Der Westen nimmt Russland und China als Tandem wahr. Wie komplex die Angelegenheit tatsächlich ist, zeigt das Beispiel der Ukraine-Krise. Bis heute hat Peking die Annexion der Krim nicht anerkannt. Ebenso zurückhaltend beobachtet die Volksrepublik die Anerkennung der Separatistengebiete Luhansk und Donezk in der Ostukraine als unabhängige Staaten durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Russlands Außenpolitik setzt damit eine Linie fort, die es auch in Abchasien, Südossetien, Transnistrien und mit Abstrichen in Arzach (bis 2017 Republik Bergkarabach genannt) gefahren hat: die Zerfaserung ehemaliger Sowjetrepubliken, teilweise mit offizieller, teilweise mit inoffizieller Anerkennung der Teilgebiete. Und gegen westliche Proteste führt Moskau den Sündenfall der einseitigen Anerkennung der kosovarischen Unabhängigkeit von Serbien an.
China ist kein Freund separatistischer Teilrepubliken russischen Stils
Dass China die taiwanesische Angelegenheit als die seine betrachtet, funktioniert dank der ideologischen Prämisse, dass Taiwan sowieso Teil der Volksrepublik sei, allerdings eben eine „abtrünnige“ Provinz. Die kommunistische Propaganda spricht nie von einer Eroberung der Insel. Stattdessen gehört es zum Ritual, die „Separatisten“ auf Taiwan davor zu warnen, sich unabhängig machen zu wollen, obwohl dies de facto schon seit dem Ende des Chinesischen Bürgerkrieges 1949 der Fall ist. Erst eine solche Provokation hätte Konsequenzen in Form einer wie auch immer gearteten Vergeltung.
Was Russland und China eint, ist das historische Schicksal zweier Imperien, die in der Vergangenheit Teile ihres Territoriums eingebüßt haben und sich wieder auf ihre von ihnen selbst gesteckten historischen Grenzen ausdehnen wollen. Im Fall Chinas sind dies weniger territoriale Ansprüche als die Wiederherstellung machtpolitischen Einflusses. Ostasien war jahrhundertelang durch Tribut an den Kaiserhof der Verbotenen Stadt gebunden. Insbesondere die USA haben seit dem Zweiten Weltkrieg eine Stellung in der Region gewonnen, die ihnen nach chinesischer Maßgabe historisch nicht zusteht. Die Schwäche der USA bleibt den roten Mandarinen nicht verborgen – und gerade die Ukraine-Krise erweist sich nach Afghanistan als zweite Nagelprobe, bei der die Chinesen aus sicherer Entfernung studieren können, wie wehrhaft die einstige Weltmacht noch ist.
China zeigt sich in der Ukraine-Krise neutral
Aus diesen Faktoren ergibt sich eine interessante Melange, wenn man sich die Global Times als zentrales Propagandaorgan der Kommunistischen Partei Chinas durchliest. Denn der Ton bleibt im Zuge der jüngsten Entwicklungen in Osteuropa betont nüchtern, fast distanziert. Die Sachlage wird zusammengefasst, Putin anerkennt Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten, wobei auch die Global Times dem westlichen Deutungsmuster folgt, diese als „Volksrepublik Luhansk“ und „Volksrepublik Donezk“ in Anführungszeichen zu setzen und diese auch im Folgenden als „Republiken“ zu bezeichnen.
Ambivalent wie vielsagend fiel das Telefongespräch zwischen Außenminister Wang Yi und seinem US-Kollegen Anthony Blinken aus. Es erfolgte nur wenige Stunden nach Putins Rede und Ankündigung, Truppen in den östlichen Teil der Ukraine zu entsenden. Eigentlicher Anlass war die diplomatische Annäherung der USA an China vor 50 Jahren unter Präsident Richard Nixon. Yi zeigte sich über die Entwicklung der Situation „besorgt“. Die legitimen Sicherheitsbedenken eines jeden Landes sollten respektiert und die Ziele und Grundsätze der UN-Charta gewahrt werden, sagte Wang. Er fordert „alle Parteien“ dazu auf, die Situation zu entspannen und „Differenzen durch Dialog und Verhandlungen“ beizulegen.
Wang erinnert die USA freundlich an „Zusagen“
Das könnte man als Allgemeinplatz verbuchen. Spannend war jedoch das, was Wang anschließend hinzufügte. Er bestand gegenüber Blinken darauf, dass US-Präsident Joseph Biden eine „Serie von Versprechen“ einzuhalten habe, die er gegenüber China gemacht hätte. Er warnte zudem davor, dass die USA „falsche Signale“ gegenüber der Volksrepublik sendeten. Dazu gehörten insbesondere Einhegungspläne im indo-pazifischen Raum und „Provokationen“ in der Taiwan-Frage. Wang bezog sich auf ein US-Strategiepapier, das eine Eindämmung Chinas durch eine Einbindung Taiwans in die regionale US-Strategie vorsieht. Das Papier bezeichnete zudem die Region als jenen Erdteil, der die „meisten Herausforderungen“ mit sich bringe. „China fordert die USA erneut nachdrücklich dazu auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um über die von Präsident Biden gemachten Zusagen nachzudenken“, betonte Wang.
Nach Darstellung des chinesischen Außenministeriums habe Blinken unterstrichen, dass der US-Präsident mehrfach betont habe, keinen Kalten Krieg mit China anzetteln zu wollen, und auch nicht an einer Änderung des politischen Systems in China interessiert sei. Zudem unterstützen die USA eine „Unabhängigkeit Taiwans“ nicht. Das US-Außenministerium beließ es nur bei einem sehr kurzen Statement hinsichtlich der Ukraine-Krise: Man bekräftigte die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine.
Doch zumindest aus chinesischer Sicht hat man den USA deutlich zu verstehen gegeben, dass die einstige Weltmacht vom Koch zum Kellner degradiert wird. Die freundliche Erinnerung der Chinesen, dass man sich aus ihrem Raum herauszuhalten hat, könnte deutlicher nicht sein, auch, wenn es dabei nicht an asiatischer Höflichkeit mangelt. Sie kommt zu einem Zeitpunkt, in dem die Vereinigten Staaten an einem anderen Brennpunkt gebunden sind. Und zugleich ist es ein Zeitpunkt, zu dem auch das Verhältnis zwischen Peking und Washington wieder angespannt ist.
Waffendeal mit Taiwan sorgte am Montag für Ärger mit China
Russland hat die Schwäche des Westens in Afghanistan zum Anlass genommen, seine Ziele in Osteuropa aggressiver durchzusetzen. Womöglich könnte China die Schwäche des Westens in der Ukraine zum Anlass nehmen, seine Ziele im Pazifik energischer zu verfolgen.