Tichys Einblick
Zu viele schauen nicht hin

Chemnitz – Annäherung an die Wahrheit

Chemnitz ist kein Symbol für die Verrohung oder die „Herrschaft des braunen Mobs“, sondern für die Notwendigkeit, Politik für die Menschen in diesem Land, für seine Bürger, für den Souverän zu machen. Sonst verlieren wir Chemnitz – und nicht nur Chemnitz.

Odd Andersen/AFP/Getty Images

Über Chemnitz wurde und wird viel geschrieben. Es entsteht der Eindruck, dass Kräfte in diesem Land Chemnitz benötigen, um ihre Vorurteile und Meinungen zu betonieren und ihre Herrschaft über den öffentlichen Diskurs zu verteidigen. Blickt man auf den Umgang mit der Wahrheit, könnte man meinen, man wäre im Krieg, denn die stirbt in ihm bekanntlich als erste. Gemessen an der Vielzahl der Berichte und Kommentare zu den Ereignissen in der sächsischen Stadt ist die Kenntnis und Vermittlung von Fakten gering. Statt der Urteile wimmelt es von Vorurteilen. In dieser Situation ruft der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt Chemnitzer dazu auf, ihm möglichst viel „Video-, Bild- und Interviewmaterial zugänglich“ zu machen. Das ist vorbildlich und man kann nur hoffen, dass das auch im großen und vor allem vielschichtigen Umfange geschieht. Nichts ist notwendiger als Aufklärung, nichts ist unverzichtbarer als die Wahrheit.

An einem von vielen Beispielen wird das Missverhältnis von Meldungen und Fakten deutlich. Unisono schalte aus den Medien die Empörung über Hetzjagden. Gleichzeitig sagte der Chefredakteur der Regionalzeitung „Freie Presse“, Torsten Kleditztsch, im Deutschlandfunk: „Hetzjagden haben wir nicht beobachtet.“ Was stimmt nun? Keiner der Journalisten, die über Hetzjagden sprachen, hatte den Wahrheitsgehalt der Aussage überprüft. Die Tagesthemen brachten zwar als emotionalisierenden Beleg ein Video, das aber von der Antifa stammen soll. Wer ein wenig mit Fotos und mit Film vertraut ist, kennt die enormen Manipulationsmöglichkeiten dieser scheinbar realistischen Medien, denn der Bildausschnitt entscheidet über die Geschichte, die mit dem Bildmaterial erzählt wird. Fotos und Filme sind nicht objektiv, dafür aber hochemotional.

Fakten statt Erzählungen
Leider kein Einzelfall: Der Mord von Chemnitz
Ich will versuchen, mich über belastbares Material und seriöse Quellen der Situation vor Ort zu nähern. Im Jahr 2017 lebten laut Freier Presse in Chemnitz 4.438 Personen, „die ein Asylverfahren durchlaufen haben. Hinzu kamen insgesamt 374 nachgezogene Familienmitglieder und Flüchtlinge, die aus anderen Staaten nach Deutschland umverteilt wurden.“ Im Übrigen sind von den 4.812 Migranten 3.189 männlich. Etwa ein Drittel der Migranten ist zwischen 6 und 20 Jahre alt, ein weiteres Drittel zwischen 21 und 29 Jahre alt. Zwei Drittel der Migranten in Chemnitz waren 2017 unter 29 Jahre alt. Sie alle werden vom deutschen Steuerzahler mit Geld ausgestattet und haben nichts zu tun, wenn sie nicht Kurse besuchen oder zu arbeiten oder eine Lehre zu machen versuchen. Doch wie viele sind das?

Die meisten Migranten, 950, wurden im Zentrum der Stadt untergebracht und machen bereits 7 % der Bewohner des Stadtzentrums aus. Die Kriminalstatistik führen mit den meisten Delikten das Zentrum und der Stadtteil Ebersdorf an. In Ebersdorf, in dem sich ein Asylbewerberheim befindet, verstärkten sich bereits 2017 die Konflikte. Eltern konnten ihre Kinder nicht mehr auf den Spielplatz schicken. Eine Mutter, die gegenüber des Spielplatzes wohnt, gab zu Protokoll: „Die Asylbewerber saufen, pöbeln, schlagen sich und treten gegen Autos. Ich lasse meine Kinder nicht mehr auf den Spielplatz.“ Eine Ergotherapeutin schloss ihre Praxis an diesem Ort: „Kunden blieben aus. Ich traute mich abends nicht zu arbeiten.“ Ein türkischer Imbissbetreiber stellte fest: „Vor allem nordafrikanische Flüchtlinge haben die Angst nach Ebersdorf gebracht.“

2017, wahrscheinlich nur im ersten Halbjahr, registrierte die Polizei 14 Straftaten „darunter Körperverletzungen, Widerstand, Bedrohung und sexuelle Belästigung. Sie ermittelte zehn Tatverdächtige, alles Asylbewerber.“ (Quelle: hier)

