-, „Nazi“-Framing der meisten Medien und der angebliche „Sturm auf den Reichstag“ sind in Erinnerung geblieben. Doch, so Ballweg, „es waren viele, sehr viele vor Ort, die die Wahrheit kennen“.
Querdenken nicht nur als Lippenbekenntnis
„Ich möchte nicht vermissen, was ich die letzten drei Jahre erlebt habe.“ Seiner Initiative ging es darum, Netzwerke zu schaffen, zu informieren und „Energietankstelle“ zu sein. Und Ballweg will nun weitermachen: Er will die Gesellschaft verändern. Die Teilnehmer der Veranstaltung auch. Es fallen an dem Abend Stichworte wie direkte Demokratie, Überwindung des Parteiensystems, verfassunggebende Versammlung – und immer wieder: „gewaltfreier Widerstand“. Entscheidend seien die Zeit, der Zusammenhalt und positives Denken – und auch eine Portion Humor, so Ballweg.
Als Fazit der Debatte ergibt sich ein problematisches Bild für die Zukunft Deutschlands: Das Grundgesetz soll die Bürger vor Übergriffen des Staates schützen. Doch die dafür eingerichteten Mechanismen haben vielfach versagt, konstatieren die Teilnehmer. Immer wieder zeige sich, dass manche Institutionen nicht mehr ihre Aufgabe erfüllen, die Regierung zu kontrollieren: das Parlament, das Bundesverfassungsgericht, die Medien als Vierte Gewalt, der Verfassungsschutz. Viele Bürger scheinen deshalb das Vertrauen in die Demokratie, in den Rechtsstaat verloren zu haben. Sie fühlen sich nicht mehr in ihren Grundrechten geschützt, sondern bedroht. Doch viele scheinen auch bereit, sich zu wehren, für ihre Grundrechte zu kämpfen. Die Corona-Bewegung war vielleicht nur der Anfang. Sie zeigte erstmals die Kluft zwischen den Regierenden mit ihren riesigen Apparaten und der Bevölkerung, die nur langsam beginnt, sich zu organisieren. Bei vielen ist etwas zerbrochen: der Grundglaube, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie konstituierend für Deutschland seien.