Da sich ständig alles wandelt, war und ist der Umgang mit Veränderungen der zentrale Faktor, der über die Überlebensfähigkeit einer Organisation entscheidet, wobei es völlig gleichgültig ist, ob es sich um ein wirtschaftliches Unternehmen handelt oder den Staat, der letztlich nichts anderes ist als ein Dienstleister eigener Art.
I. Notwendigkeit
Wie wichtig der Umgang mit dem Wandel ist, zeigt nicht nur ein Blick auf große, namhafte Unternehmen, die heute Geschichte sind, sondern auch auf Hochkulturen mit demselben Schicksal: Ob es Hethtiter, Minoer oder Etrusker, Mayas oder Inkas, die Pharaonenreiche, der griechischen Staatenbund oder das römische Reich sind, allen gemeinsam ist: Sie sind schlicht weg.
Kant schrieb, dass Feigheit und Faulheit die Gründe seien, warum die Menschen sich nicht ihres eigenen Verstandes bedienten, und die Trägheit, die durch Selbstzufriedenheit entsteht, dürfte jedenfalls ein wesentlicher Aspekt für Wandlungsunfähigkeit sein. Der „Karren“ muss erst an die Wand gefahren werden, bevor sich etwas verändert. Nur leider ist er dann manchmal irreparabel zerstört (siehe oben). Das Abwarten auf einen äußeren Impuls, der nach Kraft und Richtung so stark ist, dass er die eingeschlagene Bewegung als Zwang ändert, desaströs.
Diese gefährliche Situation der Wandlungsunfähigkeit durch Selbstzufriedenheit erleben wir derzeit auch in Deutschland. Der wirtschaftliche Wohlstand, das Gefühl, dass es im Verhältnis zu anderen halbwegs gut läuft, macht träge. Wir wollen an dem Bestehenden festhalten, meinen sogar, wir seien so „reich“, dass wir Schiffbrüchige anderer Staatsschiffe in großer Zahl aufnehmen könnten. Warnende Stimmen, die vor ernsthaften Leckagen unseres eigenen Staatsschiffes warnen, blenden wir bewusst aus. Es ist das typische Problem der selektiven Wahrnehmung, was nicht ins Schema passt (oder einem nicht gefällt), wird ausgeblendet.
So verhallen die Warnungen heute ebenso, wie einst die Warnungen der vielen Volkswirte vor der Einführung des Euros. Wenn die Gefahr droht, das mahnende Stimmen gehört werden, werden die „Störenfriede“ wie früher Ketzer desavouiert, um sie an den Rand der Gesellschaft abzurücken und damit ihrer Einflussmöglichkeiten zu beschneiden.
Der Grund für diese Fehlentwicklungen ist, dass unser politisches System auf Führung durch emotionale, nicht aber rationale Intelligenz gerichtet ist. Der Beruf des Politikers ist der einzige, der keinerlei Nachweis der Eignung und Fähigkeit voraussetzt, dem folgend hat der Wähler nicht einmal die Chance, rational zwischen qualifizierten Bewerbern eine Wahl zu treffen. Vielmehr wird postuliert, Können sei nicht erforderlich. Anders formuliert: Nichtskönner machen Politik und das ist angeblich gut so! Bei Politik ginge es nämlich ausschließlich um Ethik und Werte, um Weltanschauungen, nicht aber um die bestmögliche Lenkung einer höchst komplexen Organisation. Damit ist man strukturell fern rationaler Überlegungen und Überprüfungen, die emotionale Intelligenz ist am Ruder. Diese bestimmt die „Wohlfühlwerte“, die dann gegen Andersgläubige durchgesetzt werden. Vor Kurzem gab es einen interessanten Artikel zu diesem Thema von Jiminez in der Welt mit dem Titel „Das ist die dunkle Seite der emotionalen Intelligenz“, die auf die Möglichkeiten der Manipulation und deren politischen Einsatz zutreffend hinwies.
