Tichys Einblick
Documenta 15, Berlinale und so weiter

Claudia Roths Entlassung ist überfällig

Die Jüdische Allgemeine hatte im Sommer 2022 nach dem Versagen von Claudia Roth bei antisemitischer Kunst und israelfeindlicher Schlagseite der Weltkunstausstellung Documenta 15 ihren Rücktritt gefordert. Jetzt reicht es auch Charlotte Knobloch.

Charlotte Knobloch und Claudia Roth, München, 17. Februar 2024

IMAGO / Björn Trotzki

Es kommt nicht oft vor, dass Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland einem deutschen Regierungsvertreter über Jahre hinweg immer wieder offen ihr Misstrauen aussprechen: Claudia Roth hat genau das erreicht. Die Kulturstaatsministerin ist 2021 bereits mit diversen Hypotheken ins Amt gestartet und hat es geschafft, seitdem mit „bewundernswerter“ Konstanz ein Fettnäpfchen nach dem anderen aufzusuchen – und dann beherzt mitten hineinzutreten.

Nun reicht es auch Charlotte Knobloch, führendes Gesicht des deutschen Judentums, 91 Jahre alt, Holocaust-Überlebende. Mit dem Focus sprach sie nicht nur über ihre bekannten Warnungen vor der AfD („wesentlicher Grund, warum so viele Juden Angst haben“); das Magazin fragte sie auch nach einer möglichen Entlassung Roths. Laut Vorabmeldung antwortete Knobloch in dem Gespräch, das am Donnerstag erscheinen soll: „Ich finde, darüber sollten die Verantwortlichen in der Bundesregierung sich jetzt sehr ernsthaft Gedanken machen.“ Und weiter: „Ich bin damit zwar wirklich nicht glücklich. Aber was passiert ist, war einfach zu viel.“

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Damit reiht sich Knobloch in eine lange Reihe an offenen Ablehnungsbekundungen aus der jüdischen Gemeinschaft gegenüber Roth ein. So hatte etwa die Jüdische Allgemeine, die vom Zentralrat der Juden herausgegeben wird, im Sommer 2022 Roths Rücktritt gefordert. Anlass war ihr Versagen im Zusammenhang mit antisemitischer Kunst und israelfeindlicher Schlagseite bei der Weltkunstausstellung Documenta 15. Als Roth dann im Mai 2023 beim jüdischen Musikwettbewerb „Jewrovision“ eine Rede hielt, wurde sie vom jungen Publikum massiv ausgebuht.

Aktueller Anlass für Kritik ist Roths Agieren im Zusammenhang mit der Berlinale. Bei der zentralen Preisverleihung des Berliner Filmfestivals am 24. Februar waren diverse Akteure mit Israel-kritischen bis Israel-feindlichen Parolen auf der Bühne aufgetreten. Sie hatten wahlweise einen Waffenstillstand im Gazastreifen gefordert, von einem „Genozid“ (Völkermord) geschwafelt, von „Apartheid“ geredet und davon fabuliert, dass Israel Palästinenser „abschlachte“.

Angesichts der allgemeinen israelfeindlichen Entwicklung des Kulturbetriebs war es eine rhetorische Eskalation mit Ansage. Trotzdem hatte es Roth nicht vermocht, diese Eskalation zu verhindern. Mit Blick auf das hohe Gut der Kunstfreiheit wäre das vielleicht auch zu viel verlangt gewesen, doch hätte man erwartet, dass die Staatsministerin das Problem wenigstens einhegt, indem sie es benennt und sich distanziert. Immerhin wird die Berlinale mit Millionen Euro an staatlichen Geldern gefördert.

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Das Gegenteil geschah: Zur Festivaleröffnung hatte Roth zwar an den 7. Oktober als einen „Tag des Mordens, der Zerstörung, ein Tag hundertfacher Vergewaltigungen und Geiselnahmen“ erinnert und sich beschämt gezeigt über „die Welle der Gewalt gegen jüdische Menschen in unserem Land“. Von dort war sie dann aber nahtlos übergegangen zu einer Anklage an die „Feinde der offenen Gesellschaft“, die sich „in Villen an Seen“ treffen würden, „wo sie von völkischer Gesinnung raunen und Deportationen planen“.

