Tichys Einblick
Linksrutsch in Deutschland

Christian Lindner und die FDP sind Opposition innerhalb der Regierung

Warum FDP-Chef Lindner der Linkspartei-Spitze einen Dankesbrief schreiben sollte und Franziska Giffey plötzlich doch ein Bündnis mit Gysi und Co einging.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Die wichtigsten Dankesbriefe dürfte Christian Lindner als nun möglicher Regierungspartner in einer Ampelkoalition noch gar nicht geschrieben haben. Denn ohne das miserable Abschneiden der SED, die sich zur Zeit Linkspartei nennt, wäre das Spiel für die Liberalen anders ausgegangen. Ohne jeden Zweifel hätte Olaf Scholz den Weg in ein Bündnis mit den Grünen und eben dieser Linkspartei gesucht. Der Fairness wegen muss man ihm zugutehalten, dass er ein solches, auch trotz des Drängens von Union und FDP, niemals ausgeschlossen hat. Doch erstens, kommt es immer anders und zweitens, als man meistens denkt.

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Die Kommunisten erreichten einfach nicht die notwendige Mehrheit. Dass sie trotz allem im Bundestag vertreten sind, verdanken sie ihrer Wunderwaffe Gregor Gysi, der durch das Erobern des dritten Direktmandates wieder einmal die SED gerettet hat. Für die Niederlage der dunkelroten Genossen gibt es viele Gründe. Einer davon ist mit Sicherheit die neue Parteiführung. Besonders Janine Wissler ist eine überzeugte, ja geradezu fanatische Ideologin. Aber – und das spricht für sie – machte sie daraus auch gar keinen Hehl. Mehrfach bekundete sie ganz ungeniert, „das System der Bundesrepublik aus den Angeln heben“ zu wollen. Das war vielen Anhängern und Sympathisanten des DDR-Nostalgie-Clubs dann wohl doch zu viel. Denn auch sie leben in „diesem verfluchten System Bundesrepublik“ verdammt gut. Ihre Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow erschien neben ihr unscheinbar. Das Ergebnis ist bekannt. Es hätte eigentlich der Anfang vom wirklichen Ende dieses Überbleibsels aus DDR-Zeiten bedeuten können.

Wenn da nicht Berlin gewesen wäre. Im östlichen Teil, der ehemaligen Hauptstadt der DDR, sitzt unverändert der harte Kern der einstigen Diktaturpartei. Hier befindet sich auch ein entsprechend junges Potenzial in einem oft künstlerischem Milieu, das so richtig Linkssein irgendwie cool findet.

Man müsste glauben, dass der Sozialdemokrat Olaf Scholz nach all den bitteren Erfahrungen, die seine Partei mit den deutschen Kommunisten gemacht hat, froh über diese Entwicklung sein müsste. Doch weit gefehlt. In den Statements am Wahlabend war kein einziger Satz dieser Art zu hören. Bei ein wenig Nachdenken liegt der Grund dafür auf der Hand. Mit dem Niedergang der Gysi-Truppe ging ihm ein wichtiger möglicher Partner für die Zukunft verloren. Der Erfolg der Liberalen ist aus der Sicht der SPD-Spitze ein Fiasko. Aber ein Mann wie Scholz, so unergründlich er auch oft erscheinen mag, hat immer eine Lösung.

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Wie aus zuverlässigen Quellen verlautet, übte das Umfeld von Scholz, aber auch er selbst, erheblichen Druck auf die sozialdemokratische Wahlsiegerin der skandalösen Berliner Abgeordnetenhauswahlen Franziska Giffey, aus, ein Bündnis mit den Grünen und der Linkspartei zu schließen. Aus Scholz’ Sicht die einzige Möglichkeit, den Linken durch eine Regierungsbeteiligung in Berlin die Chance auf ein Comeback zu eröffnen.

Unter diesen Aspekten schien es nebensächlich, dass Giffey ihre im Wahlkampf immer wieder bekundete Sympathie für eine Ampel in der deutschen Hauptstadt quasi über Nacht abhanden kam. Ihrem Ansehen in der Stadt dürfte das nicht genutzt haben. Denn viele, auch eher bürgerliche Wähler, hatten ihr im Vertrauen auf das Gesagte ihre Stimme gegeben. Doch die strategischen Überlegungen gingen einfach vor. Dass Berlin dabei immer weiter durch ideologische Mätzchen an Ansehen verliert, wird dabei als Kollateralschaden in Kauf genommen.

In den nächsten vier Jahren kommt es entscheidend auf die Freidemokraten an, auf ihre Handschrift in der Ampel-Koalition, um damit das Profil der FDP zu schärfen. Lindner verkörpert praktisch die Opposition in der Regierung.

Der Selbstfindungsprozess der CDU hat gerade erst begonnen, und wo die Reise der am Boden liegenden Partei endet, steht noch in den Sternen. Auch ansonsten bieten die nächsten Jahre so große Herausforderungen, dass ein Scheitern der Ampel jederzeit möglich ist.

Man denke nur an die überfälligen Veränderungen, die der Strukturwandel der Wirtschaft unweigerlich mit sich bringt. Ein dramatisch unterschätzter Konfliktbereich ist die Außen- und Sicherheitspolitik. Verbleibt Deutschland im System der nuklearen Teilhabe mit den USA? Wohin orientiert sich unser Land im, zumindest die erste Hälfte dieses Jahrhunderts bestimmenden Konflikt zwischen USA und China, bei einem gleichzeitig aggressiver auftretenden Russland? Fragen, auf die es bisher keine Antwort gibt!

Bliebe am Ende als Option wieder nur eine Große Koalition, die weder SPD noch CDU wollen. Die deutsche Geschichte ist in Bewegung, aber so richtig scheint das noch niemand im Lande begriffen zu haben.

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