Einwände auf der Vernunftebene können mithin zwingend ihr Ziel nicht erreichen, weil die Führung unseres Landes auf einer völlig anderen Ebene stattfindet. Es läuft nach dem Muster von Loriots Sketch „Das (Frühstücks-)Ei“ ab, der sogar an Universitäten genutzt wird, um diese beiden unterschiedlichen Ebenen der Kommunikation und Beeinflussung zu verdeutlichen. Wie in diesem Sketch der in der Sache zutreffende Hinweis, dass das Ei hart sei, von Berta gekontert und ihr Mann elegant ausmanövriert wird, ist die Blaupause für die Art, wie wir politisch gelenkt werden. Mit der „Berta – Methode“ werden sämtliche Kritiker ebenso zu „schlechten Menschen“ abgestempelt. Diese Verlagerung auf die falsche ist zugleich eine auf die schiefe Ebene.
Alle Politiker agieren auf der emotionalen Ebene, ob sie nun die verschiedenen Ängste instrumentalisieren oder einen Wellness-Staat für jeden fordern. Merkel ist nicht schlimmer als andere, sie beherrscht nur diese Methode ebenso exzellent wie Berta. Die Menschen mit Verstand, die es vorziehen, dass dieser Maßstab des Handelns ist, bleiben zunehmend wütend und frustriert zurück. Damit gleichen sie dem bedauernswerten Ehemann aus Loriots Sketch, der zum Schluss voll ohnmächtiger Wut sagt: „Ich bringe sie um … morgen bringe ich sie um!“.
II. Einsicht in die Notwendigkeit
Bekanntlich fängt jede Änderung mit der Einsicht in die Notwendigkeit an. Daran fehlt es derzeit. Viele bemängeln die Fehlentwicklungen, halten aber das System für optimal, sie möchten nur einen anderen „Lenker“. Wenn das Auto auf den Abgrund zu rast, tauschen wir den Fahrer aus. Oder auch nicht, denn für viele Bürger bleibt das Problem, dass sie keinen guten Fahrer zur Auswahl haben, daher als kleineres Übel den erfahrenen dem unerfahrenen vorziehen.
Was aber ist, wenn der Fahrer ein Kutscher ist, das Fuhrwerk weder Lenkung noch Bremse hat und dem Stand der Technik anno ca. 1780 entspricht? Ergo über keine Anschnallgurte, Kopfstützen, Airbags geschweige denn ABS, ASR, ESP verfügt?
Dann hilft nichts außer einem grundlegenden Wandel, also einer Reformation. So etwas ist machbar, was uns gerade im Jubiläumsjahr der Reformation sehr deutlich vor Augen geführt wird. Dafür benötigt man einen „disruptive change agent“, wie man heutzutage wohl Martin Luther nennen würde. Peter Thiel hält Donald Trump für einen solchen, in gewisser Weise mag das sogar zutreffen. M. E. hat Trump aber weder die Absicht noch den Hintergrund, um die systemischen Mängel zu erkennen und zu ändern.
Bei uns ist leider kein Martin Luther in Sicht. Nicht einmal ein kleiner Karl Marx, wir sind glatt gebügelt, halten den Konsens nicht für das Leichentuch der Demokratie sondern für ihre Zierde. Ohne eine Führungspersönlichkeit, die den Mut aufbringt, ernsthaft neue Wege zu gehen, wird es jedoch keine Änderung geben.
Wenn diejenigen, die Politik gestalten, zumindest die grundlegende Einsichtfähigkeit hätten, wäre schon viel gewonnen. Ferner müsste man diejenigen, die den Beruf des Politikers ausüben wollen, zusätzlich entsprechend ausbilden. Dabei meine ich keineswegs eine Institution wie die ENA (École nationale d’administration) in Frankreich. Es handelt sich dabei um eine Verwaltungshochschule, die deutsche Entsprechung ist die Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Regieren heißt aber nicht verwalten, sondern gestalten. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied sowohl von der Zielsetzung wie auch von den erforderlichen Kompetenzen her, die nicht nur gelehrt, sondern auch trainiert werden müssen. Ein Faktor für den Etatismus und die fehlenden Reformen in Frankreich mag die Verkennung des Unterschieds zwischen Verwalten und Gestalten sein. Es ist zwar notwendig, dass ein Politiker die Funktionsweise seiner Organisation kennt, wie ein Manager grundlegende kaufmännische Kenntnisse benötigt, aber bei weitem nicht hinreichend.
Europa war führend durch Fortschritt, wandelte sich fortwährend in der Renaissance, Reformation und Aufklärung. Und nun? Meinen wir ernsthaft, wir hätten den Stein der Weisen gefunden?
Annette Heinisch studierte Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank – und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht.
Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.