Das Antisemitismusproblem im Kulturbetrieb wollte sie dagegen nicht benennen. Dafür nämlich hätte Roth sich mit ihrer eigenen Community anlegen, nicht Gratis-, sondern echten Mut zeigen müssen.

Stattdessen hielt dann bei der Preisverleihung einige Tage später eine Kamera fest, wie die Grüne im Publikum auch noch applaudierte, nachdem ein israelischer Filmemacher auf der Bühne von israelischer Apartheid geschwafelt, gegen die „Besatzung“ gewettert und die Minister im Saal zum Handeln dagegen aufgerufen hatte. Mehr noch: Nach der Veranstaltung jubelte Roth über „die ganze Vielfalt an Geschichten und Perspektive der Welt“, die die Berlinale in die Hauptstadt gebracht habe.

Es ist eine Einlassung, die wie keine zweite die Kontinuität und den Charakter des Versagens der Staatsministerin unterstreicht. Denn sie erinnert fatal an Äußerungen Roths im Kontext der Documenta-Affäre, als das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi ein antisemitisches Kunstwerk hochzog und auch sonst überbordener „Israel-Kritik“ breiten Raum gab. Als seinerzeit die Diskussion über ein Antisemitismus-Problem längst angelaufen war, hatte Roth noch die „Perspektive des globalen Südens“ gepriesen, mit der man auf der Documenta konfrontiert werde.

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Dass gerade diese „Perspektive des globalen Südens“ den Antisemitismus nach Kassel transportierte und damit ein Teil des Problems war, konnte und wollte die Ministerin in ihrer Vielfalts-Trance schlicht nicht erkennen. Nun, drei Jahre später, wiederholte sich das Desaster: Roth bejubelte die „Vielfalt an Geschichten und Perspektiven“ – kurz nachdem ihr eigentlich klar geworden sein müsste, dass gerade diese Perspektiven Israel-Feindlichkeit zur Berlinale gebracht hatten.

Erst als die Presse auf den Zug aufsprang, bezog Roth Stellung: So erklärte sie etwa in einem Spiegel-Interview mit überraschender Klarheit, dass es „bei Linksradikalen diesen ekelhaften offenen Antisemitismus“ gebe. Da war das Kind allerdings längst und nicht zum ersten Mal in den tiefen Brunnen gefallen und der Eindruck einmal mehr bestätigt: Wenn es um Kritik an Israel-Feindlichkeit geht, braucht Roth erst den Anschub der Presse, um zu reagieren.

Richtig auf den Punkt brachte das alles erst jüngst Maram Stern. Der geschäftsführende Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses mit Sitz in den USA sah sich offenbar angesichts der Häufung der Vorfälle dazu veranlasst, einen offenen Brief an Roth zu formulieren. Darin schrieb er Anfang März: „Ich verstehe Sie nicht. Genauer gesagt, ich verstehe nicht, wie Sie ihr Amt als Kulturstaatsministerin verstehen. Glauben Sie, Ihr Job sei es, vor allem freigiebig Steuergelder zu verteilen?“

Dafür brauche man keinen Politiker; den brauche man nur für echte Kulturpolitik, fuhr Stern fort: „Dann aber müssen Sie sich auch mit unangenehmen, kontroversen Angelegenheiten befassen – Antisemitismus in der Kunstwelt fällt exakt in diese Kategorie. Mir scheint, dass Sie das anders sehen.“ Zwar glaube Roth nicht, dass Antisemitismus unproblematisch sei, schrieb Stern: „Im Gegenteil, Sie haben wiederholt erklärt, dass Sie Antisemitismus anderer in der Kulturszene als ernsthaftes Problem begreifen. Nur leider nicht als Ihr Problem.“

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