Im Juni 2018 titelte die Freie Presse einen Bericht über die Kriminalitätsentwicklung in Chemnitz: „Sexuelle Übergriffe in Chemnitz: Fast jeden Tag ein neuer Fall.“ Aufsehen erregte ein Fall, der sich Anfang Juni ereignete. Ein 18 jähriger Syrer vergewaltigte im Keller eines Mehrfamilienhauses ein 15-jähriges Mädchen, das schwere Verletzungen erlitt. Auf die Frage vieler Eltern, wie sie ihre Kinder vor diesen Übergriffen schützen könnten, erhielten sie nur die Antwort: „Eine Möglichkeit solchen Angriffen vorzubeugen, gibt es nicht.“

Bereits 2017 geriet das Stadtfest unter Druck, weil es Sicherheitsprobleme gegeben hatte. Daraufhin wollten Stadt und Veranstalter ihre „Kommunikationspolitik“ überdenken. Dass es möglicherweise ein Sicherheitsproblem gäbe, schlossen Stadt und Veranstalter jedoch kategorisch aus. Kommunikationsproblem klingt allerdings nach Vermittlungsproblem, ein Begriff, den Politiker gern benutzen, um zu bemänteln, dass sie in der Sache versagen und keine Antwort auf Probleme haben. Der Eindruck verstärkt sich, dass die Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig aus ideologischen Gründen und unter Maßgabe der political correctnes über die Probleme in ihrer Stadt systematisch hinweggeschaut und sie verdrängt hat. Sie scheint die Probleme, auf die Bevölkerung abgewälzt zu haben. Die politische Aufarbeitung der Chemnitzer Vorfälle kommt an der Personalie Ludwig nicht vorbei.

Nach allem, was bis jetzt über die Ereignisse in Chemnitz zu recherchieren ist, zeichnet sich folgendes erstes Bild ab, das natürlich durch weitere Fakten zu ergänzen und gegebenenfalls zu verändern ist: Durch vor allem junge Migranten, die öffentliche Plätze in Besitz nahmen wie den Spielplatz im Stadtteil Ebersbach, wie das Zentrum der Stadt, entstanden Verunsicherungen, Gefühle der Verdrängung und Bedrohung bei den Bürgern der Stadt. Offensichtlich nahm die Oberbürgermeisterin diese Entwicklung nicht ernst. Kritiker, die auf die Verwahrlosung öffentlicher Räume hinweisen, werden ohnehin in die rechte Ecke geschoben. Doch der Verlust von Heimat, die rapide Veränderung des eigenen Lebensumfelds wurden dennoch wahrgenommen und erzeugten Wut.

Vernunft gefragt
Gegen Extreme helfen keine Extremen
Dass es eine gut vernetzte rechtsextreme Szene gibt, die diese Wut für ihre Ziele benutzen kann, erlaubt es den Medien, den Bürgerprotest in die rechte Ecke zu schieben. Anstatt diese Bürger ernstzunehmen, die protestieren, weil sie diese Veränderung ihrer Heimat nicht hinnehmen wollen, werden sie mit Hinweis auf die Rechtsextremen im Demonstrationszug in Verruf gebracht. Die Gewaltphantasien, die von linken und linksextremen Kräften in den sozialen Medien ausgelebt werden – und nicht nur dort -, ist der Bundesregierung keine Erwähnung wert. Man könnte sogar den Eindruck gewinnen, dass der Hass von links Merkel ganz recht ist. Und auch die Medien schauen weg und halten sich Augen und Ohren zu. Ihr Mitgefühl gehört nicht dem Opfer, denn er ist das falsche Opfer.

Stattdessen spricht die Regierung von Hetzjagden. Der Chefredakteur der Freien Presse kann das nicht bestätigen. Andere behaupten gesehen zu haben, dass junge Migranten den Demonstrationszug durch eindeutige Gesten provoziert hätten. Diese Gelegenheit ließen sich Rechtsextreme oder Hooligans nicht entgehen und setzten den Provokateuren nach. Wäre es so oder auch so, wäre dies ein Vorgang, den man vom Fußball kennt, wenn sich die Fans der gegnerischen Mannschaften verhöhnen und angreifen. Doch „Hetzjagden“ wären das noch nicht. Meines Wissens handelt es sich bei den Beweisen für die „Hetzjagd“ um Material aus dem Antifa-Umfeld. Die erste Meldung über Menschenjagden in Chemnitz stammt, soweit ich bis jetzt sehe, von dem Journalisten Johannes Grunert. Das Verbot der linksextremistischen Seite Indymedia bedauerte Grunert, weil dadurch „die wohl größte Informationssammlung über Neonazis im deutschsprachigen Raum“ wegfalle. Grunert ist wohl eher ein Aktivist, der der Antifa nahesteht, als ein objektiv berichtender Journalist. Indymedia, die Seite, die Johannes Grunert lobt, hat gestern bspw. eine Anleitung zum bewaffneten Kampf veröffentlicht und zum Mord aufgerufen. Unter der Überschrift „Bewaffent Euch“ ist dort eine Anleitung zu finden (Quelle: https://de.indymedia.org/node/23860).

