Tichys Einblick
Widerstand gegen den Staat

Wie die Corona-Politik das Vertrauen der Bürger in den Staat zerstörte

Eine Veranstaltung mit Querdenken-Gründer Michael Ballweg offenbart, wie sehr das Vertrauen vieler Bürger in das Rechtssystem während der Corona-Zeit zerstört wurde. Gutwillige Bürger fanden sich plötzlich wie Feinde der Gesellschaft behandelt. Die Pandemie ist vorbei – doch der Widerstand geht weiter.

Mindelheim im Unterallgäu, bei einer Demonstration auf dem Mindelheimer Marienplatz für Grundrechte und Freiheit im Zuge der Corona-Maßnahmen am 08.05.2020

IMAGO / MiS

Von den Leitmedien wurde Michael Ballweg zum Feindbild in der Corona-Bewegung aufgebaut. Für die Maßnahmengegner ist er ein Held. Der Gründer der Querdenken-Bewegung erhält Standing Ovations, als er den Veranstaltungssaal betritt, als Dank und Respekt für seinen Einsatz. Der Ort des Treffens wurde geheim gehalten und erst kurz vor Beginn mitgeteilt. Wer eine Veranstaltung mit vom Regierungskurs abweichenden Meinungen durchführt, ist in Deutschland zu konspirativem Verhalten gezwungen: Es drohen Schlägertrupps der politischen Vorfeldorganisationen, die das grundgesetzliche Recht auf Versammlungsfreiheit aushebeln.

Überleben in der Haft

Anklage zieht wesentliche Punkte zurück
Querdenken-Gründer Ballweg kommt nach neun Monaten U-Haft frei
Ballweg saß neun Monate in der JVA Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft warf ihm gewerbsmäßigen Betrug in mehr als 9.000 Fällen und Geldwäsche vor. Ballweg gilt als das Aushängeschild des Widerstands gegen die Corona-Politik, viele halten seine Festnahme deshalb für politisch motiviert. Am 5. April durfte er das Gefängnis wieder verlassen, laut eigener Aussage wurden alle Verfahren eingestellt. Sein Vermögen ist nach wie vor eingefroren. Er hat noch nicht einmal eine eigene Wohnung und ist bei Freunden untergekommen.

Das und ein mehrmonatiger Freiheitsentzug zeichnen jeden Menschen – so sollte man meinen. Doch Ballweg wirkt an dem Abend ruhig, ausgeglichen, zufrieden, er strahlt Optimismus aus. Im Gespräch mit dem Fondsmanager und Buchautor Max Otte erzählt er über seine Festnahme und seine Zeit im Gefängnis sowie die Zeit davor: den Beginn der Querdenken-Initiative und ihre Entwicklung.

Die Dinge, die einem im Leben begegnen, könne man als Herausforderung und Chance betrachten – oder als Strafe und sich selbst als Opfer, so Ballweg. Er habe sich für den ersten Weg entschieden. Er sei gestärkt aus der Haft herausgekommen, geholfen habe ihm vor allem das Meditieren. Und der Zuspruch, den er erhielt: Über 8000 Briefe hat er während seiner Haft bekommen. Er hat viel gelesen, nachgedacht, sich das Rauchen abgewöhnt. Ballweg: „Man kann auch im Gefängnis glücklich sein.“

„Die ersten zwei Wochen waren am brutalsten“

Nutzer tragen Zitate zusammen
Die Erinnerung an zwei Jahre tiefster Spaltung
Aber es ist nicht einfach, den Schock zu überwinden. Eines Morgens um 7 Uhr standen 20 Polizeibeamte vor Ballwegs Haustür und durchsuchten sein Haus. Er durfte noch seinen Hund versorgen, seinen Anwalt anrufen, dann wurde er dem Haftrichter vorgeführt, es dauerte 1/2 Stunde. In der JVA angekommen wurden ihm alle privaten Gegenstände abgenommen, er bekam Gefängniskleidung, wurde eingesperrt. „Und dann ist man allein.“ Er war 23 Stunden am Tag isoliert, in U-Haft gelten verschärfte Bedingungen.

