Mittags 12 Uhr. Ich betrete das Leipziger Zentrum über die Lotterstraße am Neuen Rathaus und drehe erst einmal eine Runde, um mir einen Überblick über die Demonstrations-Nebenaktivitäten zu verschaffen. Als erstes fällt auf, wie viele Menschen die Maskenpflicht in der Leipziger City ignorieren. Aber vermutlich ist das an diesem Tag mit so viel von außerhalb angereisten „Coronarebellen“ (Selbstbezeichnung) eine Beobachtung ohne jeden Beweiswert über Gesetzestreue und Besorgnislevel der Leipziger Bürger.
Und ehrlich gesagt werde ich es nicht an einem anderen Tag re-evaluieren können, da ich mich persönlich weigere, die Leipziger Innenstadt zu betreten, solange dort Maskenpflicht herrscht. Im Geschäft gern. Überhaupt kein Problem. Aber nicht im Freien. Das akzeptiere ich einfach nicht. Aber da ich mein Geld auch am Stadtrand lassen kann, ist mein persönlicher Innenstadt-Verzicht zum Glück kein Problem.
Am Ende des Salzgässchens die nächste kleine Bühne mit einer – wie es ausschaut – Elterninitiative gegen die Corona-Maßnahmen, für die sich niemand interessiert, und zehn Minuten später bin ich am Bahnhof.
Überschaubares Polizeiaufgebot, überschaubare Menge an mit dem Zug anreisenden Demonstranten. Vor dem Bahnhof etliche, die ich der rechten Szene zuordnen würde. Ich rechne schon damit, dass die Demo eher ein Flop wird, aber entweder reisen die Leute generell oder auch wegen Corona lieber mit dem Auto an, oder die Demonstranten sind alle Leipziger. Denn es ist jetzt 13 Uhr – offizieller Demo-Beginn – und der Augustusplatz füllt sich.
Die Demo wird von einem spirituellen Wesen mit einer Aufforderung zur gemeinsamen Meditation eröffnet. „Tief einatmen, tief ausatmen. Jaaa, genau so. Noch einmal tief ein- und ausatmen und jetzt singen wir zu zusammen Banakevala“. Die meisten Demonstranten müssen beim mitsingen passen. Vermutlich kennen sie aus diesem doch sehr speziellen Liederreservoir nur den Refrain von Kumbaya. Egal, geklatscht wird trotzdem, zumal wir nicht genötigt wurden, gemeinsam ‚oohm‘ zu brummen.
Es gibt Leute, die eher links oder esoterisch wirken, es gibt am Rande ein paar kleinere Grüppchen Rechte, aber ansonsten wirken die Teilnehmer eher wie der sprichwörtliche Querschnitt der Bevölkerung. Jung & Alt, Männlein & Weiblein, Prolet & Bildungsbürger.
Und, das nur am Rande – selbst bei der großen Wiedervereinigungsdemo mit Helmut Kohl 1990 in Leipzig sprangen am Rande Republikaner und Nazis herum, und die Linken versuchten, daraus die Legende zu stricken, dass CDU und Neonazis gemeinsame Sache machen.
Was ansonsten von den offiziellen Reden in Erinnerung bleibt, ist eigentlich nur die im gefühlt Fünf-Minuten-Rhythmus vorgetragene Aufforderung von Seiten der Veranstalter, Maske zu tragen, den „Propeller zu machen“ und sich zu verteilen, wenn man an jemanden anstößt. Danke, aber danke, nein. Ich werde genausowenig „den Propeller machen“, wie ich alberne Meditationsübungen mitmache. Ich werde bei einer Demo, die sich auch gegen die Maskenpflicht im Freien wendet, keine Maske im Freien tragen oder Banakevala singen.
Abgesehen davon – der Augustusplatz platzt bereits aus allen Nähten, die Leute stehen schon bis hinter das Gewandhaus und in die Gegenrichtung auf dem Ring bis kurz vor dem Bahnhof und selbst „Durchgezählt“ spricht später von 45.000 Teilnehmern. Es ist einfach nicht möglich, die Abstandsregeln einzuhalten. Deswegen wird die Demonstration am Nachmittag aufgelöst und ich verlasse die Veranstaltung in Richtung Leuschnerplatz, um dann zu Hause den Medien zu entnehmen, dass es am Bahnhof tatsächlich noch zu Ausschreitungen zwischen Rechten und der Polizei beziehungsweise zu Scharmützeln zwischen Antifa und Rechten kommt, so dass am Ende des Tages ein bitterer Beigeschmack bleibt und die keineswegs neue Erkenntnis: dass Querdenken tatsächlich in der Lage ist, Menschen zu mobilisieren.