Schon kurz nachdem bei der Kultusministerkonferenz im März 2020 die Vertreter aller Bundesländer gemeinsam entschieden, die Schulen wegen steigender Corona-Fälle vorerst dicht zu machen, warnten die ersten Experten, Lehrer, Eltern und Psychologen vor den dramatischen Folgen langfristiger Schulschließungen. Um Lernrückständen und Entwicklungsverzögerungen vorzubeugen, wurde umgehend auf Digitalisierung und Homeschooling gesetzt – nur funktionierte das Ganze nicht so einfach, wie man sich das vorgestellt hatte. Viele Familien hatten zuhause keine geeignete Technik wie Computer, Tablets und Internetanschlüsse. Lehrer und Schüler waren mit dem neuen Unterrichtsformat überfordert, und zu allem Überfluss funktionierten die „Schulplattformen“ in vielen Fällen Stunden bis Tage lang wegen Überlastung überhaupt nicht mehr.
Die Sorge, welche Bildungslücken der Distanzunterricht hinterlassen könnte, wuchs stetig. Jetzt zeigen erste Untersuchungen: Es ist genauso schlimm wie befürchtet; viele Schüler haben während der Pandemie und den Lockdowns wohl wenig bis gar nichts gelernt.
Die einzige Ausnahme: Hamburg. Dort hat man mit „KERMIT 3“ im September als erstes und einziges deutsches Bundesland erhoben, wie sich die Corona-Maßnahmen auf den Lern- und Leistungsstand der Schüler ausgewirkt haben. Dabei kam man zu erschreckenden, wenn auch wenig überraschenden Ergebnissen. Wie Bild berichtete, zeigte sich bei der Untersuchung mit über 15.000 Teilnehmern, dass der erste Lockdown „nur“ zu „geringen Rückständen“ geführt hatte, der zweite im Frühjahr 2021 es aber in sich hatte. Bei den untersuchten Hamburger Drittklässlern wurden „deutliche Lernrückstände“ festgestellt. Der Anteil lernschwacher Schüler stieg 2021 im Bereich Lesen um 11,1 Prozent – bei Schulen in sozialen Brennpunkt-Milieus sogar um 13,6 Prozent. In Mathematik stieg der Anteil um 8,7 und in sozial schwachen Gegenden um 11,2 Prozent. Der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD) sah seine Sorgen „in Bezug auf die monatelangen Schulschließungen“ durch die Untersuchung bestätigt. Rabe hatte sich für die Offenhaltung der Schulen auch unter hohen Inzidenzwerten ausgesprochen. Laut ihm „war und ist“ Fernunterricht „kein Ersatz für den Unterricht in der Schule“.
Und genau das zeigte sich leider auch schon in den vergangenen Untersuchungen mehr als deutlich. Schon im Juli, als es noch keine offiziellen Lernstandserhebungen wie in Hamburg gab, führte das Allensbacher Institut im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung eine groß angelegte Umfrage unter Schülern der Klassen fünf bis zehn durch, die zu ähnlich fatalen Ergebnissen kam. Unter den insgesamt 1.071 befragten Schülern gaben vier von fünf an, nach einem Jahr Homeschooling, Wechselunterricht und Quarantäne mit dem Schulstoff im Rückstand zu sein. 27 Prozent der Kinder sahen sich selbst sogar „deutlich im Rückstand“. Der verpasste Lernstoff versetzte aber nicht nur die Schüler, sondern auch 61 Prozent der 525 befragten Eltern in große Sorge.
Wie schon bei den zahlreichen Untersuchungen zur psychischen Gesundheit sieht man also auch hier, dass Kinder aus sozial schwachen Familien besonders stark von den Corona-Maßnahmen getroffen wurden. Und eben diese Kinder werden es auch im Präsenzunterricht am schwersten haben, ihre Lernrückstände aufzuholen, wegen fehlender Motivation und Unterstützung, mangelnden Lernvoraussetzungen und – in Folge der sozialen Isolation während der Lockdowns – wegen einer schlechten psychischen Verfassung.
Unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht und allem, was man sonst noch so erheben kann, wünschten sich in der Allensbacher Umfrage 93 Prozent aller Schüler endlich zurück in den klassischen Präsenzunterricht. Wenn unsere Politiker auch nur einen Hauch von dem ernst gemeint haben, was sie zu Beginn der Pandemie nur allzu gern propagierten – nämlich: dass die Gesundheit und Bildung der Kinder aller höchste Priorität hat –, dann sollten sie zumindest in Zukunft dafür sorgen, dass sich in der einstigen „Bildungsnation Deutschland“ kein Kind mehr wünschen muss, in die Schule gehen zu dürfen. Es wird schon schwer genug, wenn nicht sogar in Teilen unmöglich, die Lernrückstände und Bildungslücken wieder aufzuarbeiten. Kinder jetzt erneut ins Homeschooling und damit in die soziale Isolation zu verbannen, wäre für ihre Bildung sowie ihre und unsere Zukunft mehr als nur fatal.