„Die ersten zwei Wochen waren am brutalsten“, so Ballweg. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt, er habe mit 300 Euro in der JVA „eingecheckt“, sich eine Telefonkarte gekauft, die allerdings erst nach anderthalb Wochen freigeschaltet wurde. Die größte Herausforderung sei die Ungewissheit gewesen, wie lange die Haft dauern würde. Aber er hätte ein tolles Team an seiner Seite gehabt, unter anderem den Anwalt Ralf Ludwig. Geholfen habe ihm der Glaube daran, dass alles gut gehen würde, und das Wissen, dass die Haft endlich ist. Schnell stellte sich heraus, dass die Vorwürfe gegen ihn absurd und nicht haltbar waren, so Ballweg. Der Vorwurf des Betrugs wurde abgemildert zu „versuchter Betrug“. Die Demonstrationen seien als kommerzielle Veranstaltung steuerpflichtig gewesen, so der Vorwurf. Ein Steuerermittlungsverfahren wurde eingeleitet wegen einer nicht gemachten Steuererklärung, die er aber nicht machen konnte, weil er in Haft saß. Man unterstellte ihm, Querdenken habe er im April 2020 gegründet, um Geld damit zu verdienen.

Irgendwann war ihm klar, dass es länger dauern würde

Vereinzelte sind leicht beherrschbar
Tyrannei der Mehrheit
Ballweg erzählt, wie es wirklich war. Er war selbständiger und erfolgreicher Unternehmer im IT-Bereich und war nun an einem Punkt im Leben angelangt, an dem er sich neu orientieren wollte. Er verkaufte sein Haus nach der Scheidung wie auch das Hauptprodukt seines Unternehmens und wollte gerade eine Weltreise starten, da kam Corona. Wie bei vielen Menschen wurden seine Pläne durchkreuzt. Bald entdeckte er für sich eine neue Bestimmung: Statt einer Weltreise begann er, Demonstrationen zu organisieren. „Die Zeit und die finanziellen Mittel hatte ich ja.“

Die meisten in diesem Land hatten sicherlich nicht damit gerechnet, dass die Regierung so weit und in dieser Härte vorgehen würde mit ihrer Corona-Politik. Auch Ballweg nicht: Er habe an die Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht, das Rechtssystem geglaubt. „Ich dachte, wir machen zwei Demos, die Zeitungen fangen an zu schreiben, die Oppositionsparteien machen wieder Opposition, und dann ist es vorbei.“ Irgendwann wurde ihm klar, dass es länger dauern würde.

Als die Demonstration in Stuttgart verboten wurde, zog Ballweg mit dem Anwalt Ralf Ludwig vor das Bundesverfassungsgericht – und hatte Erfolg: Das Versammlungsverbot wurde gekippt. Doch die Behörden spielten bei jeder Anmeldung auf Zeit: Bescheide wurden erst Freitagnacht für am Samstag stattfindende Demos ausgestellt. Die Demonstranten wurden von der Polizei umstellt und eingekesselt, es gab Platzverweise wegen nicht eingehaltener Abstandsgebote. Die Menschen kamen trotzdem, „und es wurden immer mehr, zuerst 150, dann 500 bis hin zu 7.500 und sogar 20.000 Teilnehmern, die sich am Schlossplatz in Stuttgart versammelten“.

„Es waren viele, sehr viele vor Ort, die die Wahrheit kennen“

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Die Querdenken-Initiative hatte bald bundesweit viele Unterstützer. „Mit Selbstbewusstsein und Optimismus sowie dem Mut, ins Risiko zu gehen“, so Ballweg, sei eine Bewegung entstanden, die dann in die beiden Großdemonstrationen in Berlin im August 2020 mündete. An der Organisation waren zahlreiche ehrenamtliche Helfer beteiligt. Ballweg erzählt: Als ein Dienstleister ihnen kurzfristig abgesagt und ihnen die bereits gelieferten Strom-Aggregate wieder abgenommen hätte, fanden sich 300 Unterstützer, die spontan nach Polen fuhren, um so über Nacht die notwendigen Aggregate zu besorgen. Ein großer Erfolg – mit Fragezeichen. Denn Ballweg ist an dem Abend überrascht, „wie man so eine große Demo einfach medial wegwischen kann“. Was nicht sein darf, kommt nicht vor in den Medien.

