„Die Mehrheit hat immer Recht, auch wenn sie Unrecht hat.“ Das sagte stets mein Ziehvater. Es hat einige schmerzhafte Jahre gedauert, bis ich begriff: Der plakative Satz hat mehr Tiefe, als man an der Oberfläche sehen kann.
Die meisten Menschen wollen nur ungern mit ihren eigenen Fehlern konfrontiert werden. Zwar heißt es, dass man vor allem aus Fehlern lernt – aber im richtigen Leben mag trotzdem kaum jemand eingestehen, wenn er etwas nicht richtig gemacht hat.
Das kann verschiedene Gründe haben: Scham, Reue, schlechtes Gewissen – alles Gefühle, denen man nicht gerne ausgesetzt ist und denen man sich schon gar nicht gerne freiwillig aussetzt. Weniger emotional kann es auch um sehr handfeste Dinge wie Haftung oder Strafverfolgung gehen. Also gibt man eigene Fehler nicht zu – nicht vor sich selbst und erst recht nicht vor anderen.
Das fällt umso leichter, je mehr Menschen denselben Fehler gemacht haben. Auf einen Einzelnen lässt sich leicht mit dem Finger zeigen, wenn er etwas falsch gemacht hat. Auf ein paar Wenige vielleicht auch noch. Wenn viele etwas falsch gemacht haben, wird es schon schwierig – wenn die Mehrheit etwas falsch gemacht hat, ist es unmöglich.
Die Mehrheit hat immer Recht, auch wenn sie Unrecht hat.
Wenn Parteien eine Wahlniederlage erleiden, hört man von den betroffenen Politikern seit jeher immer dieselben Sprachstanzen: Das Ergebnis müsse jetzt „schonungslos analysiert“ und „umfassend aufgearbeitet“ werden. Bitte glauben Sie diesen Blödsinn nicht. Etwas Derartiges wird nie passieren. Es ist reines Theater für das ahnungslose Publikum.
Eine Partei verliert, wenn sie Fehler macht. Das können kommunikative Fehler sein oder inhaltliche, meist ist es beides. Aber immer sind es Fehler, die das von der Mehrheit der Partei ausgewählte Personal gemacht hat. Die Verantwortung für die Niederlage trägt also die Parteimehrheit. Doch die wird niemals zugeben, kollektiv danebengelegen zu haben. „Schonungslose Analyse“ heißt im Parteisprech: „Wir suchen einen geeigneten Schuldigen weit weg von uns.“ „Umfassende Aufarbeitung“ bedeutet: „Wir bestrafen irgendwen, der zu schwach ist, um sich zu wehren.“
Die Mehrheit hat immer Recht, auch wenn sie Unrecht hat.
Man kann durchaus davon ausgehen, dass nicht wenige auch in der CDU/CSU selbst mittlerweile erkannt haben, dass Angela Merkel der schlechteste Kanzler war, den Deutschland nach dem Krieg hatte. Unter ihr kam die Bundesrepublik wirtschaftlich zum Stillstand, der demokratische Diskurs wurde systematisch erstickt, die staatlichen Institutionen wurden nahezu vollständig politisiert, einer grünen Bevölkerungsminderheit wurde maßgeblich mithilfe der öffentlich-rechtlichen Medien die kulturelle Hegemonie über das Land zugeschanzt. Und natürlich die Migration, ach je, die Migration …
Aber Angela Merkel, auch das gehört zur Wahrheit, hatte sich in der Partei nicht an die Macht geputscht. Sie wurde gewählt. Auch Bundeskanzlerin konnte sie nur werden, weil sie gewählt wurde. Folglich gibt es in der CDU bis heute viele, die Merkel mal unterstützt haben. Und im deutschen Wahlvolk gibt es viele, die Merkel mal gewählt haben. Nur sehr wenige von denen sind bereit, das als schweren Fehler zuzugeben. Also bekommt Angela Merkel weiter Bayerische Verdienstorden und Ehrendoktortitel, und ihre Gefolgsleute in der CDU verteidigen ihre verheerende Politik bis heute.
Die Mehrheit hat immer Recht, auch wenn sie Unrecht hat.
Das gilt auch für Corona.