Dennoch sprangen die Medien und die Regierung auf Grunerts Bericht (?) oder Fake News (?) auf, ohne den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Das aber wäre ihre Pflicht gewesen. Die Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung steht im Raum, denn wenn sich die Stimmung weiter aufheizt – auch durch das Sachsen-Bashing der Medien – kann es in der Tat zu Hetzjagden kommen. Medien, die arrogant und ohne objektive Recherche berichten, Politiker von Merkel bis Laschet, die jetzt auf die Sachsen mit Pauschalisierungen eindreschen und sich nicht um eine differenzierte Einschätzung bemühen, fördern nur die Rechtsextremen.

Was die Bundesregierung und ein Teil der Medien betreiben, ist die weitere Spaltung des Landes – und das nur aus einem Grund, weil man immer noch nicht der Wirklichkeit ins Auge schauen will, weil man immer noch nicht einsehen möchte, dass Merkels rotgrüne Politik gescheitert ist, weil man sich immer noch nicht den Problemen stellt, die man verursacht hat. Doch die Wirklichkeit lässt sich nicht schulmeistern. Je länger man sie verdrängt, desto härter wird die Konfrontation mit ihr.

Der Ministerpräsident von Sachsen war gestern in Chemnitz, um mit Bürgern zu diskutieren, nicht mit ausgesuchten und handverlesenen Fans, wie es beim „Bürgergespräch“ der Bundeskanzlerin Brauch ist, sondern mit Leuten aus der Stadt. Die Freie Presse berichtet: »Vor dem Stadion demonstrierten hunderte Anhänger von Pro Chemnitz, auch beim „Sachsengespräch“ waren kritische Bürger in großer Zahl vertreten. Dennoch blieb die Veranstaltung störungsfrei.« Kein leichter, aber notwendiger Termin. Aus der Protestkundgebung vor dem Stadion schallte der Ruf „Haut ab“. „Haut ab“. Wer das ruft, will nicht mehr reden. Im Businessclub des Stadions saßen hingegen Bürger, die Antworten wollten.

Gefährliches Signal
Chemnitz
Dennoch, auch diejenigen, die vor dem Klub auf der Straße sich versammelten, kann der Ministerpräsident erreichen, muss er erreichen, wenn er ein wahrhaft sächsischer Landesvater werden möchte – er hat das Zeug dazu, ob er den Mut dazu hat, wird sich zeigen. Er wird seinen Weg finden müssen und das heißt, eigene Inhalte setzen, sich nicht von den Medien ins Bockshorn jagen lassen, sondern mit einer effizienten Medienstrategie, die der Wahrheit verpflichtet ist, dagegen halten und, was das schwerste ist, sich von Merkel und ihrer Entourage zu distanzieren. Er wird den konservativen Kurs, für den er steht, konsequent durchzusetzen haben. Daran werden die Wähler ihn messen. Die Zeit des Lavierens ist seit Chemnitz vorbei. Sachsen kann zum Vorbild für Deutschland werden, wenn Michael Kretzschmer Politik für den Freistaat macht, der Wirklichkeit verpflichtet. Dazu gehört, sich des Recht-links-Schemas zu entledigen, nicht linke Projekte mit viel Geld zu unterstützen und nicht linke Bands zu loben, nur weil sie gegen „rechts“ sind, so wie gegen Rechtsextremisten und Neonazis vorzugehen, gegen alle, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Und es gehört auch dazu, dass die Ereignisse von Chemnitz gründlich aufgearbeitet und die Schuldigen benannt und nicht öffentlich gestützt werden.

Wir wissen noch zu wenig über Chemnitz. Ob sich alles, was ich bis jetzt annehme, erhärtet, wird die Zeit zeigen, nur eines steht fest, Chemnitz ist kein Symbol für die Verrohung oder die „Herrschaft des braunen Mobs“, sondern für die Notwendigkeit, Politik für die Menschen in diesem Land, für seine Bürger, für den Souverän zu machen. Sonst verlieren wir Chemnitz – und nicht nur Chemnitz.

Nachtrag, ein Leserkommentar:

Die propagandistische Entstehung der „Hetzjagd“ in Chemnitz:

Sonntagabend, 18.12 Uhr:
Deutschen Presseagentur (dpa): „Antifaschistische Aktivisten berichteten in sozialen Medien von Übergriffen auf Migranten. Der Polizei waren zunächst keine Hinweise auf Ausschreitungen bekannt“

Sonntagabend, 22:06 dpa:
„Videos in sozialen Medien zeigten Übergriffe auf Migranten.“ Keine Quelle, kein Ort, keine Zeit.

Nacht von Sonnabend auf Sonntag:
Weder dpa noch etwa AFP behaupten, es habe „Hetzjagden“ oder ähnliches tatsächlich gegeben.

Sonntag, 02:08 Uhr:
Der linksradikale „freie Journalist“ und Antifa-Aktivist Johannes Grunert titelt auf ZEIT-Online: „Rechte jagen Menschen in Chemnitz“. Keine Belege!

Montag, 11:00 Uhr, Regierungssprecher Seibert:
„Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin…“ Beleg: ein Video von Antifa „Zeckenbiss“.

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