In der Tat berichtete etwa die Tagesschau damals von rund 12.000 Demonstranten und berief sich dabei auf Schätzungen des RBB-Reporters Olaf Sundermeyer. „Auf der Straße zum 17. Juni seien es dann gut 20.000 gewesen, möglicherweise etwas mehr, sagte Sundermeyer.“ Doch Video-Aufnahmen vermitteln ein anderes Bild: Laut Querdenken-Website befanden sich am 1. August 800.000 Menschen in Berlin, die demonstrierten. Diese Angaben sollen durch die Polizei bestätigt worden sein, melden die Organisationen. Nach wie vor wird über die genauen Zahlen gestritten. Festhalten lässt sich, dass die Menschen an diesem 1. August aus allen Teilen Deutschlands angereist waren, um an der Demo und der daran anschließenden Kundgebung auf der Straße des 17. Juni teilzunehmen.

Am 29. August waren dann noch viel mehr Menschen gekommen, diesmal auch aus anderen europäischen Ländern. Der Berliner Innensenator Andreas Geisel hatte die Demonstration im Vorfeld verboten, Gegendemonstrationen allerdings waren erlaubt. Erst einen Tag vor Demonstrationsbeginn wurde das Verbot dann doch aufgehoben. Der RBB berichtete diesmal immerhin von rund 30.000 Teilnehmern auf der Kundgebung. Auch das „Rechte“-, „Reichsbürger“-, „Nazi“-Framing der meisten Medien und der angebliche „Sturm auf den Reichstag“ sind in Erinnerung geblieben. Doch, so Ballweg, „es waren viele, sehr viele vor Ort, die die Wahrheit kennen“.

Querdenken nicht nur als Lippenbekenntnis

Sich überbietende Entgleisungen
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Querdenken ist für Ballweg nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern er will wirklich quer denken. Den Medien ist er sogar dankbar, denn sie haben den Namen groß gemacht. „Querdenker“ wurde so zum Markennamen. Nun gibt es Versuche, den Begriff zu rehabilitieren, denn es war mal ein positiv konnotierter Begriff, vor allem in unternehmerischen Fragen waren Querdenker gefragt. Es gebe inzwischen wieder einen „Querdenker-Kongress“, einen Wirtschaftskongress.

„Ich möchte nicht vermissen, was ich die letzten drei Jahre erlebt habe.“ Seiner Initiative ging es darum, Netzwerke zu schaffen, zu informieren und „Energietankstelle“ zu sein. Und Ballweg will nun weitermachen: Er will die Gesellschaft verändern. Die Teilnehmer der Veranstaltung auch. Es fallen an dem Abend Stichworte wie direkte Demokratie, Überwindung des Parteiensystems, verfassunggebende Versammlung – und immer wieder: „gewaltfreier Widerstand“. Entscheidend seien die Zeit, der Zusammenhalt und positives Denken – und auch eine Portion Humor, so Ballweg.

Als Fazit der Debatte ergibt sich ein problematisches Bild für die Zukunft Deutschlands: Das Grundgesetz soll die Bürger vor Übergriffen des Staates schützen. Doch die dafür eingerichteten Mechanismen haben vielfach versagt, konstatieren die Teilnehmer. Immer wieder zeige sich, dass manche Institutionen nicht mehr ihre Aufgabe erfüllen, die Regierung zu kontrollieren: das Parlament, das Bundesverfassungsgericht, die Medien als Vierte Gewalt, der Verfassungsschutz. Viele Bürger scheinen deshalb das Vertrauen in die Demokratie, in den Rechtsstaat verloren zu haben. Sie fühlen sich nicht mehr in ihren Grundrechten geschützt, sondern bedroht. Doch viele scheinen auch bereit, sich zu wehren, für ihre Grundrechte zu kämpfen. Die Corona-Bewegung war vielleicht nur der Anfang. Sie zeigte erstmals die Kluft zwischen den Regierenden mit ihren riesigen Apparaten und der Bevölkerung, die nur langsam beginnt, sich zu organisieren. Bei vielen ist etwas zerbrochen: der Grundglaube, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie konstituierend für Deutschland seien.


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