In den knapp drei Seuchen-Jahren ist sehr vieles passiert, an das sehr viele heute lieber nicht mehr erinnert werden möchten. Nach offiziellen Zahlen haben sich 77,8 Prozent aller Einwohner in Deutschland mindestens eine Impfdosis spritzen lassen, also mehr als drei Viertel. Das waren laut Statistischem Bundesamt fast 66 Millionen.
Es ist menschlich verständlich und psychologisch nachvollziehbar, wenn sehr viele von ihnen nicht gerne hören möchten, dass sie womöglich einem grandiosen Hoax und ganz sicher einem PR-Coup der Pharma-Industrie aufgesessen sind und einer partiell wirkungslosen oder sogar gefährlichen Impfung zugestimmt haben.
Auch dürften viele rückblickend mindestens insgeheim durchaus ein schlechtes Gewissen in Bezug darauf haben, wie auch mit den vernünftigsten Gegnern der offiziellen Corona-Politik umgegangen wurde. Womöglich ist der eine oder die andere sogar etwas erschrocken über sich selbst: Weil man so bereitwillig mitgemacht hat bei der Hetze gegen Kritiker, bei der Stigmatisierung von mahnenden Wissenschaftlern und bei der sozialen Vernichtung von Ungeimpften.
Wer will schon gerne an die eigenen Fehler erinnert werden? Die Menschen sind halt wie die Leute. Deshalb wollen die meisten das Kapitel „Corona“ eben auch gerne so schnell wie möglich abschließen. Und das heißt: vergessen.
Doch jetzt kommen diese RKI-Files und rühren alles wieder hoch. Es ist erstaunlich zu beobachten, wie auch im rechten Lager – das sonst aus guten Gründen keine Gelegenheit auslässt, die Polit-Elite zu kritisieren – bei vielen wenig bis keine Neigung besteht, sich ernsthaft und ausgiebig damit zu befassen.
Corona, so scheint es, ist nurmehr ein Thema für Historiker.
Aber der Schein trügt.
Denn den Luxus, Corona einfach zu vergessen und auf ewig unter dem Mantel des Schweigens zu verstecken: Den haben viele Betroffene eben nicht. Die Bundesregierung selbst gibt zu, dass immer noch 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen teilweise massive psychische Probleme haben. Als Folge der Corona-Maßnahmen leiden sie besonders häufig an Despressionen sowie an Angst- und Essstörungen. Und dass bisher bundesweit erst knapp 500 Impfschäden amtlich anerkannt wurden, liegt nicht an fehlenden Verdachtsfällen, sondern an den absurd hohen Anforderungen, einen Corona-Impfschaden überhaupt geltend machen zu können.
Unstrittig sind Millionen von Bürgern von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen betroffen. Lockdowns haben die Innenstädte verödet, zahllose Existenzen zerstört und Lebenspläne vernichtet. Tausende verloren Arbeit und nicht selten auch gleich Haus und Hof, weil sie einfach nur weiter über ihren eigenen Körper entscheiden wollten und sich der Spritze verweigerten. Die Gerichtsprozesse laufen ja bis heute und werden noch lange weiterlaufen.
Ewig wirken werden die unfassbaren seelischen Verletzungen, die viele Menschen durch die Corona-Maßnahmen erleiden mussten. Hochzeiten fanden nicht statt – und wenn, dann ohne die Freunde. Runde Geburtstage, Abiturfeiern, im Prinzip alle wichtigen sozialen Ereignisse im Leben von Bürgern: abgesagt.
Am schlimmsten: Etwa 300.000 Menschen – sehr viele Alte, aber auch viele Kinder – starben einsam und allein, weil in ihrer Todesstunde selbst die engsten Angehörigen nicht zu ihnen gelassen wurden. Das war, mit Verlaub, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
„Nichts Menschliches ist mir fremd“, schreibt der antike Dichter Terenz. Natürlich ist es menschlich und verständlich, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung nicht an die eigenen Fehler während der Corona-Zeit erinnert werden will. Daran ist auch nichts verwerflich. Aber ein paar Millionen Menschen ist großes Unrecht widerfahren, sie haben gelitten, und teilweise leiden sie bis heute.
Das Mindeste, was sie verdienen, ist: die Wahrheit über die Corona-Zeit zu erfahren.